Wo einst Möbel Hofmeister in Leonberg stand, will das Unternehmen einen neuen Geschäftsbereich ansiedeln. Das Vorhaben umfasst noch viel mehr.

Die Bauarbeiten schreiten voran. An der Ecke Post-/Benzstraße sowie entlang der Reinhold-Vöster-Straße tut sich ein gigantisches Loch auf. Gebäude wurden an dieser Stelle bereits abgerissen. Bagger und Lkws, die Schutt und Erde abtragen, sehen vom obigen Rand dieser Baugrube betrachtet wie kleines Spielzeug aus. Wenige Schritte weiter, an der Ecke Römer-/Poststraße nimmt die Standorterweiterung der Robert Bosch GmbH bereits erkennbare Formen an.

 

Software und Elektronik an einen Ort gebündelt

Hier im Westen der Leonberger Kernstadt entsteht das Hauptquartier des neues Geschäftsbereiches „Cross-Domain Computing Solutions“, wo das Unternehmen künftig Software- und Elektronikkompetenz bündeln und auch das autonome Fahren sowie die Weiterentwicklung der Fahrerassistenzsysteme mit Hochdruck vorantreiben will. „Es wurde lange diskutiert, wo dieser Standort angesiedelt wird. Letztendlich haben wir uns für Leonberg entschieden, weil die Stadt verkehrstechnisch optimal liegt und auch für die Mitarbeiter attraktiv ist“, sagt der Architekt Jörg Weisser, der mit dem Projektplaner Udo Osterholz die Stadträte des Leonberger Planungsausschuss über die aktuellen Fortschritte des Projekts informierte.

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Insgesamt werden in Leonberg 1800 Arbeitsplätze entstehen. Zum größten Teil sind diese schon an anderen Standorten vorhanden und werden dann im Hauptquartier zusammengeführt. Und irgendwann wird Bosch, wenn die Zeit dafür reif ist, die ersten automatisierten Testfahrzeuge in den öffentlichen Verkehr schicken. „Da besteht kein Risiko, denn es wird erst dann passieren, wenn sie zu hundert Prozent tauglich sind, und im ersten Schritt werden die Autos ohnehin noch nicht alleine unterwegs sein“, sagt Osterholz.

Der mächtige Komplex wird das Stadtbild prägen

Ein großer Teil des Rohbaus an der Ecke Römerstraße/Poststraße ist bereits hochgezogen. Auf dem 40 000 Quadratmeter großen ehemaligen Hofmeister-Gelände, das vielen noch unter dem Namen Möbel Mutschler ein Begriff ist, entsteht gerade ein sechsstöckiges, etwa 26 Meter hohes Bürogebäude, das von Nord nach Süd terrassenförmig abfällt. Die Dächer werden grün bepflanzt und begehbar sein.

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Und schon jetzt ist erkennbar, wie dieser mächtige Komplex das Stadtbild an dieser Stelle prägen wird. „Das Gebäude ist so konzipiert, dass wir uns öffnen und mit der Stadt verknüpfen wollen“, sagt Weisser. So sind im Erdgeschoss zwei Innenhöfe und ein Atrium geplant. Der ebenerdige Bereich des Entwicklungszentrums ist als Begegnungsstätte mit Gastronomie, die fremdvergeben wird, gedacht. Eine Kindertagesstätte findet ihren Platz sowie eine Cafeteria, die nach Dienstschluss auch für die Öffentlichkeit bereitsteht. Im restlichen Gebäude sind Büros und Labore vorgesehen, in denen künftig geforscht, entwickelt und getestet wird. Die Arbeiten gehen planmäßig voran. „Ab dem Spätsommer des nächsten Jahres wollen wir das Gebäude beziehen“, sagt der Architekt Jörg Weisser.

Das Dorfner-Grundstück gehört jetzt auch Bosch

Dort, wo momentan die große Baugrube ausgehoben ist und einst die Firma Fuchs Felgen veredelte, entsteht ein weiteres Bosch-Gebäude. Mit Büro- und Konferenzräumen sowie dem medizinischen und sozialen Bereich. Untergebracht sind hier dann auch die Werkssicherheit und die zentrale Kantine. In der Zwischenzeit hat Bosch auch das Dorfner-Grundstück nebenan erworben.

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Die einstige Leonberger Traditionsfirma fertigte hier unter anderem hochwertige gegossene Schleifscheiben, hatte bis Ende des Jahres 2021 ihren Umzug in den Wuppertaler Westen nach Sonnborn abgeschlossen und nahm gleich 30 Mitarbeiter mit. Das 1927 bei Berlin gegründete Unternehmen war 1951 aus Hirschau (Oberpfalz) nach Leonberg umgezogen. Zweimal – in den Jahren 2005 und 2009 – war es von der Insolvenz bedroht. Lars Clauberg hat das Dorfner-Werk schließlich aus der Insolvenzmasse der Düsseldorfer Carbo Group herausgekauft.

Poststraße soll umgestaltet werden

Das gesamte Areal entlang der Poststraße soll ein zusammenhängender Komplex werden und Campus-Charakter bekommen. Verbindendes Element wird die umgestaltete Poststraße sein. Der klassische Verkehrsraum mit zwei Fahrstreifen, rechts und links durch Gehwege begrenzt, ist dann Vergangenheit. Die Straße soll – mit Hilfe einer optischen Umgestaltung – ein offener Raum für alle Verkehrsteilnehmer werden. „Dieser Campus als Kommunikationsraum ist für uns ein Pilotprojekt“, sagt Udo Osterholz.

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Das Bosch-Konzept passt bestens in die Zukunftspläne der Leonberger Verwaltung, die die Innenstadt unter dem Arbeitstitel „Stadt für morgen“ umgestalten und dort mehr Aufenthaltsqualität schaffen will. „Mit dem Neubauprojekt der Firma Bosch bietet sich genau hier die Gelegenheit, die Poststraße baulich umzugestalten. Dabei soll ein einheitliches und attraktives Stadtbild entstehen“, hatte schon Stephan Kerner, der Leiter des städtischen Referats für innovative und intermodale Mobilität, vor einiger Zeit erläutert.

Im Mittelpunkt steht eine moderne Mobilität, bei der Individualverkehr möglichst vermieden werden soll. Gemeinsam mit der Stadt will das Unternehmen neue Wege gehen und unter anderem das Radwegenetzes verbessern. Die Anbindung des Bosch-Campus über die Steinbeisstraße an den Bahnhof und das angrenzende Parkhaus soll optisch verbessert werden.

Moderne Mobilität steht im Mittelpunkt

„Es soll keinen Hinterhofcharakter haben“, sagt Projektplaner Udo Osterholz. Bedenken, dass sich durch die Umgestaltung und den Rückbau der Poststraße „der Verkehr in andere Straßen verlagert“, äußerte Wolfgang Schaal von den Freien Wählern. Aufmerksam hörte er auch zu, als die beiden Bosch-Vertreter das geplante CO2-neutrale Energiekonzept mit Wärmegewinnung durch Geothermie vorstellten.

Der Stadtrat erinnert sich noch an die misslungene Geothermie-Bohrung im Jahr 2011 in der Eltinger Thomas-Mann-Straße. „Bislang reden wir über eine Erkundungsbohrung, alle Schritte sind selbstverständlich detailliert mit den zuständigen Behörden beim Landratsamt abgestimmt, ohne eine Genehmigung passiert nichts“, versicherte Osterholz. Oberbürgermeister Martin Georg Cohn (SPD) attestierte „vollstes Vertrauen in die Firma Bosch“.

Formalitäten sind erledigt

Damit die Robert Bosch GmbH überhaupt ihr Hauptquartier für den neuen Geschäftsbereich „Cross-Domain Computing Solutions“ in Leonberg ansiedeln kann, musste der Flächennutzungsplan von 2006 entsprechend angepasst werden. Der Bebauungsplan für das Areal wies ursprünglich im östlichen Bereich eine „Sonderbaufläche großflächiger Einzelhandel“ aus, was die Änderung erforderlich machte.

Mit erfolgtem Beschluss des Gemeinderates über die Änderung des Bebauungsplans wird nun eine „Gewerbliche Baufläche“ ausgewiesen. „Die Bebauungsplanänderung wird in diesem Monat öffentlich bekannt gemacht und somit g rechtskräftig“, sagt Sebastian Küster, der Pressesprecher der Stadt. Die Änderung wird im Flächennutzungsplan berücksichtigt.

Die fünf Schritte zum autonomen Fahren

Vorstufen
Der Entwicklungsprozess, bis ein Auto zu hundert Prozent selbst fahren kann, ist in fünf Stufen eingeteilt. Level eins: Tempomat, automatischer Abstandshalter oder Spurhalteassistent – das assistierte Fahren ist in vielen Autos bereits Realität. Wenn ein Fahrzeug unter definierten Bedingungen die Spur halten, bremsen oder beschleunigen kann, hat es die zweite Stufe, das teilautomatisierte Fahren, erricht. Hochautomatisiert wird es in Level drei. Hier können Autos bestimmte Aufgaben selbstständig und ohne menschlichen Eingriff bewältigen. Zumindest für einen begrenzten Zeitraum.

Endstufen
In der vierten – vollautomatisierten – Stufe wird der Fahrer zum Passagier und kann die Führung des Autos komplett abgeben. Aber das Steuer auch jederzeit wieder übernehmen. Beim autonomen Fahren – Level fünf – haben die Passagiere keine Aufgaben mehr. Diese übernimmt in vollem Umfang die Technik. Auch Fahrten ohne Insassen sind in dieser letzten Stufe möglich.