Die Gewerbesteuer bricht ein. Bis zu 199 Millionen Euro könnten Firmen noch zurückverlangen.

Weissach - Wenn Bürgermeister einst zum Thema Ungerechtigkeit dozieren wollten, verwiesen sie auf Weissach. Während die eigene Kommune in der Armut darbt, sprudeln dort die Millionen nur so. 222 Millionen Euro Gewerbesteuern waren es im Rekordjahr 2009, zum größten Teil von Porsche. 2012 sind es noch 43 Millionen gewesen. 2013, nach der Eingliederung in den VW-Konzern, immer noch elf Millionen Euro – eine stattliche Zahl für eine 7500-Einwohner-Gemeinde.

 

All das könnte Weissach jetzt aber bitter auf die Füße fallen. Denn die Gemeinde muss in diesem Jahr Gewerbesteuern in Millionenhöhe zurückzahlen. Der Gewerbesteuerposten im aktuellen Haushalt weist ein Minus von 3,9 Millionen Euro aus. Gerechnet hatte die Gemeindeverwaltung bei der Haushaltsaufstellung im März noch mit einem Plus von 3,5 Millionen Euro Gewerbesteuer-Einnahmen in diesem Jahr. Das ist im Saldo eine Verschlechterung von 7,4 Millionen Euro.

Genaue Auskünfte über die Steuereinkünfte darf Weissachs Kämmerin Karin Richter wegen des Steuergeheimnisses natürlich nicht geben. Zwei Dinge sind aber allgemein bekannt: Höhere Gewerbesteuer-Rückzahlungen verlangen eher große Firmen. Im Kreis Böblingen betroffen ist neben der Daimler-Stadt Sindelfingen deshalb nur Weissach. Zweite Tatsache: Die große Firma, die in Weissach ansässig ist, heißt Porsche. Der Großteil der Rückzahlungen aus Weissacher Kassen dürfte also an den Sportwagenhersteller geflossen sein.

Satte sechs Prozent Zins pro Jahr

Das liegt daran, dass die Finanzämter auch nach Jahren, zum Teil nach Jahrzehnten, die Steuerbescheide noch ändern, da mit dem Vorbehalt der Nachprüfung die Steuerfestsetzung offen gehalten wird. Dann wird die zu viel bezahlte Gewerbesteuer fällig. Und nicht nur das: Mit satten sechs Prozent Zins pro Jahr muss die Gemeinde die Beträge zurückzahlen. „Der aktuelle Messbescheid, der uns zu schaffen macht, stammt aus dem Jahr 2009“, sagt Karin Richter. Das ist eben jenes Steuer-Rekordjahr. Allein an Zinsen kommt in elf Jahren einiges zusammen.

In existenzielle Nöte kommt Weissach nicht – noch nicht. Denn auf dem Sparbuch hat die Gemeinde eine Rücklage von 78,5 Millionen Euro. Allerdings drohen noch weitere Rückzahlungen. Im schlimmsten Fall könnten das 199 Millionen Euro an Rückzahlungen sein, plus Zinsen. So hoch nämlich ist der Betrag an Gewerbesteuern, die Firmen seit 2009 bezahlt haben, und die noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen.

Zweiter Grund, der der Kämmerin Sorgen macht, ist das im Juni verabschiedete Corona-Steuerhilfegesetz. Darin wurden Verluste, die die Firmen anrechnen können, angehoben. Die Folge: Unternehmen können noch mehr Gewerbesteuern zurückverlangen, als ursprünglich geplant.

Bund und Land haben das beschlossen, um Firmen in der Corona-Krise zu helfen. Bezahlen müssen das aber die Städte und Gemeinden. Von dieser Maßnahme sind wiederum vor allem Kommunen mit großen Gewerbetreibenden betroffen. „Wenn solche Messbescheide eingehen, führt dies zu katastrophalen finanziellen Auswirkungen“, sagt die Kämmerin.

„Ein Tropfen auf den heißen Stein“

Zwar haben Bund und Land ebenfalls Hilfen für Kommunen beschlossen. Das könne die Verluste aber nie ausgleichen, sagt Karin Richter: „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Bis jetzt hat Weissach 140 000 Euro Pandemie-Hilfe und 41 000 Euro für die Ausstattung des Fernunterrichts an den Schulen bekommen.

Bürgermeister Daniel Töpfer (CDU) schlägt angesichts der Finanzlage seiner Gemeinde Alarm. „Vor allem die Zinsen sind sehr schmerzhaft“, sagte er in der jüngsten Gemeinderatssitzung. Er halte es für nicht unwahrscheinlich, dass für die Gemeinde noch weitere Rückzahlungen in Millionenhöhe fällig werden. „Weissach wird dann schnell von der Gemeinde mit den hohen Rücklagen zum Sorgenkind im Landkreis“, erklärt der Bürgermeister. Das solle die Kommunalpolitiker nicht lähmen, sie müssten das aber immer im Hinterkopf haben.