Michaela Höhn-Bea leitet seit 1994 die Stadtranderholung in der Breitwiesenschule. Mit mehr als 300 Kindern ist dies die größte Kinder-Ferienfreizeit im Strohgäu. Immer gefragt sind Spiele aus alter Zeit wie „Faulei“ und Schnitzeljagd – ohne Handy.

Gerlingen - Am bam bi, Kolonie, Kolonastik, am bam bi, Akademie  . . . puff, puff“ – sieben oder acht fröhliche Kinder singen diesen Reim, der in Variationen immer wiederkehrt. Die Mädchen und Buben stehen im Kreis und klatschen sich abwechselnd in die Hände. Wer beim letzten „puff“ die Hand oben hat, scheidet aus. Das geht so lange, bis einer übrig bleibt. Michaela Höhn-Bea beobachtet die Acht- und Neunjährigen und lacht. „Das haben wir in meiner Kindheit schon gespielt.“ Es gibt eben Dauerbrenner. Wie „Faulei“ oder die Schnitzeljagd.

 

Die 46-jährige Höhn-Bea ist die Chefin der Gerlinger Stadtranderholung, sie leitet diesen 1969 gegründeten Sommerferienklassiker zum 21. Mal. Die Sozialpädagogin, die auch Jugendhausleiterin und Jugendreferentin der Stadt ist, kann in einigen Jahren doppeltes Jubiläum feiern: da wird sie 50 – genau wie die Stadtranderholung.

Mit zwei, drei Runden „Am bam bi“ oder „Faulei“ können Kinder jedoch nicht den ganzen Tag beschäftigt werden. Was die 312 Kinder in 22 Gruppen den ganzen Tag tun? „Es ist ein Ferien- und Spaßprogramm“, meint Höhn-Bea, und sie kann gar nicht aufhören mit der Aufzählung der Aktivitäten: basteln, spielen, Sport treiben, Werken mit Holz, Ausflüge in die Wilhelma oder ins Maislabyrinth, Schnitzeljagd zur Solitude samt Überraschung. Das Gelände der Breitwiesenschule ist riesig und bietet viele Möglichkeiten. Zwei „Außenstellen“ gibt es zudem: das Jugendhaus und das Tagheim.

Grillen in den Schulhof verlegt

Plötzlich klingelt das Handy von Höhn-Bea – ein Beispiel für eine Überraschung, allerdings eine ungeplante. Einer der 78 Betreuer ruft an: Der Grillplatz im Wald ist gesperrt wegen Trockenheit. Am Abend zuvor hatte das Forstamt dies noch nicht im Internet kundgetan. Das Grillen wird in den Schulhof verlegt. „Wir haben extra einen Gasgrill für solche Fälle“, sagt Höhn-Bea. Sie wirft so schnell nichts um. Ruhe bewahren und Improvisieren gehören zu ihren Hauptaufgaben. Ebenso wie Anrufe bei Eltern – wenn, wie an diesem Morgen, einem Mädchen beim Ausflug plötzlich schlecht wird. Alles nicht so schlimm: Der Bub, der jüngst seine Schulter verletzte, war tags drauf wieder da.

Aber eigentlich will die stellvertretende Leiterin des Amtes für Jugend, Familie und Senioren gar nicht im Mittelpunkt eines Artikels stehen. „Viel wichtiger sind doch die Kinder und Jugendlichen selbst, die Betreuer und Küchenhelfer“, meint sie. „Denn ohne die geht die Stadtranderholung nicht in der Größe.“ Was ist ihr noch wichtig? Dass morgens alle da und gesund sind und dass die Handys in den Rucksäcken verschwinden. Zudem liegt Bea-Höhn am Herzen, dass die Helfer mit ihren „Kleinen“ gut können. Wobei die größten der „Kleinen“ schon 14 Jahre alt sind. Dieses Jahr habe es in dieser Altersstufe aber etwas Besonderes gegeben, erzählt Höhn-Bea begeistert: Aus einer achten Klasse des Gymnasiums hätten sich 15 Jungen und Mädchen angemeldet, die zusammen eine Gruppe bilden wollten – ein Phänomen. Im nächsten Jahr sind vielleicht einige von ihnen schon als angehende Betreuer dabei.

Jedes Jahr wechselt ein Drittel der Betreuer

Denn eines sei über all die Jahre konstant geblieben: jedes Jahr wechselt nur ein Drittel des „Personals“, zudem sind viele der Gruppenleiter ehemalige Teilnehmer. „Ich bin dabei, fast, seit ich denken kann“, meint ein 17-jähriger Betreuer. Anders als in früheren Zeiten ist die Bezeichnung „Onkel“ oder „Tante“ für die Betreuer aber nicht mehr aktuell. Hier redet jeder jeden mit Vornamen an. Und dass das Ganze in einer Schule stattfindet, merkt man auch kaum – trotz des regelmäßigen „ding dong“ der Glocke. Leistungsdruck gibt es nicht, mitmachen allerdings sollten die Kinder schon, meint Höhn-Bea.

Eines habe sich mit der Zeit allerdings geändert: „Die Eltern sind fürsorglicher geworden, vor allem die der jüngeren Kinder.“ Ein Problem? Höhn-Bea sagt: „Ich bin selbst Mutter.“ Den Ausdruck „Helikoptereltern“ benutzt sie nicht, sondern sagt nur, man pflege eine „offene Kommunikation“.

Wie in früheren Zeiten engagieren sich viele junge Mitarbeiter auch anderswo, etwa im Jugendgemeinderat. Das hat sich ebenso wenig geändert wie die Beständigkeit als Basis der Freizeit. „Für gute Kinder- und Jugendarbeit ist Beständigkeit und Beziehungsarbeit ganz arg wichtig“, sagt Michaela Höhn-Bea. Und fügt ungefragt hinzu: „Ich würde es jederzeit wieder machen, und ich will auch keinen anderen Job.“

Am Anfang wurden „Onkel“ und „Tanten“ gesucht

Anfänge
Vor der ersten Stadtranderholung, die von der Stadt 1969 angeboten wurde, wollte die evangelische Matthäus-Kirchengemeinde bereits für den Sommer 1966 eine Waldheimfreizeit organisieren. Diese sollte im neuen Gemeindehaus und in der benachbarten Waldschule für 50 Kinder zwischen 7 und 14 Jahren stattfinden – mit „Onkeln“ und „Tanten“ als Betreuer. Die Freizeit kam aber, so der damalige Pfarrer Christoph Planck, doch nicht zustande.

Start der Stadtranderholung
Die Stadtverwaltung startete dann im August 1969 die erste Sommerfreizeit – damals schon in der Breitwiesenschule. Der Leiter war „Herr Metty, Studierender an der Höheren Fachhochschule für Sozialpädagogik“ in Reutlingen, wie in einem Pressebericht geschrieben stand. Dazu kamen „vier tatkräftige bewährte Helfer . . . zur Beaufsichtigung und Anleitung der Kinder“. Zudem suchte man „1 weibliche Hilfskraft für Küchenarbeiten und ähnliches“. Am 11. August begann die Freizeit mit 64 Kindern, eine Woche später waren es 78 Teilnehmer.

Parallelen
Was 1969 angeboten wurde, wird zum Teil heute noch gern gemacht: Grillen zum Beispiel. Das nannte man damals noch „Wurstbraten am offenen Feuer“. Der Grundsatz blieb derselbe: „Die Kinder sollen nicht nur verpflegt und bewahrt werden, sondern intensive Betreuung erfahren“, hieß es. kwa