Volker Mall und Harald Roth haben beharrlich und gegen einigen Widerstand in der Bevölkerung das Dokumentationszentrum in Gäufelden-Tailfingen aufgebaut sowie für ein Mahnmal und einen Gedenkpfad gesorgt. Sie erhalten dafür den German Jewish History Award.

Gäufelden - International sorgten sie für bereits für einige Aufmerksamkeit. Volker Mall und Harald Roth erforschen seit Jahren die Geschichte des einstigen KZ-Außenlagers Hailfingen-Taiflingen und spüren Zeitzeugen und Hinterbliebene in aller Welt auf, die sie nach Gäufelden einladen. Obwohl sie bisher auch Gegenwind in der Bevölkerung spürten: Nicht alle vor Ort waren und sind von der Aufarbeitung der Geschichte begeistert. Mall und Roth schufen dennoch Orte des Erinnerns – sie werden am 22. Januar in Berlin mit dem German Jewish History Award ausgezeichnet.

 
Herr Mall, Herr Roth, es gibt Menschen in Gäufelden und Umgebung, die offenbar nicht gerne mit der KZ-Vergangenheit konfrontiert werden. Worin äußert sich das?
Mall: Bürger aus Gäufelden haben zum Beispiel Unterschriften gesammelt gegen die Galerie im Treppenhaus unseres KZ-Dokumentationszentrums im Alten Rathaus. Im ersten Stockwerk befindet sich ein Büro der Ortsverwaltung. Manchen Bürgern waren die Fotos der Häftlinge ein Dorn im Auge. Sie kritisierten, dass wir das ganze Gebäude für unser Dokumentationszentrum vereinnahmen würden.
Roth: Die Sache erledigt sich aber jetzt nun quasi von allein. Weil das Alte Rathaus nicht behindertengerecht ist, wird das Büro woanders hinkommen.
Gegen den Gedenkpfad gab es Widerstand.
Mall: Wir wollten dort, wo einst der Hangar stand, in dem die KZ-Häftlinge und später die Zwangsarbeiter unterbracht wurden, eine Gedenktafel aufstellen. Diese stand in unmittelbarer Nähe der heutigen Vereinsgaststätte. Vor allem die älteren Vereinsmitglieder hatten aber etwas dagegen. Sie hielten eine solche Tafel für inakzeptabel. Manche zweifelten die KZ-Geschichte an. Sieben Jahre hat es gedauert, bis wir sie nach einem Gemeinderatsbeschluss im vorigen Jahr aufstellen durften.
Wie kam es dazu?
Roth: Wir haben nicht nachgelassen, eine KZ-Gedenkstätte einzurichten. Unterstützt wurden wir vom Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ und federführend von der einstigen SPD-Landtagsabgeordneten Birgit Kipfer. Einen Schub gab es, weil der einstige Rottenburger CDU-Oberbürgermeister Klaus Tappeser die Sache zu seinem Anliegen machte.
Was ist passiert seit dem Jahr 1985 nach der Gründung des Fördervereins zur Errichtung eines Mahnmals für die Opfer des KZs?
Mall: Der damalige Bürgermeister von Gäufelden hat die Existenz eines KZs angezweifelt. Verharmlosend wurde von einem „Lager“ gesprochen. Wir mussten nachweisen, dass es ein KZ war, ein kleines zwar, in dem jedoch die Lebens- und Arbeitsbedingungen mörderisch waren. Es hat lange gedauert, bis unser Vorhaben auf die Agenda kam. Das geschah zuerst in den kommunalen Gremien in Rottenburg und Hailfingen. Danach beschäftigte sich der Gäufeldener Gemeinderat damit. Zudem gab es gemeinsame Sitzungen der beiden Ratsgremien, bis das Projekt genehmigt wurde.
Waren Sie sich Ihrer Sache sicher? Schließlich veröffentlichten Sie mit Ihrer Dokumentation sensible Daten.
Roth: Natürlich waren wir etwas unsicher, was wir wie darstellen, ob wir sämtliche Namen nennen dürfen. Aber unsere Dokumentation wurde vom Gäufeldener Bürgermeister Johannes Buchter öffentlich in der Bürgerhalle präsentiert, so dass alle Interessierten Einblick erhielten und sich dazu äußern konnten. Es gab keine Einwände. Zudem schickte Buchter unser Material an die damalige Gauck-Behörde, die eigentlich zur Prüfung der Stasi-Unterlagen da war. Von den Rechtsexperten wurde dort alles gemäß des Datenschutzes geprüft.
Herr Roth, Sie fanden die Namen von 601 Häftlingen des KZ-Außenlagers Hailfingen-Tailfingen im Natzweiler- Nummernbuch im Ludwigsburger Staatsarchiv. Haben Sie auch die Namen der Täter?
Roth: Sämtliche Unterlagen wurden vernichtet, wahrscheinlich vor Ort im Jahr 1945 während des Krieges. Wir haben die Namen der Haupttäter und rudimentär deren Biografien. Die Aufarbeitung durch die deutsche Justiz verlief gleichsam im Sande, in Rastatt wurden von den Franzosen drei Täter verurteilt. Darunter war ein Kapo des Lagers, der Täter und Opfer war. Über einen Anwalt hat er uns verboten, seinen Namen zu nennen. Wir haben den Namen des KZ-Kommandanten, der nach Kriegsende bei einem Unfall starb. Wir hätten gerne mehr über die Täter erfahren. Dieses Kapitel wird aber im Dunkeln bleiben.
Was hat Sie motiviert, sich mit dieser KZ-Geschichte zu beschäftigen?
Mall: Wir haben im Unterricht Nazi-Deutschland thematisiert und Klassenfahrten in Konzentrationslager unternommen. Es lag auf der Hand, sich auch um die eigene KZ-Historie vor Ort zu kümmern. Im Jahr 2001 gab es in Tailfingen eine Ausstellung mit Luftaufnahmen der Alliierten. Zu sehen sei ein „Militärflughafen“, und es war die Rede davon, dass hinsichtlich des Arbeitslagers „manches in den vergangenen Jahrzehnten hochgeschaukelt wurde“. Davon ging der damalige Bürgermeister in Tailfingen aus - und das hat uns geärgert. Utz Jeggle, der verstorbene Professor für Kulturwissenschaften an der Universität Tübingen, hat vor uns über das KZ-Außenlager geforscht und im Jahr 2002 in der Tailfinger Bürgerhalle vor 400 Zuhörern einen Vortrag gehalten. Das hat uns ermuntert, daran anzuknüpfen.
Dass es die Gedenkstätte und das Mahnmal gibt, ist Ihrem Durchhaltevermögen zu verdanken. Nun machen Sie auf die Reste einer Flugzeughalle auf der Gemarkung Ammerbuch (Kreis Tübingen) aufmerksam.
Roth: Übrig geblieben sind zwölf etwa sieben Meter hohe Betonsäulen der Halle und Reste der Grundmauern. Das Gelände ist 2016 von Jugendlichen im Rahmen eines internationalen Jugendcamps freigelegt worden. Die Bürgermeisterin Christel Halm von Ammerbuch unterstützt uns, einen Gedenkort zu schaffen, für Konzerte und Lesungen.
Aber auch für Sie hat der Tag nur 24 Stunden. Außerdem sind Sie finanziell wohl nicht auf Rosen gebettet.
Mall: Mehr Unterstützung würde uns gut tun. Die Landeszentrale für politische Bildung tut schon einiges für uns. Im vergangenen Jahr habe ich Angehörige von 15 Häftlingen aufgespürt und den Kontakt hergestellt. Inzwischen haben wir die Hinterbliebenen von 140 jüdischen Häftlingen ermittelt. Dazu kommen die Recherchen über die Zwangsarbeiter in Gang. Es gab bei uns in der Gegend außer den jüdischen KZ-Häftlingen zudem noch weit mehr als tausend Krieggefangene.
Wie hat sich das Interesse am Dokumentationszentrum entwickelt?
Mall: Die Besucherzahl hat etwas abgenommen. Im vorigen Jahr kamen rund tausend Gäste, viele nahmen an unseren Veranstaltungen teil. Der Ministerpräsident Winfried Kretschmann war hier, bei Lesungen auch die Schauspielerin Iris Berben und der Schauspieler Walter Sittler. Das war gut für die Außenwirkung – auch was die Akzeptanz in der Bevölkerung betrifft.
Welche Zielgruppen wollen Sie mit ihrer Ausstellungsarbeit ansprechen?
Roth: Wir wollen vor allem junge Leute ansprechen. Bei uns finden sie authentische Orte der Nazi-Herrschaft und des KZ-Alltags bis hin zu Friedhöfen, auf denen die Umgekommenen begraben sind. Aber es ist schwieriger geworden, Lehrer zu einem Besuch mit Schülern anzuregen. Bei Gymnasiasten schafft der G-8-Zug Zwänge und eine engere Zeitplanung. Das ist schade.
Dafür ist das Interesse von Hinterbliebenen und Überlebenden an den Ort des Schreckens zu reisen unvermindert hoch.
Mall: Wir haben tatsächlich viele Zeitzeugen und Familienangehörige zu Besuch. Die Enkel-Generation hat ein fast größeres Interesse als es ihre Väter oder Mütter vor ihnen hatten. Sie wollen sehen, wo ihr Großvater während des Kriegs gelitten hat oder zu Tode gekommen ist.
Roth: Vielleicht spielt auch der zuletzt wieder stärker aufgekommene Rechtsextremismus und Antisemitismus in Europa eine Rolle. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, sich an die Greueltaten zu erinnern und sich mit dem Menschheitsthema Völkermord auseinanderzusetzen. Damit so etwas nie wieder passiert.