Der umstrittene Geschäftsführer des Gärtringer Schlachthofs verabschiedet sich. Der frühere Plieninger Metzger Kurt Matthes sucht jetzt mit einer Projektgruppe nach einem neuen Konzept.

Gärtringen - Kann der Neuanfang im Schlachthof Gärtringen wirklich gemeinsam mit Wilhelm Dengler gelingen? Das war umstritten, selbst die CDU hatte schon vor drei Wochen in einer Pressemitteilung nicht nur einen organisatorischen, sondern auch einen „personellen“ Neuanfang gefordert. Und noch lauter war die Kritik geworden, als unsere Zeitung direkte Verbindungen von Dengler zu Agrarminister Peter Hauk – beides CDU-Politiker – aufgedeckt hatte. Gemeinsam hatten sie im April dafür gesorgt, dass der Schlachthof gegen den Widerstand der Veterinärbehörden mit einer mangelhaften Betäubungsanlage weiter arbeiten durfte.

 

Am Mittwoch nun hatten die Mitglieder der Schachthof-Genossenschaft doch einen personellen Wechsel eingeleitet. Über das Landratsamt ließen sie am Freitag eine Pressemitteilung versenden. Auf eigenen Wunsch scheidet Wilhelm Dengler demnach Ende des Jahres aus, steht da, „wie seit zwei Jahren geplant“.

Die Verbesserungen müssen andere umsetzen

Hat der Abschied also nichts mit dem aktuellen Skandal zu tun? In bisherigen Äußerungen der Beteiligten war von einem geplanten Ruhestand Denglers noch nie die Rede. Im Gegenteil: Anfang September, nach der Schließung des Schlachthofs durch Böblingens Landrat Roland Bernhard hat der Schlachthof-Chef noch eine engagierte Presseinfo verfasst und sich kämpferisch gezeigt, den Betrieb wieder auf Vordermann bringen zu wollen. „Die Anordnung von Landrat Bernhard erfolgte aus unserer Sicht ohne Not, oder eine aktuelle Notwendigkeit bezüglich des Tierschutzes“, hatte er geschrieben. Und: „Bauliche Veränderungen zur Verbesserung des Tierschutzes im Gärtringer Schlachthof sind bereits seit längerer Zeit in der detaillierten Planung.“

Diese Verbesserungen müssen jetzt andere umsetzen. Die Genossenschaftsmitglieder haben am Mittwoch eine Projektgruppe gegründet, Bezeichnung: „Zukunftskonzeption der Schlachthof eG“. Zum Sprecher und Vorsitzenden dieser Projektgruppe wurde Kurt Matthes einstimmig gewählt. Matthes ist Metzgermeister, bis Juli 2016 führte er mit seiner Frau in zweiter Generation ein Metzgerei-Fachgeschäft in Stuttgart-Plieningen mit zuletzt 20 Beschäftigten.

Er ist ein Mann aus der Praxis, kennt sich aber auch mit dem Organisieren und mit Funktionärsarbeit aus. Denn Matthes war Landesinnungsmeister der Fleischerinnung in Baden-Württemberg, also quasi der oberste Metzger im Land. Zusätzlich saß er der Innung Stuttgart-Neckar-Fils vor und gehörte dem Präsidium des baden-württembergischen Handwerkstags an. Matthes kennt auch die Region, denn seine Schweine hatte er aus der Gegend um Böblingen bezogen, schlachten ließ er sie in Gärtringen, an dessen Schlachthof er auch genossenschaftliche Anteil besessen hatte.

Mittagessen per App bestellen

Dass Kurt Matthes bereit ist, ausgetretene Pfade zu verlassen, zeigen seine innovativen Projekte, die er in seiner aktiven Zeit umgesetzt hatte. Für das Smartphone hatte er eine App entwickeln lassen, über die man Mittagessen bestellen konnte. Über die Internetseite konnten Firmen aus Plieningen, Degerloch, von der Messe und der Umgebung Mittagsgerichte für die Belegschaft ordern, berichtete Matthes im April 2016 der Zeitung „Blick vom Fernsehturm“: „Das hat für uns Vorteile im Ablauf: Niemand muss ans Telefon springen, um Bestellungen aufzunehmen, die Kunden im Laden werden nicht alleine gelassen. Das ist für alle angenehmer.“

Jetzt muss Kurt Matthes das vom Landratsamt verlangte Konzept erarbeiten, nach dem der Schlachthof seinen Betrieb wieder aufnehmen kann. Sagen will er am Freitag auf Nachfrage unserer Zeitung noch nicht viel. „Wir müssen jetzt erst die Ergebnisse der Untersuchung des Landratsamts abwarten“, sagt Matthes nur. Anschließend werde er ausführlicher zu seinem Vorhaben Stellung nehmen.

Wie berichtet, hatte das Landratsamt eine Untersuchung eingeleitet. Juristen und Tierärzte sind derzeit dabei, die Videos des Münchner Vereins „Soko Tierschutz“ auszuwerten und dabei auch das Verhalten der Amtsveterinärin, die auf dem Video zu sehen ist, zu bewerten. In spätestens zwei Wochen sollen Ergebnisse vorliegen, heißt es aus dem Landratsamt.

Kein einfaches Unterfahrungen

Einfach wird das Projekt von Kurt Matthes dann nicht. Teure Investitionen im Schlachthof müssen finanziert sein – und das in einem stark umkämpfen und preissensiblen Markt. Erst zuletzt war ein großer Kunde des Schlachthofs abgesprungen, nachdem die Genossenschaft die Gebühren nur geringfügig erhöht hatte. Gleichzeitig gilt es, Personal zu finden – und das in einem Bereich, in dem die Fachkräfte nicht eben Schlange stehen. Vor Mitte 2021 dürfte eine Wiedereröffnung kaum realistisch sein.

Die Reaktionen zum Rückzug von Wilhelm Dengler und dem Neustart mit Kurt Matthes sind positiv. „Der Schlachthof beginnt, seine Glaubwürdigkeit Stück für Stück wieder zurückzugewinnen, ein Anfang ist gemacht“, sagt Böblingens Landrat Roland Bernhard. „Mit Kurt Matthes übernimmt jemand Verantwortung, der mit der Vergangenheit nicht in Verbindung gebracht wird.“

Politische Reaktionen sind positiv

„Ich freue mich, dass die Genossenschaft offensichtlich auf einem guten Weg ist“, sagt Helmut Noë, der CDU-Fraktionschef im Kreistag. Als „folgerichtig“ bezeichnet Jan Hambach, der Fraktions-Vize der SPD im Kreistag, den Rückzug Denglers. „Insbesondere nachdem er sich bisher eher weggeduckt als aufgeklärt hat.“ Ob sein Ausscheiden zum Ende des Jahres wirklich schon so geplant gewesen sei, könne man natürlich in Frage stellen. „Wichtig ist aber, dass das Ergebnis stimmt“, findet Hambach. Auch der Verein „Soko Tierschutz“, der den Skandal mit seinem Video Ende August ausgelöst hatte, beobachtet den Vorgang. „Dass Herr Dengler ausscheidet, ist zu begrüßen“, sagt der Vorsitzende Friedrich Mülln. Es sei aber wichtig, abzuwarten und wachsam zu sein. „Denn ein Neustart kann auch mit angeblich nicht belastetem Personal zum Fiasko werden“, erklärt Mülln.

Unterdessen weitet sich die Kritik an Agrarminister Peter Hauk, der im April ein Bußgeld verhindert hatte, aus. Die Opposition im Landtag will das Thema im Agrarausschuss besprechen. Und der Landesverband der Freien Wähler fordert eine sofortige Einberufung des „Landesbeirates für den Tierschutz“. Vorsitzender dieses Beirats ist Hauk. „Wir fordern, dass die Rolle und Einflussnahme von Herrn Minister Hauk lückenlos aufgeklärt wird“, sagt Monika Springer, die für die Freien Wähler im Tierschutzbeirat sitzt.