Der Weiler Stadtführer Ralf Boppel unternimmt mit 20 Gästen einen Spaziergang in vergangene Jahrhunderte.

Weil der Stadt - „Ich nehme Sie mit auf eine Zeitreise, wir gehen 500 Jahre zurück in die Vergangenheit“, verkündet Bürger Randolf alias Ralf Boppel den gut 20 Neugierigen, die sich trotz des kühlen Wetters am Sonntagnachmittag ins mittelalterliche Weil der Stadt entführen lassen wollen. Ganz aktuell aber ist der Hinweis auf die Hygiene-Regeln mit Abstand und Maske, wegen der der Stadtführer noch mal kurz nach Hause flitzen muss. Doch vom Treffpunkt auf dem Platz vor der Kirche St. Peter und Paul bis zu seinem Geschäft direkt gegenüber hatte es der Diplom-Ingenieur für Medizintechnik zum Glück nicht weit. Der 45-Jährige war übrigens im Sommer einer der Kandidaten für die Wahl des neuen Bürgermeisters und konnte im zweiten Wahlgang gut zehn Prozent der Stimmen auf sich vereinen.

 

„Dies ist meine erste Mittelalterführung seit einem Jahr“, erklärt der Weil der Städter mit Blick auf sein Manuskript und vor dem Hintergrund von Corona. Dies ist keine normale historische Stadtführung, sondern konzentriert sich hauptsächlich aufs Mittelalter, wobei das auch das ausgehende Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert hinein einschließt.

Der Bürgermeister wurde damals schon gewählt

Ralf Boppel, der vor vier Jahren die Ausbildung zum Stadtführer absolviert hat und die Stadtgeschichte als sein Hobby bezeichnet, ist es ein Anliegen, das Alltagsleben in der ehemaligen Reichsstadt zu schildern. Er spricht über die freien Bürger und sonstigen Stadtbewohner, die auch meistens frei gewesen seien, er erklärt die Privilegien, die die Bürger einer Reichsstadt hatten, etwa das Recht, den Bürgermeister zu wählen und auch wieder abzuwählen, „wenn der seinen Job nicht gut gemacht hat“ .

Am Turm der Stadtkirche zeigt der Stadtführer den Teilnehmern eine Maßeinheit, die beispielsweise für den Tuchhandel wichtig war: die Weiler Elle, genau 62,5 Zentimeter lang. Auf der anderen Seite der Kirche gelegen bietet sich die alte Lateinschule für den nächsten Stopp an. Die drastischen Schilderungen der Züchtigungsmethoden, die manche Schüler dort früher erdulden mussten, erzeugen bei einigen Zuhörern heute noch Kopfschütteln. Am Narrenbrunnen ist dann der geeignete Platz, um über die Zünfte zu sprechen – und zwar nicht die Narrenzünfte, sondern über die große Vielfalt der mittelalterlichen Handwerksberufe. „Wehe, der Messerschmied hat angefangen, Löffel zu machen, dann gab es Ärger mit der Zunft“, führt Bopel ein Beispiel für den hohen Grad der Spezialisierung an.

Weiter geht es in Richtung Viehmarktplatz, wo man sich im 13. Jahrhundert schon außerhalb der zu dieser Zeit errichteten staufischen Stadtmauer befand. Reste dieser Stadtbefestigung sind dort heute noch zu sehen. „Hier war der Lebensbereich der sogenannten unehrlichen Berufe wie Henker, Abdecker, Dirnen und Bader, also die Bediensteten im Badehaus“, erklärt er mit Hinweis auf die angrenzende Badtorstraße.

Die Menschen aßen früher mehr Fleisch

Am ehemaligen Viehmarkt schildert Ralf Boppel, wie im Mittelalter gespeist wurde. Er verblüfft seine Zuhörer damit, dass die Menschen damals mit durchschnittlich 100 Kilo pro Kopf mehr Fleisch gegessen haben als heute mit 90 Kilo. Die Reichen hätten Brot eher nur als Tellerersatz für das Fleisch genutzt. Es wurde nach dem Essen ans Vieh verfüttert oder den Bettlern gegeben, so Ralf Boppel, der sich sein Wissen durchs Literaturstudium angeeignet hat. Obst und Gemüse sei bis ins 17. Jahrhundert hinein nur gekocht auf den Tisch gekommen, und Gabeln habe es auch erst später gegeben, denn die habe man im Mittelalter wegen ihrer drei Zacken als des Teufels betrachtet.

Wer immer schon einmal ein Stück auf dem Wehrgang der Vorstadtmauer, errichtet zur Beginn des 15. Jahrhunderts, laufen wollte, hat nun Gelegenheit dazu. Vom Storchenturm, heute das Zuhause der Bürgergarde, geht es zum Roten Turm, der auch Diebsturm heißt und früher als Gefängnis genutzt wurde. Dort erläutert Ralf Boppel anhand von Beispielen aus dem Sachsenspiegel die vielen unterschiedlichen Abgaben, die die Menschen als Steuern zu leisten hatten. Und schließlich führt „Bürger Randolf“ die Besucherschar zum Spittl, dem ehemaligen Spital, wo Medizin und Aberglaube seine Themen sind.