Die Rutesheimer Fledermaus-Expertin Astrid Grauel rät, sich um die Gesundheit und Lebensräume der Tiere zu sorgen. Weil Fledermäuse verdächtigt werden, das Coronavirus übertragen zu haben, muss sie bei ihrer Arbeit derzeit spezielle Hygiene-Regeln einhalten.

Naturschutz - Die Wesen der Nacht stehen unter Verdacht. Sie sollen eine Rolle beim Ausbruch der Corona-Pandemie gespielt haben. „Wir dürfen keine Ängste schüren, sondern müssen Wissen vermitteln“, weiß die Rutesheimerin Astrid Grauel um ihre Rolle als Fledermausexpertin im Interview zur Situation der Tiere im Kreis Böblingen.

 

Frau Grauel, auf der Suche nach dem Ursprung von Sars-CoV 2 geraten Forschungslabore und Wildtiere in den Fokus. Die Schlagzeilen in Zeiten von Corona sorgen für Verunsicherung. Wie gefährdet, uns beim Kontakt mit Fledermäusen anzustecken?

Ich bin seit vielen Jahren Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Baden-Württemberg, engagiere mich als ehrenamtliche Sachverständige für den Fledermausschutz und wir sind mit der Wissenschaft in engem Kontakt. Es fehlen bisher jeglich Nachweise, dass einheimische Fledermäuse mit Sars-CoV 2 infiziert sind, müssen aber dennoch sicherheitshalber unsere Aufmerksamkeit auch darauf richten, dass eine mögliche Übertragung vom Menschen auf heimische Fledermäuse verhindert wird. Wer beispielsweise wie ich Tiere in Obhut nimmt, um sie aufzupäppeln und wieder auszuwildern, muss spezielle Regeln der Hygiene einhalten.

Wie wahrscheinlich ist die Ansteckungskette Mensch-Tier oder Tier-Mensch?

Das humane Sars-CoV 2 ist genetisch mit Viren von Wildtieren verwandt, der genaue Ursprung von Sars-CoV 2 oder dessen Vorläufer ist jedoch nach wie vor ungeklärt. Eine Übertragung von Sars-CoV-ähnlichen Viren von Fledermäusen direkt auf Menschen ist extrem unwahrscheinlich. Auch von ihrem Kot geht keine Ansteckungsgefahr aus. Trotzdem sollte Vorsicht gelten, auch zum Schutz der Fledermäuse.

Welchen Anteil hat der Mensch an solch möglichen Übertragungen?

Nach bisherigen Erkenntnissen sind bei Sars-ähnlichen Coronaviren immer Zwischenwirte im Rahmen mehrerer Übergänge notwendig, um einen humanpathogenen Erreger entstehen zu lassen. Damit es zu derartigen Mutationen kommen kann, bedarf es zahlreicher Virusgenerationen und damit vieler Jahre sowie eine besondere Nähe von ursprünglichen Virusträgern, den Zwischenwirten und uns Menschen. Dies findet sich zum Beispiel bei Massentierhaltungen oder Wildtiermärkten, auf denen verschiedenste Wildtiere lebend in enger Haltung sowie frisch geschlachtet oder zubereitet zum Verkauf angeboten werden. Häufig lassen die hygienischen Verhältnisse bei Haltung, Transport und Verkauf zu wünschen übrig.

Was können wir tun, um künftige Pandemien zu verhindern?

Die Wahrscheinlichkeit von diesen zoonotischen Pandemien kann in Zukunft minimiert werden, indem Naturschutz und Tierschutz verbessert werden. Wildtiere, darunter auch Flughunde und Fledermäuse, gehören nicht auf den Speiseplan.

Was halten Sie von Fledermaus-Vergrämungen?

Rein gar nichts. Sie aufgrund einer vermeintlichen Gesundheitsgefahr zu bekämpfen, ist völlig unbegründet und zudem strafbar. Fledermäuse sind weltweit wichtige und unverzichtbare Akteure in Ökosystemen.

Und wie machen wir das Leben der Fledermäuse leichter?

Fledermäuse leben seit Jahrhunderten mit Menschen zusammen. Sie leben in und an Gebäuden oder Bäumen und verbringen den Winter in Höhlen, Stollen, alten Kellern, Kirchtürmen oder auch Baumhöhlen und halten dort Winterruhe. Ihre Sommer- und Winterquartiere sind zu erhalten und können noch auf die Bedürfnisse der Fledermäuse hin optimiert werden. Wenn ein Gebäude abgerissen oder saniert werden oder aber ein Baum mit Höhlen und anderen Versteckstrukturen fallen soll, muss vorher nachgeschaut werden, ob dort Fledermäuse leben, damit sie nicht durch die Arbeiten verletzt oder getötet werden. Maßnahmen und Zeitpläne sind abzustimmen. Eine frühzeitige Beteiligung der Fledermausexperten gerade bei größeren Sanierungsobjekten von typischen Fledermausquartieren ist wichtig und erspart Kosten und Komplikationen.

Wo suchen Sie Fledermäuse auf?

Ich schaue mir die Fundorte der Findeltiere an, gehe konkreten Hinweisen nach und kontrolliere bekannte Quartiere oder versuche, neue zu finden. In Winterquartieren suche ich nach hängenden oder in Spalten versteckten Tieren und ansonsten laufe ich mit Fernglas und Detektor herum. So habe ich auch die Tunnel der ehemaligen Schwarzwaldbahn zwischen Ostelsheim und Calw schon nach Fledermäusen abgesucht, bevor diese in den Fokus der Hermann-Hesse-Bahnplanung getreten sind. Seit vergangenem Jahr darf ich die Mausohrenwochenstube der Weil der Städter Stadtkirche betreuen. Hier kommen auch weitere interessante Vogelarten wie Mauersegler und Turmfalken vor, für die ebenfalls sehr intensive und langjährige Maßnahmen stattfinden. Ein winterliches Highlight sind die Höhlenbegehungen auf der Schwäbischen Alb, auf die ich mich immer besonders freue.

Was können Hausbesitzer und Sanierer für die Fledermäuse tun?

Es gibt viele einfache Möglichkeiten, in friedlicher Koexistenz zu leben. Wichtig bei Sanierungen ist der Erhalt der Quartiere und Einflugmöglichkeiten oder rechtzeitiger Ersatz durch einfache bauliche Lösungen. Man kann zum Beispiel auch regelrechte Fledermaus-Hochhäuser aufhängen: Das sind sägeraue Bretter circa im Zwei-Zentimeter-Abstand. Je nachdem, welche Art davon profitieren soll, können sie im Dachgebälk oder auch an der Hauswand angebracht werden.

Welche wichtigen Aufgaben erfüllen die Nachtjäger?

Sie nehmen in einer Nacht ein Drittel bis zur Hälfte ihres Körpergewichts an Insekten zu sich. Das sind bis zu 4000 Stechmücken, die den Menschen nicht mehr piesacken. Die fangen sie unter anderem auch mit ihren aufgespannten Flügeln im Flug. Man kann mit dem Fledermausdetektor hören, wenn die Fledermaus Beute macht. Mit einem solchen Detektor kann man die Ultraschallwellen der Fledermäuse hörbar machen und durch die Frequenz und das Frequenzmuster auf die Art schließen, wobei die Bestimmung nicht für alle Arten einfach oder eindeutig ist und es dafür viel Übung und Expertenwissen bedarf.

Was gehört sonst noch zum Speiseplan der kleinen Flieger?

Es gibt sehr unterschiedliche Fledermausarten und mit dem unterschiedlichen Körperbau findet auch eine Einnischung in Lebensraum und Nahrungsspektrum statt. Die Wasserfledermaus kann neben zahlreichen Insekten, die sie über der Wasseroberfläche erbeutet, sogar kleine Fische aus dem Wasser fangen. Die Schwanzflughaut fungiert dabei als Kescher und ihre Fußkrallen sind besonders lang. Während Abendsegler und Mauersegler mit viel Speed im freien Luftraum unterwegs sind, können Langohren einen Baum wie ein Kolibri Blatt für Blatt, quasi in der Luft stehend, nach Fliegen, Spinnen und bevorzugt nach Nachtfaltern absuchen. Große Mausohren brauchen offene und lichte Wälder für ihre krabbelnde Bodenjagd auf Käfer.

Wo finden die Fledermäuse ihre Nahrung?

In strukturreicher Landschaft mit Gehölzen, Streuobstwiesen, Alleen, Heckenriegeln und Wasserläufen oder im Wald. Deshalb ist Biodiversität so wichtig, ein Artenreichtum in Flora und Fauna. Ausgeräumte Landschaften sind das Gegenteil, aber auch der Landschaftsverbrauch ist problematisch, ebenso die Lichtverschmutzung. Leider sorgt die Verwendung von LED-Lampen oft auch für noch hellere Beleuchtung in der Nacht. Das stört nicht nur Fledermäuse.

Sie gehen den Ursachen auf den Grund.

Ich bin Diplom-Geografin und im Brötchenberuf im amtlichen Naturschutz in einer Landesbehörde tätig. Das weitet den Blick für viele Belange. Außerdem bin ich auf einem Bauernhof aufgewachsen und es ist mir ein großes Anliegen, dass Landwirtschaft und Naturschutz gut miteinander funktionieren. Eine gute Entwicklung ist auch, dass sich Gutachter, Architekten und Baumpfleger in Sachen Fledermausschutz und Artenschutz fortbilden können und auch zunehmend von dem Angebot Gebrauch machen. Insgesamt besteht hier aber immer noch ein großer Bedarf.

Wie helfen Sie als Ehrenamtliche?

Wenn Menschen sich melden, weil sie junge oder geschwächte Fledermäuse gefunden haben, dann schauen wir, wie wir die Tiere wieder flugfähig bekommen und sie wieder in Freiheit und in ihre Fledermausgemeinschaft zurückbringen zu können. Wir schauen auch nach ihren Quartieren, wie sicher diese sind oder ob es Optimierungsbedarf gibt. Wir beraten bei anstehenden Sanierungen oder auch gewünschten Fledermausschutzmaßnahmen. Wir kontrollieren bestimmte Fledermausquartiere, Wochenstuben und Winterquartiere, zählen dort die Tiere und schauen nach dem Rechten.

Wie haben Sie eigentlich ihre Zuneigung zu den Wesen der Nacht entdeckt?

Fledermäuse haben mich schon immer fasziniert. Da ich mich seit circa 25 Jahren generell um hilfsbedürftige Wildtiere kümmere, wurden mir auch in der Vergangenheit immer wieder einzelne Fledermäuse zum Päppeln anvertraut. Als dann aber der Strom aus gestrandeten, verunglückten und auf der Suche nach Wasser in Ölabscheidern gelandeten jungen Fledermäusen aus einer nahe gelegenen Autowerkstatt nicht abriss, war kein Halten mehr und es wurde zunehmend wichtig, sich noch intensiver mit der Artengruppe, ihrem Verhalten, ihren Ansprüchen und ihrer Lebensweise zu beschäftigen, damit ich ihnen bei der Pflege und Auswilderung gerecht werden kann. Auf der Suche nach Antworten für meine vielen Fragen bin ich dann darauf gestoßen, dass die Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Baden-Württemberg Sachverständige für den Fledermausschutz ausbildet und damit begann auch das Engagement auf anderen Ebenen.