Gelernt hat Fero Freymark bei Yves Klein, Werner Ruhnau und bei den Steinen der Provence. Seine Skulpturen stehen in Frankreich und dem Heckengäu. Nur in seiner Heimat Weissach ist er nie angekommen. Am Samstag wird er 80 Jahre alt – ein Atelierbesuch.

Weissach - Konzentriert schaut Fero Freymark auf das kleine Puzzle. So? So? Oder doch so? Aus drei Teilen besteht der Entwurf für sein neuestes Werk, nämlich ein Altartisch und ein Lesepult. Noch sind es kleine Pappmodelle, keine zehn Zentimeter groß. Wenn der Schreiner daraus die Kirchenausstattung fertig gezimmert hat, dann stehen sie in einer Kirche in Dreux im Norden Frankreichs, im dortigen alten, gotischen Gotteshaus aus dem 13. Jahrhundert.

 

Ein wenig schräg und winklig, und doch harmonisch fügen sich die drei Teile zusammen, aus denen der Altar besteht. Ein bisschen so, wie in dem Werk all das zusammenfließt, was dem Künstler Fero Freymark wichtig ist und sich in acht schöpferischen Jahrzehnten zu seiner Handschrift entwickelt und zu vielen roten Fäden verknüpft hat. Da wäre der Glaube, da wäre Frankreich und die bäuerliche Landschaft der Provence, die sich in dem Dreux-Altar ebenso widerspiegelt wie die aufmerksam-intensive Arbeitsatmosphäre in Weissach, wo Freymark vor 18 Jahren seine Heimat-Zelte aufgeschlagen hat.

Was soll die Kunst?

Hell und hoch sind die Fenster in seinem Atelier in der Ölmühle. Freymark hat in der Mitte Platz genommen, die Sonne strahlt auf seinen Hinterkopf. Wenn ihm etwas wichtig ist, beugt er sich nach vorne, die Stimme nimmt Volumen an. Fangen wir mit der wichtigsten Frage an. Was soll die Kunst? „In unserer anonymen Welt umgibt uns die Kunst mit Mythos“, sagt er. Technische Programme, die heute alles umgeben, sind von sich aus menschenlos. „In der Kunst erscheint die menschliche Seele.“

In 80 Jahren ist ihm das in Fleisch und Blut übergegangen. Nicht nach und nach, sondern in Schüben, in Phasen. Drei Jahreszahlen fallen Fero Freymark auf Anhieb ein, wenn er zurückblickt: 1958, 1973, 2000. Nach der Geburt in Köln und der Kindheit in Westpommern ist er per Zufall 1958 in Gelsenkirchen gelandet und heuert als 19-jährige Architekten-Praktikant in der Bauhütte von Werner Ruhnau an. Der Architekt errichtet damals das neue Gelsenkirchener Musiktheater und greift dafür auf die Idee der mittelalterlichen Bauhütte zurück. Handwerker, Ingenieure und Künstler wohnen auf der Baustelle und arbeiteten Hand in Hand.

Der junge Fero schlittert mitten hinein ins Epizentrum des aktuellen Kunst-schaffens. Weil er gut französisch kann, darf er Yves Klein assistieren, der im Theaterbau seine heute weltberühmten Schwammreliefs im Yves-Klein-Blau installiert. „Gelsenkirchen ist die Grundlage meines Lebens“, sagt Freymark heute. Er lernt das Verweben von Kunst und Architektur, die damals in Ruhnaus Bauhütte eng zusammenarbeiten und die in Fero Freymark fortan wirken. Soll er Architektur studieren, was der Vater, aus einer Baumeisterdynastie stammend, von ihm fordert? Oder soll er Maler und Bildhauer werden, was er unbedingt will? Tue beides, geben die Künstler in Gelsenkirchen dem 19-Jährigen auf den Weg. „Wenn Du beides tust und verbindest, folgst Du der Spur der Bauhaus-Lehre“, sagen sie ihm. „Wir bitten dich darum, dieses Erbe anzutreten.“

Er lernt in der Provence

1973 folgt die nächste wichtige Station. Als er einen Film über die Freundschaft eines Schmieds aus der Provence mit Albert Camus sieht, will er diesen Schmied treffen, und bleibt an der südfranzösischen Landschaft hängen. „Sie kennen die Provence? Nein?“, fragt er den Reporter beim Atelierbesuch. „Ich zeige es Ihnen mit wenigen Strichen.“ Dort seien die Hänge steil. Um sie einigermaßen bewirtschaften zu können, schufen die Provencalen Stufen, samt Mauern. Und obendrauf senkrechte Steine, damit die Ziegen nicht weglaufen.

„Das sind fertige Skulpturen“, sagt Freymark und zeigt auf die senkrechten Steine. „Das ist mein Lebenswerk – mehr habe ich nicht gemacht.“ Die Natur ist fortan sein großes Vorbild. „Was die Bauern aus der Natur geschaffen haben, das kannst Du als Bildhauer nicht besser machen“, erklärt er. Schräg, harmonisch und klar sind seine Skulpturen und Zeichnungen, so wie die aufgeschichteten Steine der Provence.

Auch die drei Elemente für den Dreux-Altartisch, vor dem der Künstler derzeit sitzt? „Ja, klar“, ruft er und zeigt begeistert auf das Pappmodell: „Der Glaube steht für mich auf drei Säulen.“ Glaube, Liebe, Hoffnung. Oder: Vater, Sohn, Heiliger Geist. Kommende Woche wird das Modell dem Kirchengemeinderat vorgestellt, dann legt der Schreiner los. Gewachsen ist all das in ihm durch eine emotionale und familiäre Beziehung zu Dietrich Bonhoeffer, dem Pfarrer, der 1945 im KZ Flossenbürg ermordet wird. 1998 erschafft er dazu eine Skulptur für Bonhoeffer, in der er Reste eines Gefängnistors verarbeitet. „Sie zeigt, wie er war, wie er erhobenen Hauptes aufs Schafott steigt“, erklärt der Künstler.

Vor 18 Jahren zieht er nach Weissach

2000 der Schnitt. Fero Freymark und seine Frau, die Musikerin Ute Pohl, verkaufen alles, das Atelier in der Provence und die Häuser in Stuttgart und Pforzheim. „Wir wollten uns von allem trennen“, erinnert sich Freymark. Die beiden stehen da, mit viel Geld, aber ohne Hab und Gut. Da entdeckt Ute Pohl ein Grundstück in Flacht und Fero Freymark kitzelt seine Architektur-Leidenschaft wieder hervor. Zwei Gebäude entstehen, eines für ihn, eines für seine Frau, aneinandergelehnt – eben wie die Steine in der Provence.

Weissach erklärt er zu seiner Heimat, beteiligt sich am Kinderferienprogramm, wird stellvertretender Vorsitzender des Heimatvereins, arbeitet mit Flüchtlingen. „Ich muss wissen, wie die Leute ticken“, erklärt er. Das sind jetzt seine beiden Welten. Kunstzeitschriften in New York und Tokio behandeln seine Werke, versehen mit dem Hinweis: Fero Freymark, Weissach. Den Ortsnamen trägt er auch in die Welt, wenn der ohnehin schon Hochdekorierte in die Société des Artistes Français aufgenommen wird und 2007 eine Bronze- und 2009 eine Goldmedaille bekommt – für einen Deutschen eigentlich unmöglich.

Nicht genügend gewürdigt sieht er dagegen sein Wirken in seiner Heimat Weissach, wo sein Geburtstag kaum bemerkt wird, wie er findet. „Das schmerzt mich wirklich, ich bin verletzt“, sagt Freymark. Schmerz, den der Künstler in produktives Schaffen münzt und weiterschaut. „Sehen Sie hier, mein Lieblingsobjekt“, sagt er zum Abschied. „Durchblick“ heißt es, wobei der Durchguck nicht sonderlich groß ist. Ein wenig bücken muss man sich schon, um schauen zu können. Fero Freymark gelingt das auch mit 80 mühelos.