Überall gibt es Neubaugebiete. Was bedeutet es für Familien, wenn sie den Neubau eines Eigenheims wagen? Zwei Beispiele aus Weissach.

Weissach - Noch ist es eine grüne Wiese. Das Ehepaar La Mattina und Markus Breig stehen darauf und fangen schon einmal an zu träumen. Wo kommt das Haus hin, wie groß wird der Garten sein, wo geht’s zu Joggingstrecke?

 

Noch kennen sich die beiden Familien kaum, aber bald werden sie sich täglich über den Weg laufen und Nachbarn sein.

Im Neubaugebiet „Kirchbergstraße“ in Flacht haben sie ein Grundstück ergattert, und wagen damit den Schritt in Richtung Eigenheim. Wie so viele in der Region. Fast alle Städte und Gemeinden versuchen, dem riesigen Bedarf nach Wohnraum nachzukommen und erschließen hektarweise Grün- und Ackerland. Aber was bedeutet das wirklich für die Familien?

Die Breigs – schwäbische Schaffer

Vier Kinder haben Markus Breig und seine Frau. Da brauchen sie ein größeres Haus. Foto: factum/Jürgen Bach
Markus Breig ist der typische, schwäbische Schaffer. Aus dem Schwarzwald kommt er, seit seinem Elektrotechnik-Studium arbeitete er zuerst bei Ericsson und von 2002 an bei Bosch in Leonberg. Seine Frau arbeitet in Stuttgart, pendelt mit Bus und Bahn. „Da bietet sich diese Ecke hier zum Wohnen an“, sagt Breig. 2002 ist er nach Weissach gezogen, die vier Kinder im Alter von 13, 9, 7 und 5 Jahren sind mittlerweile fest in die Strukturen der Gemeinde integriert, in die Schulen und die örtlichen Vereine.

„Wir wollen hier bleiben“, sagt Markus Breig, aber das Problem ist eben: „Unser Haus ist viel zu klein.“ Als die Breigs das gebaut hatten, hatten sie ein Kind, mittlerweile muss die kleine Tochter im elterlichen Schlafzimmer schlafen. Seit zwei Jahren schon tun die Breigs das, was viele Familien tun: Sie schauen sich um nach neuem Wohnraum. Der muss groß genug sein und trotzdem irgendwie bezahlbar. „Vieles ist viel zu teuer“, sagt der Familienpapa. „Wenn wir nichts finden, müssen wir weiter raus, aufs Land.“

Ein Bürgermeister im Dilemma

Der Weissacher Bürgermeister Daniel Töpfer (CDU) führt oft solche Gespräche: Junge Weissacher Familien suchen Wohnraum, wollen in der Gemeinde bleiben, finden aber nichts, was bezahlbar wäre. „Deshalb haben wir dieses Neubaugebiet umgesetzt, und zwar nach dem Ankaufmodell, um gezielt junge Familien unterstützen zu können“, erklärt er. Auf das Ankaufmodell setzen immer mehr Kommunen, neben Weissach auch Rutesheim und Weil der Stadt. Das bedeutet, die Gemeinde kauft zuerst alle Grundstücke selbst auf, entwickelt dann das Neubaugebiet. Somit kann sie bestimmen, an wen später die Grundstücke verkauft werden und zu welchem Preis.

In der Kirchbergstraße sind das 420 Euro pro Quadratmeter. „Das ist eine große Unterstützung für Familien“, sagt Töpfer. „Wenn wir die Grundstücke nach Höchstgebot versteigern würden, wären sicherlich 650 bis 700 Euro drin.“ Entsprechend hoch ist die Nachfrage. Für die 13 kommunalen Grundstücke gab es 2700 Interessierte und später dann 134 konkrete Bewerbungen. Wer also soll sie bekommen? Das ist eine schwierige Frage, die die Gemeinderäte in Weissach, Rutesheim und Weil der Stadt gleichermaßen beschäftigt hat. Herausgekommen ist ein Punktesystem, das einheimische Familien und solche mit Kindern bevorzugt. Wenn die Politik Einheimische bevorzugt, gerät das schnell unter den Verdacht der Diskriminierung. Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist das aber legitim, wenn in dem Verfahren die sozialen Kriterien überwiegen. Einen ganzen Fragebogen mussten die Breigs deshalb ausfüllen, all die Kriterien angeben. „Wir haben nie im Leben damit gerechnet, dass es klappt“, erinnert sich Markus Breig. Umso größer die Freude, als die Nachricht gekommen ist: Sie bekommen ein Grundstück. Als Weissacher Bürger und mit vier Kindern sind sie genau die Zielgruppe.

Die La Mattinas – eine ziemlich normale Familie

Die La Mattinas wohnen in Rutesheim zur Miete. Jetzt ziehen sie nach Flacht. Foto: factum/Jürgen Bach
Kaum glauben konnten es auch die La Mattinas, als sie erfuhren, dass sie neue Bewohner in der Flachter Kirchbergstraße werden dürfen. „Ja, das war eine Überraschung“, sagt Elena Cristiani-La Mattina. „Mit zwei Kindern fühlt man sich eigentlich als ganz normale Familie – und rechnet sich deshalb wenig Chancen aus.“ In einer großen Wohnung in Rutesheim lebt die Familie derzeit zur Miete – das aber soll nicht so bleiben. Nach einem Haus suchen sie schon lange, möglichst in Weissach soll es stehen. „Ich bin hier aufgewachsen“, sagt die Familienmutter. Hier sind die La Mattinas verwurzelt, in das Gemeindeleben eingebunden und auch beruflich tätig, sie betreiben den Italiener „Stazione da Franco“ im Bahnhofsgebäude. Nach Rutesheim mussten sie ausweichen, weil sie in Weissach nichts gefunden hatten. „Wo immer es Baugebiete gab, hatten wir uns in die Interessentenliste eingetragen“, berichtet Elena Cristiani-La Mattina.

Viele Möglichkeiten, solche Baugebiete zu erschließen, hat Weissach nicht mehr. Wie viele Kommunen im idyllischen Heckengäu ist die Gemeinde fast komplett von Landschafts- und Naturschutzgebieten umschlossen. Im aktuellen Flächennutzungsplan, der bis 2035 gilt, ist die Kirchbergstraße das einzige Neubaugebiet im Ortsteil Flacht, das dort noch möglich ist. Der Bürgermeister setzt deshalb auf Tempo. „Einer der größten Fehler, den Kommunen dabei machen können, ist, keine Bauverpflichtung auszusprechen“, sagt Bürgermeister Daniel Töpfer. Das heißt: Wer in drei Jahren nicht baut, verliert das Grundstück wieder – so steht es im Kaufvertrag. Und damit die neuen Bauherren zügig beginnen können, kann das Rathaus auch schnell die Straßen und Leitungen bauen lassen. Viel Geld ist dabei übrigens für die Rathaus-Kasse nicht übrig geblieben. Viele, vor allem ärmere Kommunen, hoffen, die Grundstücke von Neubaugebieten teurer an die Eigentümer veräußern zu können, als die Erschließung gekostet hatte, um einen kleinen Gewinn zu machen. „Wir hatten hohe Aufwendungen für den Artenschutz“, erklärt Töpfer. „Auch die Erschließung war aufgrund der angespannten Marktsituation deutlich teurer.“

Spannendste Zeit des Lebens

Damit stehen Straßen, und für die Bauherren beginnt eine der spannendsten Zeiten ihren Lebens: Das eigene Haus planen und entwerfen. Wobei Markus Breig das jetzt schon zum zweiten Mal macht. „Beim ersten Haus hatten wir einen Bauträger – das war die Hölle“, berichtet er. „Das will ich besser machen.“ Breig hat sich schon entschieden, nur den Rohbau machen zu lassen. Beim Innenausbau will der Ingenieur dann vieles selbst machen, zum Beispiel die Bäder, Böden, Decken und Tapeten.

Die La Mattinas lassen es dagegen nicht ganz so schwäbisch angehen. Sie waren schon in der Fertighaus-Ausstellung in Fellbach. „Wir sind beruflich sehr eingespannt“, sagt Elena Cristiani-La Mattina. Deshalb die schlüsselfertige Variante. Das geht auch etwas schneller, schon im kommenden Jahr wollen sie einziehen. Markus Breig rechnet mit dem Einzug in 2022. Und dann ist das Fleckchen Erde in der Kirchbergstraße keine Wiese mehr, sondern das Zuhause junger Familien.