Was genau es mit der neuen S-Bahn-Linie S 62 auf sich hat, wissen nicht alle, die einsteigen. Einige Fahrgäste kritisieren, dass die Expressbahn Stationen auslässt, andere freuen sich.

„Ich wusste gar nicht, dass die S-Bahn nicht in Renningen hält“, meint der in Korntal in die S 62 zugestiegene Fahrgast gestresst und schafft es gerade noch, in Leonberg auszusteigen. Ein lautes Piepen ertönt, und die Türen schieben sich zischend hinter ihm zu. Seit dem 12. September war die neue S 62 täglich 13-mal in jede Richtung zwischen Weil der Stadt und Zuffenhausen unterwegs – bis Sonntag. Seit Montag und noch bis zum 6. November wird die Linie nicht bedient, weil bei der Bahn zu viele Zugführer krank sind.

 

Fahrgäste wie der Korntaler, die unsere Zeitung vor der vorübergehenden Einstellung gesprochen hat, dürfen sich grundsätzlich freuen, von der Kepler-Stadt mit der Express-Bahn ohne Zwischenstopp nach Leonberg zu gelangen. Anke Bummer etwa ist begeistert, dass es so flott geht. „Auch aus meinem Freundeskreis habe ich bisher nur Positives gehört“, meint sie. Drei weitere Bahnhöfe (Ditzingen, Weilimdorf und Korntal), werden auf dieser Strecke ebenfalls angefahren. Der S-6-Halt in Renningen, welcher ein wichtiger Knotenpunkt ist, um auf die S 60 nach Böblingen zu wechseln, entfällt jedoch.

Der wichtige Halt in Renningen wird ausgelassen

Auch Lisa Przioda aus Weilimdorf hat diese Erfahrung machen müssen, als die S-Bahn ohne Halt direkt nach Weil der Stadt durchbretterte. „Ein wenig ärgerlich ist es schon gewesen, aber so ist es eben, wenn man sich nicht informiert und einfach seine Routine abfährt“, meint sie pragmatisch. Gefragt hat sie sich allerdings, woher die Entscheidung kommt, Renningen auszulassen.

In der Planung wurde der Halt nicht vergessen und war auch durchaus Wunsch des Verbands Region Stuttgart (kurz VRS). Strukturell war er jedoch nicht umsetzbar, da die Taktung zwischen den Bahnhöfen Stuttgart und Weil der Stadt zu eng ist. Der zeitliche Mindestabstand kann daher nicht eingehalten werden. „Es hat ein wenig Großstadtfeeling“, meint Przioda und freut sich über die engere Taktung der S-Bahnen.

Anschlüsse zur Strohgäubahn passen nicht

Zugig und kalt ist es im Schatten des Bahnhofs Zuffenhausen. Einige Wartende stehen deswegen in der Sonne, entfernt von Gleis zwölf, wo in Kürze die S 62 nach Weil der Stadt abfahren wird. „Die S 6 hat zu viel Verspätung. Dadurch verpasse ich meistens meinen Anschluss in Korntal mit der Strohgäubahn“, moniert ein jüngerer Fahrgast am Bahnsteig. „Aus diesem Grund habe ich die S 62 mit der Abfahrtszeit gewählt.“ Wirklich zufrieden ist er mit dem Konzept jedoch nicht. „Wenn die anderen S-Bahnen pünktlich fahren würden, bräuchte man die S 62 überhaupt nicht.“

Vom VRS heißt es, dass seit Beginn der Coronapandemie die Linie S 6 besonders nachgefragt wird. Um diese Strecke gerade wegen der hohen Nachfrage attraktiv zu halten, wurde die neue Express-S-Bahn eingeführt. „Man könnte natürlich auch immer Langzüge einsetzen, dann wäre es auch besser“, lautet der einfache Lösungsvorschlag des Fahrgastes zur hohen Auslastung.

Froh über den engen Takt der S-Bahn

Eine Ansage tönt über den Bahnsteig und unterbricht für einen Moment das Gespräch. Dann wird es richtig laut. Ratternd fährt das Objekt des Anstoßes ein. „Es ist ein unüberlegtes Konzept des Verbands Region Stuttgart gewesen“, fügt der Fahrgast noch hinzu und steigt ein. Ein anderer Bahnnutzer, der anonym bleiben möchte, befindet sich auf dem Weg nach Weilimdorf. Über die engmaschige Taktung ist er froh. Seine knappe Verbindung zwischen Bus und Bahn in Zuffenhausen entspannt sich dadurch merklich.

Jochen Schmitt, der in Leonberg einsteigt, fährt zur Arbeit nach Ditzingen. „Zeitlich läuft es für mich aufs Gleiche raus, da der Halt in Höfingen nicht viel Zeit gekostet hat“, erklärt er. Über die enge Taktung ist er jedoch ebenso begeistert. „Mir geht es eher um Flexibilität. Ich kann einfach zur S-Bahn gehen und muss mir keine Gedanken darüber machen, länger als zehn Minuten warten zu müssen.“ Dass dadurch die Auslastung entzerrt wird, nimmt er positiv zur Kenntnis.

Probleme in Fahrtrichtung Weil der Stadt

Zwei Stationen weiter verliert die fast leere S 62 kurz vor Neuwirtshaus plötzlich an Fahrt und kommt am Porscheplatz schließlich komplett zum Stehen. Einsteigen ist jedoch nicht möglich. Die Türen bleiben fest geschlossen. Dass dies bei den Fahrgästen auf dem Bahnsteig Unmut verbreitet, ist deutlich sichtbar. Der knapp dreiminütige Halt wird jedoch nicht fahrplanmäßig eingelegt, sondern muss heute eingeschoben werden. „Das funktioniert nicht in dieser Richtung, das liegt an der Kreuzung“, erklärt der Lokführer der S 62 die Situation. „Es bringt eigentlich nur was für die Leute, die von Weil der Stadt runter nach Leonberg oder Ditzingen fahren“, äußert er sich kritisch.

Viele Zufallsnutzer in der S 62

Frau Irtenkauf, auf dem Weg von Leonberg nach Bad Cannstatt, kann es zeitlich noch nicht einschätzen, ob sich die S 62 für sie lohnen wird. „Ich will jetzt mal sehen, wie ich in Zuffenhausen umsteigen kann“, meint sie zur Frage, ob sie die S 62 wieder benutzen würde. Eingestiegen ist sie nur, da es ihr auf dem Bahnsteig zu kalt war.

Georg Dietz steigt in Ditzingen ein, um zur Schule zu fahren. Die Abfahrtszeit hat heute für ihn einfach gepasst. Sich gezielt für den Express zu entscheiden, würde er nicht. „Besonders nicht, wenn ich dafür zehn Minuten warten müsste.“ Selbst die wenigen Stopps wären für ihn, wie für andere, kein Anreiz, die S 62 künftig explizit zu wählen.

Hoher Krankenstand

Konsequenzen
Die Deutsche Bahn AG hat einen hohen Krankenstand und hat daher mehrere Strecken vom 26. September bis zum 6. November eingestellt. Wie S-Bahn-Chef Dirk Rothenstein vergangene Woche ankündigte, ist davon die S 62 von Weil der Stadt nach Zuffenhausen betroffen, die erst am 12. September den Betrieb aufgenommen hatte. Hier solle auf die S 6 ausgewichen werden.

Regionalbahnen
Nicht mehr bedient wird außerdem die Schusterbahn (RB 11) von Untertürkheim nach Kornwestheim und die Teckbahn (RB 64) von Kirchheim/Teck nach Oberlenningen.