Nur zwei Prozent aller Wälder in Deutschland gelten als naturnah. Oftmals gibt die Holzwirtschaft den Takt vor. Renningen will das ändern und tut bereits viel dafür. Eine Exkursion.

Der Wald als Sehnsuchtsort, Holz-Lieferant, Kohlendioxid-Speicher und Sauerstoffproduzent hat erst jüngst erneut seine Bedeutung für die Menschen als massenhaft wiederentdecktes Lieblingsziel für Aufenthalte mit Distanz bewiesen. Angesichts der Auswirkungen des Klimawandels rückt der Wald als Ökosystem nicht nur bei dessen Besitzern in den Fokus.

 

In Renningen haben sich im Herbst 2020 Bürgerinnen und Bürger zur „Waldinitiative Renningen“, kurz WIR, zusammengetan und sich dem Verein Ökostadt Renningen angeschlossen, der auch das Carsharing betreibt. „Wir setzen uns für einen artenreichen, naturnahen und zukunftsfähigen Wald ein“, sagte Jörg Stenner von der Waldinitiative. Infoveranstaltungen sollen Impulse dafür setzen.

Oft bestimmt die Holzindustrie die Arbeit

Deshalb hatte die Waldinitiative jetzt zu Vorträgen und einer Exkursion in die Wälder auf der Renninger Gemarkung eingeladen. Mit dabei waren rund 40 Interessierte und als Fachmann der studierte Forstwirt, Vorsitzende einer Forstbetriebsgemeinschaft und ehemalige saarländische Umwelt-Staatssekretär, Klaus Borger. Auch der Erste Beigeordnete der Stadt, Peter Müller, war gekommen, um zu hören, was Förster Borger über den Renninger Wald zu sagen hatte. 730 Hektar Gemeindewald und 85 Hektar Wald der Süßkind-Schwendi-Stiftung bewirtschaftet der städtische Forstbetrieb. Außerdem gibt es 200 Hektar Staatswald auf der Gemarkung Renningen.

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Nur zwei Prozent aller Wälder hätten ganz allgemein die Bezeichnung „naturnah“ mit vielen verschiedenen Baumarten aller Altersstufen verdient, sagte Klaus Borger. Vielfach bestimme die Holzindustrie, was im Wald gepflanzt werde und wie dick ein Baum werden dürfe. Es gehe oft darum, möglichst rationell zu arbeiten, um die Holzernte so kostengünstig wie möglich zu machen. Er empfehle den Waldbesitzern seiner Betriebsgemeinschaft, mit der Natur zu arbeiten. „Die macht das schon seit 300 Millionen Jahren.“

Ausgaben für den Wald sind kein rausgeschmissenes Geld

Die Entwicklungen hätten gezeigt, dass das Anpflanzen von Bäumen aus rein wirtschaftlichen Aspekten scheitere. Auch vermeintlich klimaresistentere Arten wie die Douglasie oder die große Küstentanne, die im Staatswald in Renningen gepflanzt wurde, bewährten sich bei zunehmender Hitze und Trockenheit nicht. Es gelte vielmehr, auf Naturverjüngung zu setzen, um einen guten, artenreichen Mischwald zu erhalten.

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Peter Müller betonte, dass sich die Stadt Renningen ihren Wald rund eine Viertelmillion Euro im Jahr kosten lasse. Hätten früher die Holzerlöse bis zu 180 000 Euro erbracht, so seien dies heute durch eine andere Art der Bewirtschaftung und Verzicht auf Einschlag nur noch etwa 60 000 Euro. „Für die Erholungsfunktion des Waldes ist eine Viertelmillion kein rausgeschmissenes Geld“, so Müller. Das Freibad koste die Stadt 300 000 Euro im Jahr, da frage auch keiner nach dem Nutzen. Forstfachmann Borger lobte denn auch den städtischen Wald: „Man sieht, dass hier eine schonende Hand am Werke war.“

Junge Eichen aus der Baumschule haben es schwer

Angesichts einer Eichen-Neupflanzung mit Verbissschutz aus Plastikröhren meinte Klaus Borger, man solle stattdessen entsprechende Vereinbarungen mit den Jägern treffen. „Das haben wir schon“, betonte Peter Müller. Er wolle auch kein Plastik im Wald haben. „Im Wald gibt es Gewinner und Verlierer“, sagte Klaus Borger. Die jungen Eichen hätten ohnehin einen schweren Stand, weil sie mit unterschnittenen Wurzeln aus der Baumschule kamen.

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Dazwischen wachsen ganz natürlich Bergahorn- und Buchentriebe heraus. Borger lobte auch die Weißtannen im Renninger Wald. Es sei eine „tolle Baumart“, die dank ihrer Pfahlwurzel auch bei Trockenheit Wasser erreichen könne. Auch deren Naturverjüngung koste kein Geld und vertrage sich gut mit dem Mischwald. Die solle man unbedingt fördern.

Lokale Firmen als Partner des Waldes gewinnen

Christel Erz von Rossnatours schilderte ihre Arbeit mit Rückepferden, die das eingeschlagene Holz aus dem Wald holen. Im naturnahen Wald würden die Pferde im Gegensatz zu den kostenintensiven Maschinen an Bedeutung gewinnen, sagte Klaus Borger.

Vor einer als „Waldrefugium“ gekennzeichneten Fläche im Hardtwald sagte der Forstmann: „Es ist schön, dass man hier so eine kleine Insel hat. Das ist auch eine Möglichkeit, dass unsere Enkel und Urenkel einmal große Bäume sehen.“ Der Waldinitiative schwebt laut Jörg Stenner vor, dass man solche Refugien auf großen Flächen von 50 Hektar ausweise. Borger ergänzte, dass vielleicht große Firmen am Ort als Partner dafür gewonnen werden könnten, die ihren CO2-Abdruck auf diese Weise kompensieren.