Die Leonberger Seniorin, Witwe des Architekten Günter Frey, blickt auf ein erfülltes Leben zurück.

Leonberg - Auch wenn die Menschen heute immer älter werden, einen 100. Geburtstag feiern zu können, ist immer noch etwas Besonderes. Ursula Barbara Frey wurde am 17. März 1921 in Leonberg als Tochter von Gustav und Elise Josenhans geboren. Auf ganz lebendige Weise erzählt sie aus ihrem Leben. Der Vater war Architekt und Oberamtsbaumeister in Leonberg. Einer ihrer Josenhans-Vorfahren war einst Bürgermeister in Leonberg. Das Original-Portrait von ihm hat sie der Stadt vermacht. Es hängt im Trauzimmer im Alten Rathaus bei all den anderen Honoratioren der Stadt.

 

Auch wenn sie seit einiger Zeit auf den Rollstuhl und auf Pflege im Seniorenzentrum am Parksee angewiesen ist, ist sie geistig topfit, hat immer noch ein außerordentlich gutes Gedächtnis und offensichtlich auch eine robuste Gesundheit. Der Beginn der Pandemie im vergangenen Jahr und der erste Lockdown mit der Isolation über Monate hat ihr innerlich doch sehr zu schaffen gemacht. Mittlerweile hat sie sich wieder stabilisiert und erholt. Im vergangenen Dezember hat sie in ihrem hohen Alter eine Corona-Infektion relativ symptomfrei nur mit etwas Fieber überstanden.

Musik als verbindendes Element

An ihre Kindheit hat Ursula Frey viele glückliche Erinnerungen. Als wäre es erst gestern gewesen, erinnert sie sich an ihre sechsjährige Schulzeit in Leonberg und wie sie 16-jährig ihren späteren Mann Günter Frey kennenlernte. Die Musik hat die beiden näher zusammengebracht, denn musikalisch waren sie beide: sie spielte Klavier, er die Violine, was zu dieser Zeit gar nicht so einfach war. „Es gab keine Jugendmusikschulen wie heute, die Eltern mussten ihre Kinder zu privaten Musiklehrern schicken. Dort haben wir bei Vorspiel-Nachmittagen gemeinsam musiziert“, erinnert sich die Seniorin. Doch der spätere freie Architekt Günter Frey muss damals bereits schon ein Interesse für das Bauwesen gehabt haben, denn Ursula Frey erinnert sich an ein Baupraktikum, bei dem er „viele schwere Säcke“ schleppen musste. Ab 1937 ging sie nach Stuttgart auf die Höhere Töchterschule des Königin-Katharina-Stift, um das Abitur zu machen, bis dann der Krieg dazwischenkam.

Ursula Frey hat viel aus ihrem langen Leben zu erzählen. Foto: privat
Mit Beginn des zweiten Weltkriegs musste Günter Frey in den Krieg, er ging zu den Gebirgsjägern, und Ursula wurde von Herbst 1939 bis März 1940 zum Arbeitsdienst in der Landwirtschaft abgestellt. „Die Männer waren alle im Krieg, da brauchten die Bauersfrauen auf der Alb Hilfe,“ erzählt sie. „Wir waren 30 junge Mädchen, die gemeinsam in einem Haus untergebracht waren. Geschlafen haben wir auf Strohsäcken in Stockbetten.“

Übersetzerin in Posen

Später konnte sie das Notabitur machen, und heute noch kennt sie lateinische Sinnsprüche auswendig. Fremdsprachen lagen ihr, und so ging sie nach Heidelberg zum Studium der russischen und italienischen Sprache, unter anderem auch in Italien selbst, in Perugia. Vor Kriegsende wurde sie als Übersetzerin im polnischen Posen eingesetzt. Die Kriegszeit war hart, nicht nur, was die Arbeitseinsätze betraf. Denn zu ihrem Günter konnte sie nur über Feldpostbriefe Kontakt halten. „Sechs Jahre lang haben wir uns kaum gesehen, die Briefe waren die einzige Verbindung“, erinnert sie sich. Beide blieben sich in all der Zeit weiter gewogen und heirateten bald nach Kriegsende 1946.

Günter Frey war von Kriegsgefangenschaft verschont geblieben, „weil er zuletzt als Gebirgsjäger oben in den Bergen war und die Russen nur unten im Tal“. Auch das Heiraten war so kurz nach dem Krieg nicht einfach für das junge Paar. Zu der Zeit gab es keinen Standesbeamten in Leonberg. „Der damalige Bürgermeister Gotthold Ege hat uns ausnahmsweise getraut, und für die kleine Hochzeitsfeier mussten ein paar Kaffeegedecke und Besteck dazu ausgeliehen werden, denn nach dem Krieg gab es ja nichts.“ Immerhin konnten die beiden in das 1927 von ihrem Vater erbaute Elternhaus in der Unteren Burghalde mit einziehen.

Kopien am Lichtpausapparat

Nach den unruhigen Kriegsjahren setzte Günter Frey sein Architekturstudium fort. Als er sich selbstständig machte, half Ursula zunächst mit im Büro ihres Mannes und kopierte dort unter anderem Baupläne – mit einem „Lichtpausapparat, der schwer zu bedienen war und der im Freien in der Sonne belichtet werden musste“, erzählt sie lachend. Aber ihr eigentlicher Lebensinhalt wurde ihre Familie, als 1947 das erste Kind auf die Welt kam. „Ich war ein totaler Familienmensch, und ich war das sehr gerne“, sagt die Frau, die drei Söhne und eine Tochter großgezogen hat, darunter auch Johannes Frey, ebenfalls Architekt wie der Vater und für die Freien Wähler im Leonberger Gemeinderat. Elf Enkel und neun Urenkel hat Ursula Frey mittlerweile. 56 Jahre waren Ursula und Günter Frey verheiratet, bis zum Tod ihres Mannes im Jahr 2003.

Die Familie war von jeher sehr christlich ausgerichtet, und Ursula Frey spricht noch heute jeden Tag in ihrer Wohngruppe im Seniorenzentrum das Mittagsgebet und betet auch für die ganze Familie und für Freunde. Viel mehr Abwechslung ist ihr nicht geblieben. „Früher habe ich nächtelang durchgelesen, das war das Schönste für mich“, doch jetzt ist auch das Lesen beschwerlich geworden. „Aber ich will nicht klagen. Ich bin rundherum sehr gut und liebevoll versorgt hier im Heim und von meinen Lieben“, beschließt sie das Gespräch.