Die Bauarbeiter beschweren sich über Raser. Auch die Polizei stellt Geschwindigkeitsüberschreitungen fest.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Leonberg - Der Schnellste hatte ein Tempo von 206 Kilometern pro Stunde drauf. Dabei ist während der nächtlichen Bauarbeiten im Engelbergtunnel auf der Autobahn A 81 nur Tempo 60 erlaubt. „Das Ergebnis verschlug auch erfahrenen Autobahnpolizisten fast die Sprache“, heißt es im Bericht des Polizeipräsidiums Ludwigsburg über eine Verkehrskontrolle in der Nacht zum Dienstag. In der Zeit zwischen 23 und 2 Uhr waren sechs Autofahrer um mehr als 41 Stundenkilometer schneller als erlaubt. Die in dem Tunnel tätigen Bauarbeiter hatten die Polizei auf den Plan gerufen.

 

„Man nimmt keine Rücksicht“, sagt Martin Appel vom Bauunternehmen Dürr über das Fahrverhalten auf der Autobahn. „In der Nacht sowieso nicht“, ergänzt er. Im Durchschnitt sind rund 15 Mitarbeiter der von Dürr und Siemens gebildeten Arbeitsgemeinschaft nachts in dem Tunnel tätig. Vor den Autofahrern schützt sie fast nichts: Die gesperrten Spuren sind nur mit den rot-weiß gestreiften Baken von der Fahrbahn abgetrennt und nicht mit einer Betonwand.

„Das muss man selbst erleben“

Denn tagsüber soll der Verkehr wieder fließen, und die Absperrung wird abgebaut. „Die Autos rasen in einer Entfernung von ein bis zwei Metern an uns vorbei“, beschreibt Martin Appel die Situation, die er eigentlich unbeschreiblich findet. „Das muss man selbst erleben“, sagt er. Von den Unternehmen wurde bisher aber noch kein Mitarbeiter bei einem Unfall verletzt. Auf einer anderen Baustelle der Firma an der A 3 ist allerdings vor zwei Wochen ein Autofahrer auf ein Fahrzeug aufgefahren.

„So eine Geschwindigkeitsüberschreitung birgt ein enormes Gefahrenpotenzial“ bestätigt Peter Widenhorn. Bei 206 Stundenkilometer habe der Fahrer keine Kontrolle mehr über sein Auto, sagt der Polizeisprecher. „Den erschreckenden Höhepunkt“ der nächtlichen Verkehrskontrolle bildete ein 21-jähriger Fahrer eines Mercedes, der gegen 0.35 Uhr durch die Röhre raste. Für ihn fallen Bußgeld und Fahrverbot deutlich höher aus, als für die anderen fünf zu schnellen Autofahrer. Sie müssen neben einem Bußgeld von 160 Euro und zwei Punkten mit einem Fahrverbot rechnen. „Von Bauarbeitern an Autobahnen kommen relativ häufig Beschwerden über Geschwindigkeitsüberschreitungen“, sagt Peter Widenhorn.

Je mehr Gas man gibt, desto besser klingt es

Da die Arbeiten direkt im Bereich der Fahrbahn unter Sperrung von einzelnen Fahrstreifen stattfinden, ist laut Regierungspräsidium die Begrenzung auf 60 km/h aus Arbeitsschutzgründen erforderlich. „Die Sicherheit der Beschäftigten ist uns ein sehr wichtiges Anliegen“, teilt die Behördensprecherin Katja Lumpp mit. In der Nacht wird gearbeitet, um wiederum die Belastung der Autofahrer gering zu halten. Geschwindigkeitsüberschreitungen „beobachten wir leider häufig“, ergänzt sie.

Dem Gefühl von Martin Appel nach fahren die meisten Autofahrer bei verlangten 60 Stundenkilometer etwa 80, und bei 80 die meisten 100 km/h. Im Engelbergtunnel hielten sich die wenigsten an die Vorgaben, sagt er, 20 Stundenkilometer zu schnell ist für ihn schon normal. „So ein Tunnel ist verführerisch: Je mehr man Gas gibt, desto besser klingt es“, sagt er über die Motivation der Raser – „und nachts kann man erst recht richtig Gas geben.“

Dauerbaustelle auf der A 81

Vorarbeiten
Momentan würde im Engelbergtunnel eine große Anzahl von Kabeln neu gelegt beziehungsweise verlegt, teilt das Stuttgarter Regierungspräsidium mit. Diese Arbeiten dauern voraussichtlich bis Mitte Oktober. Sie sind „eine Vorabmaßnahme“ für die im kommenden Jahr beginnenden Hauptbauarbeiten.

Hauptsache
Für die Sanierung des Engelbergtunnels rechnet die Behörde mit weiteren vier Jahren. Es kostet rund 110 Millionen Euro, die durch aufgequelltes Anhydrit entstandenen Schäden zu beheben. Der Engelberg drückt quasi auf die Tunnelwände, weshalb sich die Fahrbahnen wölbten. Nun soll teilweise der Belag verdoppelt werden, in jede Röhre wird zusätzlich eine 40 Zentimeter dicke Verschalung eingebaut und eine Zwischendecke eingezogen, die Druck von außen abhält. Die Arbeiten finden hinter einer Wand statt, um die Autofahrer nicht abzulenken. Es sollen immer drei Spuren in beide Richtungen befahrbar sein.