Die Brüder Roman und Tim Essig aus Perouse setzen auf modernste Brenntechnik, um die Tradition ihrer Urgroßeltern fortzuführen.

Rutesheim - Jetzt geht es los!“ Aus dem silbernen Röhrchen, das aus dem Messzylinder ragt, ergießt sich in einem kleinen Bogen eine durchsichtige Flüssigkeit. Darauf hat der fleißige Obstsammler eine ganze Saison lang hin gearbeitet, um nun die Früchte seiner Bemühungen einzufahren.

 

Roman Essig steht versetzt neben der kupfer- und edelstahlglänzenden Anlage und behält gleichzeitig das glockenklare Rinnsaal und ein Alkoholmeter im Auge, das im Messzylinder steckt. „Das ist der Vorlauf“, sagt der Brennmeister der Destillerie „Brand No. 17“. Die 17 steht nicht etwa für die Anzahl edler Geiste, Brände, Liköre, Rum- oder Gin-Varianten, die hier kreiert wird. Die Zahl 17 ist schlicht die Hausnummer der Perouser Abfindungsbrennerei in der Waldenserstraße, in der an diesem Samstagmorgen mal wieder feinster Obstbrand entsteht.

Mit dem Urgroßvater hat alles begonnen

Roman und sein älterer Bruder Tim, die jüngst die Brennerei vom Vater übernommen haben, leiten alle Markenbezeichnungen ihrer Produkte aus dem aktuellen und den früheren Standorten der Destillerien der Familie Essig ab: Brand No. 47, steht für die Hauptstraße 47 in Perouse, Brand No. 7 für die Friedhofstraße 7 in Weissach, wo 1913 mit dem Urgroßvater Wilhelm Essig alles begann. „Tatsächlich bestand die Brennerei in Weissach aber schon länger – mindestens seit 1856“, erzählt der 45 Jahre alte IT-Unternehmer Tim Essig, der in dem Zwei-Mann-Team die aufwendige Büroarbeit erledigt.

Die Heizanlage, die den Brennkessel und die darin enthaltene Birne-Apfel-Maische auf die optimale Temperatur von 78,3 Grad erhitzt hat, erzeugt ein stetiges Brummgeräusch in der kleinen Garage, in dem die nigelnagelneue Brenn-Anlage der Essigs Platz gefunden hat. Nach einigen Minuten beginnt der Brennmeister, hektisch zwischen einem kleinen Tischchen und der Brenn-Anlage hin- und herzulaufen. Bei jedem Gang hat er ein verschließbares Glas in der Hand, in das er jeweils rund 200 Milliliter des gewonnenen Destillats abfüllt. Mit dem kleinen Finger streift er zwischendurch immer wieder durch den Flüssigkeitsstrahl.

Es riecht nach Flüssigkleber

Der Geschmacks- und Geruchstest am dritten Glas beweist, dass der Vorlauf noch immer anhält: „Das riecht noch nach Flüssigkleber“, sagt der 36-Jährige, der im Brotberuf Ingenieur in der Automobilbranche ist. Der sogenannte Vorlauf, der im Brennvorgang bereits bei einer etwas tieferen Siedetemperatur entsteht, enthält neben dem „guten“ Ethanol verschiedene leichtflüchtige Substanzen, darunter einen hohen Anteil giftiges Methanol.

Tim und Roman Essig haben mit der Übernahme des Betriebs in vierter Generation nicht nur die Brennräume renoviert und die Internetseite von „Brand No. 17“ auf Vordermann gebracht, sondern auch die gesamte Brenn-Anlage erneuert. Seit einigen Wochen steht nun eine im Wortsinn brandneue computergesteuerte Destille, die sämtliche Parameter automatisch überwacht, im Brennraum der Brüder Essig. Hergestellt wurde das edelstahl- und kupferglänzende Herz der Brennerei bei der Firma Carl in Eislingen, selbst ein Traditionsunternehmen, das seit dem Jahr 1869 Destillen herstellt. „Zwischen 20 000 und 35 000 Euro muss man für eine solche Anlage investieren“, sagt Tim Essig.

Schnaps in einem Rutsch

Während in früheren Zeiten ein Brenndurchgang einige Male wiederholt werden musste, bevor endlich ein qualitätsvoller Obstbrand aus der Anlage floss, kann mit modernen Destillen der Schnaps in einem einzigen Rutsch gebrannt werden. Zuerst wird dabei ganz klassisch die vergorene Maische mit einem Grundalkoholgehalt von rund fünf Prozent im Brennkessel erhitzt. Der so entstehende rund 35-prozentige Alkohol-Wasser-Dampf steigt daraufhin über den kupfernen Helm und das sogenannte Geistrohr nach oben. Kondensierte früher über eine Kühlereinheit nun bereits die Flüssigkeit, wird sie heute in einer Verstärkerkolonne mit übereinander gestaffelten Destillierböden erneut mehrmals erhitzt. „So reichert sich von Boden zu Boden immer mehr Alkohol an“, erklärt Roman Essig. Die Anlage in Perouse verfügt über drei Destillierböden mit aufgesetztem Dephlegmator. Gleichzeitig wird bei Siedevorgängen die Reinheit des Destillats immer höher. Ein nachgelagerter Katalysator, der in seinem Inneren zahllose Kupferlamellen verbirgt, reinigt die Flüssigkeit noch weiter.

Nach dem siebten Glas, das Roman Essig mit Vorlauf füllt, beginnt endlich der Mittellauf, aus dem später der Obstbrand besteht. „Wenn man im Nachhinein feststellt, dass im letzten Glas schon guter Alkohol war, kann die Menge nachträglich noch dem Mittellauf zugeführt werden.“ Weil die beiden Brüder wegen der Renovierungsarbeiten und der Installation der neuen Anlage in diesem Jahr weniger brennen konnten als gewöhnlich, ist die Brennerei derzeit bis auf die letzte Flasche ausverkauft. „Die nächsten 250 Flaschen haben unsere Stammkunden bereits vorbestellt“, sagt der ältere der beiden.

4,8 Liter Destillat in zwei Stunden

Von dem Brennvorgang, der sich am Samstagmorgen gegen zehn Uhr dem Ende zuneigt, haben die wartenden Kunden der Essigs allerdings nichts. Er ist ein sogenannter Abtrieb für einen Stoffbesitzer. Soll heißen, die Birnen-Apfel-Maische indem Brennkessel gehört einem Obstbauern, in dessen Auftrag Tim und Roman Essig destillieren. Aus 91 Liter Maische werden so binnen zwei Stunden insgesamt 4,8 Liter Destillat mit einem Alkoholgehalt von 71 Prozent.

„Nach ein paar Tagen Ruhezeit wird dann noch durch das Zugeben von Wasser der Alkoholgehalt auf die vom Kunden gewünschte Höhe reduziert.“ Am Ende entstehen an diesem Samstagmorgen auf diese Weise aus einem Fass vergorenem Birnen-Apfel-Brei etwa acht Liter bester Obstbrand. „Woher das butterweiche Quellwasser zum Verdünnen des Destillats stammt, verraten wir aber nicht“, sagt Roman Essig und lacht dabei.