Die Stadträte beklagen Wohnungsnot und Verkehrschaos und sparen nicht mit Kritik an der Verwaltung.

Leonberg: Thomas Slotwinski (slo)

Leonberg - Es ist fast wie in der Bundespolitik im fernen Berlin: Kurz vor der Verabschiedung des Haushalts nutzen die Fraktionen im Leonberger Gemeinderat die Gelegenheit zur Positionierung, Profilierung, manchmal auch zur Abrechnung.

 

Das Ganze firmiert unter dem sperrigen Titel „Kommunalpolitische Erklärungen“. Und in der Tat handelt es sich bei der letzten Ratssitzung vor dem Etatbeschluss im Dezember nicht um eine richtige Debatte.

Vielmehr hat jede Fraktion die Möglichkeit, ihre Einsichten in 15 Minuten vorzutragen. Gruppierungen unter drei Personen haben keinen Fraktionsstatus und dürfen nur zehn Minuten sprechen. Das ärgert Frank Albrecht von der Wählergruppe SALZ derart, dass er nun schon zum dritten Mal auf einen Vortrag verzichtet und seine, zeitlich deutlich längeren Gedanken, schriftlich und per Video verbreitet.

Die Erklärungen zum Haushalt 2019 stehen in einem besonderen Licht, sind es doch die ersten unter dem gefühlt immer noch neuen Oberbürgermeister Martin Kaufmann, der am 1. Dezember sein erstes Amtsjahr hinter sich hat.

Dauert alles viel zu lange?

Er muss sich allerlei Kritik an seiner Verwaltung anhören. Besonders die lange Zeit, die die Antwort auf Anfragen oder die Umsetzung verschiedener Ratsbeschlüsse beansprucht, ist ein parteiübergreifendes Ärgernis. Axel Röckle, der hintersinnig argumentierende Fraktionschef der Freien Wähler, bedient sich eines Zitats des legendären einstigen Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel: „Eine Daueraufgabe ist in der Praxis eine Aufgabe, die dauernd nicht erledigt wird.“

Und selbst ein Parteifreund Kaufmanns spart nicht mit Spitzen: Der SPD-Fraktionschef Ottmar Pfitzenmaier spricht ein Versprechen des Oberbürgermeisters beim Vereinsempfang am 3. Oktober an: „Für Ihre Ankündigung, der Baubetriebshof würde die Vereine künftig bei bedeutenden Veranstaltungen unterstützen, haben Sie tosenden Applaus bekommen.“

Doch ein entsprechender Beschluss, den die SPD bereits vor einem Jahr beantragt hatte, wurde immer noch nicht gefasst, „obwohl dessen Aufbereitung nun keine besonderen intellektuellen Ansprüche stellt“, stichelt Pfitzenmaier.

Und setzt noch eins drauf: Das zuständige Amt habe sich einem von den Vereinen gewünschten und vom Gemeinderat beschlossenen Runden Tisch zur besseren Terminkoordinierung verweigert. „Das ist respektlos und anmaßend.“

Der OB hört sich dies und anderes mit stoischem Lächeln an und meldet sich nur kurz, wenn die Redezeiten zu üppig überzogen werden. Denn bei den großen Themen aller Redner, der Not an bezahlbarem Wohnraum und dem Kampf gegen das Verkehrschaos, ist er in der Rolle des Machers. Bisher ohne größeren Gegenwind.

Hier lesen Sie Auszüge aus den Haushaltsreden.

Elke Staubach, CDU-Fraktionschefin

Elke Staubach, CDU: „Ist der Bau von Sozialwohnungen das Nonplusultra? Wir befürchten das Risiko von Investitionen in Neubauten und späteren Fehlbelegungen. Personen, die heute Anspruch auf eine solche Wohnung haben, verlieren ihn vielleicht irgendwann, bleiben dann aber in der für sie günstigen Wohnung. Die Zahlung von Wohngeld kommt den wirklich Betroffenen zugute. Der Vermieter erhält seine reguläre Miete, der betroffenen Person wird so lange geholfen, so lange die Voraussetzungen gegeben sind.

Elke Staubach Foto: privat
Der Wohnungsbedarf im niedrigen Preissegment hält an. Im Jahr 2006 wurde der Flächennutzungsplan 2020 beschlossen. Man könnte meinen, dass alles abgearbeitet ist. Weit gefehlt! Es ist nicht so, dass keine Flächen mehr zur Verfügung stehen würden. Die Umsetzung funktioniert aber nur, wenn im Rathaus genügend Mitarbeiter vorhanden sind. Die Verwaltung muss über Leihpersonal oder Amtshilfe nachdenken.“

Axel Röckle, Fraktionschef der Freien Wähler

Axel Röckle, Freie Wähler: „Wir setzen uns für stabile Steuersätze, insbesondere bei der Grund- und Gewerbesteuer, ein. Es wäre angesichts der brummenden Konjunktur und den damit einhergehenden Einnahmen der öffentlichen Hand verfehlt, Erhöhungen anzustreben. Seit Jahren wird von uns angemahnt, für schlechtere Zeiten Vorsorge zu treffen. Wer in guten Zeiten nicht vorsorgt, darf sich in schlechteren Zeiten nicht wundern, wenn kein Handlungsspielraum besteht.

Axel Röckle Foto: privat
Der Haushaltsentwurf ist geprägt von fast 16 Millionen Euro neuen Schulden. Ein Ausgleich ist nur durch Grundstücksverkäufe vorgesehen. Ob das in der Folgezeit ausreichend ist, ist zweifelhaft.

Zweifel haben wir auch an der Korrektheit der geplanten Personalkosten. Die Kosten sind von 2017 bis 2019 um 15 Prozent gestiegen. Für den Zeitraum 2020 bis 2022 ist eine Steigerung von sechs Prozent geplant. Aber allein schon angesichts weiterer Kitas brauchen wir mehr Personal.“

Ottmar Pfitzenmaier, SPD-Fraktionschef

Ottmar Pfitzenmaier, SPD: „Etwas verwundert sind wir darüber, dass im Etatentwurf Investitionen von über 43 Millionen Euro geplant werden, obwohl klar ist, dass dies nicht funktionieren kann. 2018 werden davon gerade mal Zweidrittel realisiert. Das spricht nicht für die Aussagekraft des vorliegenden Planes und der damit verbundenen Neuverschuldung.

Ottmar Pfitzenmaier Foto: privat
Bezahlbarer Wohnraum ist nicht gleichzusetzen mit Sozialwohnungen. Ich denke, dass manche den dramatischen Handlungsdruck nicht erkennen wollen und hoffen, das regelt sich schon irgendwie von selbst. Wie sonst ist es zu erklären, dass es die Verwaltung binnen elf Monaten nicht geschafft hat, eine Potenzialliste für bezahlbaren Wohnraum vorzulegen?

Wichtig ist uns der Dank an den Oberbürgermeister für das erste Jahr mit einigen zukunftsweisenden Initiativen und für die offene, partnerschaftliche Zusammenarbeit, die wir bisher so nicht erlebt haben.“

Bernd Murschel, Fraktionschef der Grnen

Bernd Murschel, Grüne: „Die kommunalen Einnahmen sind auf einem hohen Niveau. Die Gewerbesteuereinnahmen bleiben über die letzten Jahre in stabiler Höhe von 28 Millionen Euro. Im Gegensatz dazu sind die Einnahmen aus der Einkommenssteuer rasant auf 41 Millionen ansteigend.

Bernd Murschel Foto: privat
Das heißt, der Haushalt wird ganz wesentlich von der guten konjunkturellen Lage mit sicheren und gut bezahlten Arbeitsplätzen getragen. Rund Zweidrittel der Menschen in der Region sind im Dienstleistungssektor tätig.

Für die Entwicklung in Leonberg mit nur wenigen Optionen für künftige Gewerbegebiete kann dies nur bedeuten: Sicherung und Erhalt hochwertiger Arbeitsplätze insbesondere im Dienstleistungsbereich. Wobei ich hier auch Bosch, Geze, oder Lewa bewusst einschließe. Ebenso den starken Mittelstand und das Handwerk. All das in einer lebenswerten Stadt, die nicht mehr nur autogerecht, sondern menschenfreundlich ist.“

Dieter Maurmaier, Sprecher der FDP

Dieter Maurmaier, FDP: „Beim Thema Verkehr ist es eine Illusion, Probleme voll und ganz lösen zu können. Aber Linderungen von extremen Belastungen sind möglich. Der Bedarf muss die Entscheidungsgrundlage sein. Dies gilt auch für die Projekte, die neuerdings diskutiert werden: autonom verkehrende Busse, über die Stadt schwebende Seilbahnen oder überbordende Datenfluten. Bevor man personalintensive und teure Planungen beauftragt oder gar Realisierungsschritte unternimmt, müssen Bedarf und Wirksamkeit geprüft werden.

Dieter Maurmaier Foto: privat
So muss die Ausgabe von über einer halben Millionen Euro für ein dynamisches Parkleitsystem zuerst auf den Prüfstand, selbst wenn es dafür einen ordentlichen Zuschuss gibt. Haben wir in der Stadt viel Parksuchverkehr? Werden derartige Informationen künftig nicht direkt in das Fahrzeug übertragen? Unser Antrag lautet: Zurückstellung dieser Investition bis die verkehrliche Wirkung belegt ist.“

Rainer Zachert, Sprecher der Neuen Liste

Rainer Zachert, Neue Liste: „Leonberg investiert sehr viel Geld. Aber die Investitionen müssen durchdacht sein. Schauen wir unser Parkhaus am Bahnhof an. Dort kann nur eine einzige Schnellladesäule für Elektroautos installiert werden, weil die Stromleitungen nicht ausreichend sind. Im Neuen Rathaus wurde eine Kantine gebaut. Das Kassensystem akzeptiert aber nur Mitarbeiterausweise. Besucher können sich lediglich einen Kaffee am Automaten besorgen. Das passt nicht dazu, dass das Rathaus ein Ort der Begegnung sein sollte. Es passt nicht dazu, dass wir erwarten, dass Besucher mit dem Bus kommen. Wenn Wartezeiten vor einem Termin entstehen, könnten die mit einem Besuch der Gastronomie überbrückt werden.

Rainer Zachert Foto: privat
Wenn wir Flächen für Digitalwerbung vergeben, sollten wir als Stadt Zugriff auf die Inhalte bekommen. So können wir einen Teil der Bildschirme für ein Parkleitsystem reservieren oder zur Verkehrslenkung oder zur Bürgerinformation.“

Frank Albrecht, Sprecher der Ratsgruppe SALZ

Frank Albrecht, SALZ: „Wir sprechen uns gegen Seilbahnfantasien aus. Das ist einfach Quatsch. Ein nettes Geschichtchen, zweifelsohne, und es gibt Planungsgeld vom Land, aber Fördergelder haben einen Nachteil: es sind ebenfalls Steuergelder. Die sollten wir nicht verschwenden. Denn: wer wird jemals Seilbahnstützen im Vorgarten dulden? Wer baut das ganze Zeug wieder ab, wenn das starre Fahr-Dreieck dann doch nicht die vermeintlichen Hotspots bedient?

Frank Albrecht Foto: privat
Also bitte, Herr Kaufmann: Lassen Sie uns praktikable, sofort wirksame Dinge tun! Dazu gehört im Übrigen auch nicht, einen Tunnel zu graben, der lediglich den Autobahn-Umgehungsverkehr aufnimmt, Jahrzehnte in der Ferne liegt, und nur das Stauproblem bedient, nicht den für eine lebendige Stadt gewünschten Ziel- und Quellverkehr. Gegen stets überlaufende und in die Stadt strömende Autobahnverkehre hilft nur eines: Die Autobahn so zu ertüchtigen, dass das immer weniger passiert.“

Gitte Hutter, Stadträtin der Partei Die Linke

Gitte Hutter, Die Linke: „Es herrscht dicke Luft in Leonberg. Deshalb muss dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs oberste Priorität eingeräumt werden. Es gibt viele Möglichkeiten: die Seilbahn, eine oberirdische Expressbahn. Leonberg könnte über Gerlingen an das Stuttgarter U-Bahn-Netz angeschlossen werden. Mehr Kreisverkehre würden den Verkehr flüssiger machen. Und der immense Schilderwald muss abgeholzt werden.

Gitte Hutter Foto: privat
Ein großes Ärgernis ist nach wie vor der Unrat. Digital gesteuerte Mülleimer können für Abhilfe sorgen. Und für die Vierbeiner muss gelten: Mehr Sackerl fürs Kackerl.

In Leonberg sind 300 Haushalte von Obdachlosigkeit bedroht. Müssen Menschen bald draußen schlafen? Was wollen Sie tun, wenn die Leute im Stadtpark zelten? Wollen Sie eine Situation wie im Hambacher Forst? Wir müssen alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, damit Wohnungen nicht leer stehen. Zweckentfremdungen darf es nicht geben.“