Wie eine Elterninitiative in Leonberg Stadtverwaltung und Gemeinderäte erlebt hat beim Versuch, zügig Luftfilter für Kitas und Schulen zu bekommen.

Leonberg - Leonberger Schulen und Kitas werden mit 84 Luftfiltern ausgestattet.“ Was sich auf den ersten Blick nach einer guten Nachricht für von Corona und Lockdown geplagte Kinder und Eltern anhört, sei bei genauerem Hinsehen eine Minimallösung, die dem Problem bei Weitem nicht gerecht werde. Das findet die Elterninitiative, die sich seit geraumer Zeit für den Einsatz von Luftfiltern in Leonberger Kitas und Schulen stark macht. Der gehören auch ehrenamtlich engagierte Bürger-Experten an.

 

„Diesen 84 Luftfiltern stehen 270 Räume für Kitas und Schulklassen bis Klasse 6 gegenüber. Die Luftfilter decken nicht einmal ein Drittel aller Räume ab, in denen sich Tag für Tag ungeimpfte Kinder bis zwölf Jahre aufhalten“, sagt Marita Raschke. Die promovierte Ingenieurin ist – gemeinsam mit Thomas Classen, promovierter Physiker und ebenfalls Vereinsmitglied im Förderverein Haldenkinderhaus – seit Beginn am Thema dran. „Man könnte meinen, diese Entscheidung des Gemeinderats sei das Ergebnis einer wohlweißlichen Abwägung verschiedener Interessen. Vielleicht ist sie das, vielleicht einfach nur das Produkt einer Abfolge von viel zu langem Warten und gravierenden Missverständnissen durch eine sehr unklare Kommunikation“, meinen die beiden.

Keine Luftfilter Im Oktober 2020 lagen bei stark steigenden Corona-Fallzahlen deutschlandweit erste wissenschaftliche Ergebnisse vor, die Luftfilter in Schulen als eine Möglichkeit zur Vermeidung oder Reduktion von Ansteckungen empfahlen. Auch in Leonberg wandten sich Elternbeiräte an die Stadt. „Dies endete leider mit der Entscheidung, dass die Stadt Leonberg keine Luftfiltergeräte an Schulen zulassen wird. Auch nicht, wenn sie fremdfinanziert wären“, weiß Raschke. Begründung: Es gab keine explizite Empfehlung des Umweltbundesamtes für Luftfilter an Schulen. Im Januar 2021 kam der Lockdown.

Pilotprojekt in Haldenkita Vor diesem Hintergrund haben die Fördervereinsvorsitzende des Haldenkinderhaus, Marita Raschke, und Thomas Classen am 26. April 2021 über die Bürgersprechstunde Oberbürgermeister Martin Georg Cohn (SPD) mit dem Anliegen kontaktiert, zumindest im Haldenkinderhaus Luftfilter aufstellen zu dürfen. Daraufhin wurden Luftfilter als eine Art Pilot- und Testprojekt für Leonberg aufgesetzt. Die beiden Fachleute sagten zu , das Pilotprojekt dann auch wissenschaftlich zu begleiten. „Unsere Auswertung des Projekts im Sommer ergab, dass die Lüfter im Automatikmodus den Kita-Betrieb nicht wesentlich störten. Weder durch Lautstärke, durch die notwendige Reinigung oder den entstehenden Luftzug – noch aufgrund ihrer Präsenz an sich“, schildert Marita Raschke.

Mit der Uni Stuttgart konnte simuliert werden, dass die Filter in den Räumen einen sehr großen und dadurch sinnvollen Beitrag zur Senkung des Infektionsrisikos leisten würden, wenn sich eine infektiöse Person im Raum befände. Da hier konventionell erhältliche Filter für kleinere Räume aufgestellt wurden, war die Ausstattung mit rund 8000 Euro für das Kinderhaus (400 bis 800 Euro je Raum) preislich durchaus überschaubar.

Ergebnisse Die Ergebnisse des Pilotprojekts sollten laut der Absprache mit dem OB Anfang Mai im Sozial- und Kultusausschuss des Gemeinderats vorgestellt werden. „Da wir aber von der Stadtverwaltung überhaupt nichts mehr gehört hatten, kontaktieren wir am 12. Juli erneut Herrn Oberbürgermeister mit dem Vorschlag, diese oder ähnliche Geräte jetzt für alle Kitas und Schulen einzusetzen und dies auch im Ausschuss so vorzustellen“, sagt Marita Raschke im Rückblick.

Für die Diskussion im Ausschuss wird jedoch eine schriftliche Beschlussvorlage benötigt. „Es stellte sich heraus, dass wir nur fünf Tage Zeit für unseren Bericht haben, denn der Ausschuss tagte am 21. Juli das letzte Mal vor den Sommerferien, weshalb der bis 16. Juli fertiggestellt werden musste.“

Das Team hat einen 17-seitigen Bericht aufgestellt, der alle bisherigen Studien von verschiedensten Unis und die Ergebnisse des Pilotprojekts zuzüglich einer Kostenabschätzung für die Anschaffung von Luftfiltern für alle Leonberger Kinder in Kitas und Schulen enthält. Nach mehreren Nachtschichten wurde er pünktlich am 16. Juli im Laufe des Vormittags per E-Mail und telefonischer Rückversicherung beim OB eingereicht. Der versprach, den Bericht an die Stadträte im Ausschuss zu verteilen.

Ausgeladen Zudem kontaktierte die Stadt das Team, dass es in der Sitzung einen zehnminütigen Vortrag als geladene Experten halten dürfe, was zu umfangreichen Vorbereitungen führte. „Montags vor der Sitzung wurden wir dann mit einem Anruf um die Mittagszeit informiert, dass wir als Teilnehmer der Sitzung wieder gestrichen wurden – scheinbar wegen fehlender Vorbereitungszeit und voller Agenda“, schildert Thomas Classen enttäuscht. Die Fachleute wollten klar machen, dass dieses Thema unbedingt noch vor den Ferien aufgrund mangelnder Zeit diskutiert werden müsste und sie bereit wären, den Vortrag zu halten. „Unser Ersuchen wurde jedoch abgelehnt. Die Chance, das Thema über die Sommerferien für alle Kita-Kinder und Schüler vorzubereiten, verstrich ungenutzt. Zwei wertvolle Monate gingen so verloren“, sagen die Elternvertreter frustriert.

Kompromiss Als Kompromiss blieb, dass die Stadtverwaltung die Zeit wenigstens nutzen werde, um alle relevanten Räume zu analysieren und so wenigstens eine schnelle Entscheidung nach der Sommerpause ermöglichen zu können. Über die Sommerferien wurde ein weiteres Luftfiltergerät eines anderen Herstellers, welches die Förderrichtlinie erfüllen würde, für das Albert-Schweitzer-Gymnasium als Testgerät angeschafft.

Verständnis und Unverständnis Das Team des Haldenfördervereins hat die Aufstellung und Inbetriebnahme des Geräts in den Sommerferien im ASG begleitet. Bei der sich anschließend entwickelnden Diskussion habe sich jedoch das Bild einer zerrissenen Verwaltung mit sehr unterschiedlichen Einzelpositionen gezeigt. Teilweise sei Verständnis für den Gesundheitsschutz der Kinder aufgebracht worden, teilweise völliges Unverständnis. Marita Raschke erinnert sich an die Aussage: „Wir sind eine Stadt, eine Kommune und wenn wir einen Kreisverkehr bauen, können ihn alle benutzen – Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer und auch Kinder. Wenn wir Luftfilter anschaffen, kommt das ja nur den Kindern zugute. Die sind ja nur ein kleiner Anteil einer Kommune und der Rest hat nichts davon.“

Am 13. September traf man sich bei einem Vorort-Termin im ASG mit einigen Stadträten, dem OB und Mitarbeitern des Gebäudemanagements und des Amts für Jugend, Familie und Schule. „Bei diesem Termin zeigte sich der teilweise sehr unterschiedliche Wissenstand beim Thema Luftfilter – sowohl bei den Verwaltungsmitarbeitern als auch bei den Stadträten“, mussten Raschke und Classen feststellen. „Das von uns vor den Sommerferien angebotene Expertengespräch zur Funktionsweise der Luftfilter hätte den Entscheidungsprozess vereinfachen und Zeit sparen können.“

Der Druck wächst Parallel lief über eine Elterninitiative eine Online-Unterschriftensammlung. Rund 850 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner forderten in Leonberg die Anschaffung von Luftfiltern. Nachdem das Umweltbundesamt inzwischen eingeräumt hat, dass Luftfilter als weitere Infektionsschutzmaßnahme sinnvoll sind und auch der Bund nun Fördermittel an die Bundesländer verteilt, stellt Baden-Württemberg inzwischen Gelder für deren Anschaffung zur Verfügung. Gefördert werden vier Kategorien, die priorisiert sind.

Mercedes-Lösung Kategorie a enthält nicht beziehungsweise schwer belüftbare Räume. Die Stadtverwaltung zeigt sich nur bereit, für diese sicher förderfähige Kategorie von Räumen Luftfilter anzuschaffen – also 34 von rund 270 Räumen. Eine Ausweitung auf weitere Räume wurde auch mit dem Hinweis auf die Kosten von 4000 Euro pro Raum abgelehnt. Diese Kosten entstehen, wenn Geräte anschafft werden, die so ausgelegt sind, dass sie auf alle Fälle förderfähig sind (fünf bis sechsfacher Raumluftwechsel pro Stunde und sehr leise).

„Eine Stadträtin spricht in diesem Kontext vom Mercedes unter den Luftfiltern“, erinnert sich Marita Raschke. Vorschläge, mehr Räume mit etwas günstigeren Geräten auszustatten, da eh nicht klar sei, wie weit die Förderung am Ende reicht, habe der Oberbürgermeister zurückgewiesen.

Überraschung Kurz vor der Sitzung des Sozialausschusses am 22. September – bei der das Team übrigens immer noch keinen Expertenvortrag halten und nur als Zuhörer im Publikum sitzen durfte – kam die Überraschung. Die Stadt Stuttgart, vorher eher zurückhaltend, entscheidet, über 1000 Luftfilter zusätzlich zu beschaffen, motiviert durch eine Petition der Stuttgarter Eltern. Das nimmt der Oberbürgermeister zum Anlass, im Sozialausschuss die Anschaffung zusätzlicher Geräten vorzuschlagen. Es geht um 46 weitere Geräte. In der Sitzung des Sozialausschusses fragte die Stadträtin Christiane Hug-von Lieven (SPD) explizit nach, ob diese Anzahl zusätzlicher Geräte ausreiche, die Klassen 1 bis 6 auszustatten, da sie eine weitaus höhere Zahl von Geräten dafür als nötig ansehe. Der OB bejahte dies. Die Geräte würden die Klassen 1 bis 6 abdecken, und es müsse das Ziel sein, alle Kinder bis zwölf Jahre mit Luftfiltern auszustatten. Daraufhin wird in der Sitzung entschieden, die 34 ursprünglichen plus 46 plus weitere vier Geräte anzuschaffen. In der folgenden Sitzung des Gemeinderates wird die Entscheidung bestätigt.

Reicht nicht „Wer genau zugehört hat, kann hier heraushören, dass mindestens Baubürgermeister Klaus Brenner meinte, dass die Geräte eben nicht ausreichend sind für die Klassen 1 bis 6, geschweige denn für Kitas“, sagt Marita Raschke. Auf eine Frage zu den Ausschreibemodalitäten, habe er geantwortet, dass ja nicht für alle Kinder Geräte angeschafft werden, sondern nur pro Einrichtung ein bis zwei weitere Geräte, die verteilt würden.

Ausschreibung Die Ausschreibung der Geräte läuft noch und zwar für 84 Raumluftfilter für insgesamt 36 Schulen und Kitas in Leonberg. Verteilt man diese gleichmäßig, bekommt jede Institution etwa zwei Geräte, manche drei. Dann muss die Beauftragung erfolgen, die Geräte müssen gebaut, geliefert und in Betrieb genommen werden. „Unnötig zu erwähnen, dass angesichts der zur Zeit schon wieder stark steigenden Corona-Fallzahlen der Einsatz der Luftfilter sehr spät kommen wird“, geben Raschke und Classen zu bedenken. Parallel wurden andere Maßnahmen heruntergefahren. So wurde seinerzeit in Kitas nicht mehr regelmäßig getestet. Das hätte die Stadt bezahlen müssen.

Teilerfolg „Im Vergleich zu 2020 ist es ein deutlicher Fortschritt“, sagen die beiden Fachleute. Es sei aber auch inkonsequent und in der Entstehung schwer vermittelbar und sicherlich für viele nicht nachvollziehbar, warum jetzt nicht alle Klassen und Kitas mit Kindern bis zwölf Jahre, wie anfänglich versprochen und sowohl von SPD und CDU im Vorfeld gefordert, mit Luftfiltern ausgestattet werden.

Fazit „Für uns ist es letztlich ein Teilerfolg mit einem schalen Nachgeschmack. Es bleibt außerdem der Eindruck bestehen, dass die Stadtverwaltung ihre Möglichkeiten nicht voll ausschöpft und auch nicht so geführt wird, dass sie einheitlich, schnell und konsequent auf externe Anforderungen wie hier den Schutz der Kinder in der Pandemie reagieren kann“, lautet das Fazit von Marita Raschke und Thomas Classen.

Nicht überall gelten die gleichen Richtlinien und es gibt Zweifel

Richtlinien
  Die technische Spezifikation zur Förderrichtlinie für Luftfilter des Landes Baden-Württemberg gibt einen Mindestraumluftwechsel von fünffach pro Stunde vor. Kombiniert mit einem maximalen Schalldruckpegel von 35 Dezibel im Bereich der Sitzplätze. Somit kommen nur drei Hersteller von Luftfiltergeräten überhaupt in Frage, um förderfähige Geräte anschaffen zu können. Diese sind dann allerdings die teuersten, welche die Anbieter im Angebot haben.

Andere Länder
 In Bayern wurde dieselbe Rate der Luftumwälzung vorgegeben wie in Baden-Württemberg, der Schallpegel der Geräte ist jedoch nicht eingeschränkt. In Nordrhein-Westfalen gibt die Richtlinie nur einen vierfachen Raumluftwechsel vor, da dies über die VDI-Richtlinie EE-4300 gedeckt ist.

Zweifel
 Die Wirkung mobiler Luftfilter in Klassenräumen zum Schutz gegen das Coronavirus ist nach einer Studie der Universität Stuttgart begrenzt. Die Experten sprechen sich in ihrer Analyse im Auftrag der Stadt Stuttgart dagegen aus, solche Geräte für alle Schulen anzuschaffen. In Klassenräumen, die zu kleine oder zu wenige Fenster haben, sollten laut Spezialisten des Instituts für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung mobile Geräte oder stationäre Filter eingesetzt werden. Die Fachleute betonen aber, dass die mobilen Luftfilter kein Ersatz für das Stoßlüften in Pausen seien.