Untergräbt Parteienstreit den breiten Konsens? Müntefering, dessen jüngste Gegenwartsanalyse im September in Buchform erschienen war, meint: Nein. Es sei richtig, dass die demokratischen Parteien bei Bedarf um den richtigen Weg streiten. "Nicht immer ist von vornherein klar, was genau das Richtige ist." Er meint: "Es ist gut, dass wir SPD haben und CDU/CSU, die Grünen und die Linken und die FDP - also ein anstrengendes Spektrum." Denn: Innerhalb dieses Spektrums gebe es ein Grundvertrauen in die demokratische Verlässlichkeit.
Was er meint, beschreibt der gebürtige Sauerländer mit einer Anekdote. "Als 1982 Helmut Kohl Kanzler wurde, war ich stinksauer. Ich wollte damals fast aus der Politik raus." Er habe keinen Kanzler gewollt, der immer gegen die Ostverträge des früheren SPD-Kanzlers Willy Brandt agitiert hatte, also gegen das Zugehen der Bundesrepublik auf die DDR. "Aber als Kanzler hat Kohl dann gesagt: Dies ist demokratisch entstanden, im Land und überall sollen alle wissen, dass unsere Vereinbarungen gelten."
Auf heute sei dies übertragbar. Grundvertrauen heißt für Müntefering: Niemand manipuliert die Regeln, wenn er an der Macht ist. "Unter den demokratischen Parteien ist klar: Sie werden die freien Wahlen nicht torpedieren, die Gerichte nicht torpedieren, die freien Medien nicht strangulieren."
Wenige Tage vor der US-Wahl mahnt Müntefering, der wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder vor allem für die rot-grünen Regierungsjahre steht: Demokratische Parteien täten nicht das, was autokratische Machthaber tun. "Ungarn, Polen, die Türkei, Russland fallen ein. Auch der derzeitige US-Präsident." Stattdessen würden sich diese Parteien wieder dem Urteil der Wählerinnen und Wähler stellen.
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