Zwei Betriebe im Kreis Böblingen haben ihre Produktion der aktuellen Nachfrage angepasst: Sie stellen jetzt Schutzschilder und Gesichtsmasken her, statt die Automobilindustrie zu beliefern oder Messestände auszustatten.

Corona - Seit fast 20 Jahren beliefert die Nufringer Firma Belkon – die Abkürzung steht für Belederung und Konzepte – Mercedes-Benz und fast genauso lange die Möbelindustrie. Aber in der Corona-Krise war ein neues Geschäftsmodell gefragt. Genauso ging es der Firma Seeeye in Holzgerlingen: Dem Betrieb, der sich auf Digitaldruck und Veranstaltungsbau spezialisiert hat, brachen im Februar die ersten Aufträge weg, als eine Messe in Barcelona abgesagt wurde. Jetzt haben beide mit unterschiedlichen Schutzmasken für das ganze Gesicht ein anderes Produkt auf den Markt gebracht – und damit ganz neue Kunden gewonnen.

 

„Unsere gesamte Geschäftswelt ist tot“, sagt Annett Frenzel, die Geschäftsführerin von Seeeye. In weiser Voraussicht entwickelten die Mitarbeiter bereits einige Zeit vor dem großen Ausbruch Ideen, wie der Betrieb die Krise überstehen könnte. „Überall haben wir gelesen, dass es Pflegepersonal und Ärzten an Schutzausrüstung und Masken fehlt“, erzählt die Geschäftsführerin. Das erste Produkt, das aus den Maschinen kam, war eine wiederverwendbare Maske, die den Mundbereich bedeckt. Dann folgte ein Schild aus Plexiglas, das Verkäufer im Einzelhandel schützen soll. Und nun ist bereits das dritte Corona-Krisen-Produkt in der Mache: Eine Maske, die das gesamte Gesicht bedeckt.

Die Bestellungen hören nicht auf

Bei Belkon in Nufringen zählt das Nähen zu einer Grundfertigkeit der zwölf Beschäftigten. Es habe also nahegelegen, in diesen Krisenzeiten die Kompetenzen auf einen Mundschutz „umzuswitchen“, sagt Michael Verfürth, der zusammen mit seiner Frau Maren die Geschäfte leitet. Den Familienbetrieb haben sie von ihrem Vater übernommen.

Beide waren gerade dabei, eine Eigenmarke für Kinderprodukte namens Steppke aufzubauen: Turnbeutel, Babytücher, Krabbelschuhe und Sitzerhöhungen. Da lag die Idee nahe, waschbaren Polyester zu Mundschutz zu verarbeiten. Das so wichtige Utensil sei ja praktisch überall ausverkauft, sagt der 35-Jährige.

Während die eine Hälfte des Betriebs in Kurzarbeit ist, schneidern die anderen Mitarbeiter an ihren Nähmaschinen ein Gesichtstextil, das allerdings nicht medizinisch geprüft und zertifiziert ist. Es sei aber trotzdem sinnvoll, findet Michael Verfürth: „Wer unsere Maske trägt, reduziert die Infektionsgefahr, denn man fasst sich dann nicht mehr ins Gesicht und reduziert das, was man feuchte Aussprache nennt.“ Das neue Produkt wird über einen Online-Shop vertrieben, der in einer Nacht-und-Nebel-Aktion entstand. Zudem bestellen Kommunen bei ihm – allein 1400 Stück für Rathausbedienstete und Personal in Freiwilligendiensten. Auch Supermärkte zeigten großes Interesse. Bei Belkon gehen wieder viele E-Mails ein, und das Telefon steht selten still.

Eine „Punktlandung“

Auch die schützenden Utensilien von Seeeye aus Holzgerlingen sind im Kreis Böblingen längst im Einsatz. Eine Supermarktleiterin und ihre Mitarbeiter seien gleich Feuer und Flamme für die Schutzschilder gewesen, berichtet Annett Frenzel. „Es ist schön, die Freude auf den Gesichtern zu sehen“, sagt sie. Und dem eigenen Betrieb wurde durch das neue Geschäftsmodell zu großen Teilen die Kurzarbeit erspart. „Irgendwann haben wir uns gedacht: Wenn wir jetzt nichts tun, dann verpassen wir den Zeitpunkt“, erzählt die Geschäftsführerin. In der aktuellen wirtschaftlichen Lage sei der Wechsel eine „Punktlandung“ gewesen.

In dem 2007 gegründeten Unternehmen arbeiten momentan 13 Mitarbeiter – und das rund um die Uhr. „Wir haben viele innovative Leute in der Firma, und wir geben alles“, sagt Annett Frenzel. Ihr Team sei hochmotiviert. „Es ist ein Versuch. Wenn es am Ende nicht klappt, dann haben wir wenigstens alles gegeben“, sagt sie. Arztpraxen, Physiotherapeuten und Zahnärzte sind Abnehmer der wiederverwendbaren Masken, die in Corona-Zeiten zum raren Gut wurden. Auch einer Diakoniestation in Sindelfingen hat die Firmenchefin die Produkte vorgestellt – und kam mit einer Bestellung für hundert Masken nach Holzgerlingen zurück.

Schutz ist das Wichtigste

„Das Gefühl, dass die Leute geschützt sind, ist momentan das Wichtigste für uns“, sagt Annett Frenzel. In dieser Krisensituation anderen helfen zu können hebe die Stimmung enorm, berichtet Geschäftsführerin von Seeeye. Dass das Geschäft außerdem seit mehr als zwei Wochen boomt, ist natürlich ein willkommener Zusatzeffekt. In Nufringen wird die Situation ähnlich empfunden. Wie lange Belkon noch auf die Maskennäherei umstellt, weiß Michael Verfürth nicht. Er hofft auf ein baldiges Ende der Coronakrise. Momentan ist der 35-Jährige allerdings froh, dass sein Betrieb auch weiterhin läuft – und sich zusätzlich an etwas Sinnvollem beteiligen kann.