Corona wirbelt auch die Praxen der niedergelassenen Mediziner durcheinander – mehr, als viele glauben.

Leonberg/Renningen - Der Patient bekommt nur schwer Luft. „Sein Zustand hat sich deutlich verschlechtert“, berichtet Oliver Gaber. „Ich musste ihn in der Klinik unterbringen.“ Die zweite Corona-Welle ist angekommen, das merkt der Leonberger Hausarzt deutlich. Genau wie Barbara Mergenthaler, Allgemeinmedizin in Renningen. Im Frühjahr habe sie die mit Corona infizierten Patienten an einer Hand abzählen können: „Jetzt haben wir jeden Tag ein oder zwei Testergebnisse von Patienten, die positiv sind.“

 

Die Pandemie schüttelt die Arbeitsabläufe in den Krankenhäusern deutlich durcheinander – klar. Weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehen die vielen Hausärzte, die aber die Hauptlast der Versorgung tragen, weil die meisten Corona-Patienten nicht ins Krankenhaus müssen.

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Aber was hat sich in ihrem Alltag geändert? „Wir mussten den organisatorischen Ablauf in der Praxis komplett umstellen“, sagt Barbara Mergenthaler. Im Wartezimmer gibt es viel weniger Plätze, zusätzlich steht dort jetzt ein Luftfilter-Gerät. Termine müssen jetzt noch exakter eingehalten werden – was dann doch nicht immer klappt. „Das wird zunehmend schwieriger“, sagt Oliver Gaber. Der Leonberger Hausarzt kann sein Wartezimmer auch nur zu einem Drittel belegen, der Rest muss draußen warten. Das verstehen nicht alle Patienten, vor allem nicht im Winter bei eisigen Temperaturen.

Etwa die Hälfte ihrer Zeit in der Akut-Sprechstunde verbringt Barbara Mergenthaler mittlerweile mit dem Thema Corona, schätzt sie. „Ich stelle zwar mehr Gelassenheit bei den Menschen fest als noch im Frühjahr“, sagt sie. „Der Beratungsaufwand hat aber ganz deutlich zugenommen.“

Viele sind unsicher, haben Fragen. Jemand hat Schnupfen – muss er sich testen lassen? Wie ist es, wenn ich einem Infizierten begegnet bin, aber nur kurz? Und was sagt man dem Arbeitgeber, wenn man in Quarantäne muss? Alle Mitarbeiter der Praxis, auch die Helferinnen am Telefon, sind derzeit extrem gefordert.

Großteil de Corona-Diagnostik läuft über die Hausärzte

Barbara Mergenthaler hat als stellvertretende Vorsitzende der Leonberger Kreisärzteschaft den Überblick. „Im Moment können wir das noch stemmen“, sagt sie. Doch sie warnt: „Wenn die Infektionen noch weiter zunehmen, kommen wir an einen Punkt, wo wir andere Dinge reduzieren müssen.“ Mergenthaler macht darauf aufmerksam, dass es nicht nur die Krankenhäuser sind, an denen sich bemisst, wie viele Corona-Infektionen eine Gesellschaft verkraften kann. „Der ganz überwiegende Teil der Corona-Diagnostik läuft über uns Hausärzte“, sagt sie. Das auch deshalb, weil das Gesundheitsamt seit Monaten überlastet ist. „Gerade für Themen zur Kontaktnahverfolgung oder zur Quarantäne ist ja eigentlich das Amt zuständig“, sagt Oliver Gaber.

„Eine Quarantäne darf ich natürlich nicht aussprechen“, erklärt der Leonberger Arzt Oliver Gaber. Foto: privat

„Weil die Patienten dort niemanden erreichen, fragen sie eben uns.“ Immerhin dürfen die Hausärzte mittlerweile selbst entscheiden, bei wem sie einen Test machen und müssen nicht mehr auf eine entsprechende Anordnung warten. „Eine Quarantäne darf ich natürlich nicht aussprechen“, sagt Gaber.

Unter den niedergelassenen Ärzten ist umstritten, ob man sich von der Böblinger Behörde im Stich gelassen fühlen soll – oder ab man Verständnis hat für die Überlastung. „Sicherlich müssen die Kollegen dort Dinge stemmen, für die keine Ressourcen zur Verfügung stehen“, formuliert es die Vize-Kreisärztechefin Barbara Mergenthaler diplomatisch. „Manches wäre aber auch für uns einfacher, wenn die Patienten zum Beispiel ihre Quarantäne-Anordnung früher erhalten würden.“

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Ein Rückgang an Patienten mit anderen Krankheiten ist dagegen noch nicht zu verzeichnen. Anders als im Frühjahr. „Im Quartal von April bis Juni sind die Zahlen deutlich zurückgegangen“, berichtet Oliver Gaber. „Da hatten wir auch wirtschaftliche Einbußen.“ Auf der anderen Seite sei es eine Zeit ohne Hektik gewesen. „Ich hatte noch nie ein so angenehmes Arbeiten“, berichtet der Leonberger Arzt. Im Moment laufen bei ihm die regulären Behandlungen, auch die Vorsorgeuntersuchungen, aber normal weiter.

Neben all den Corona-Behandlungen, denn Gabler hat eine sogenannte „Corona-Schwerpunktpraxis“, genau wie Barbara Mergenthaler. Was viele nicht wissen: Nicht alle Hausärzte behandeln Covid-Patienten. Teilweise, weil sie selbst zur Risikogruppe gehören. Mergenthaler muss deshalb auch diese Patienten übernehmen – zusätzlich zu all ihrer Arbeit.