Das Virus hat im Seniorenzentrum Bürgerheim voll zugeschlagen: 39 Menschen waren krank.

Weil der Stadt - Genau zehn FFP2-Atemschutzmasken hatte André Zimmermann im Keller des Weil der Städter Seniorenzentrums „Bürgerheim“ gefunden. „Das hat bei uns schon Schweißausbrüche verursacht“, erinnert sich der Pflegedienstleiter. Ende März war das, Corona war in Deutschland gerade erst angekommen – und schon hatte das Bürgerheim damit zu kämpfen.

 

Der Kampf ist gewonnen. „Seit einer Woche ist unser Haus Corona-frei“, sagt die sichtliche zufriedene Bürgerheim-Leiterin Ingrid Müller. Von den 39 Bewohnern haben, bis auf fünf, inzwischen alle Covid-19 durchgemacht. Von den 70 Mitarbeitern waren in der Hochphase die Hälfte in häuslicher Quarantäne. Zwölf Bewohner sind mit Corona verstorben.

„Uns hat leider sehr früh getroffen“

Wie geht ein Haus mit einer solchen Belastung um? Ingrid Müller, André Zimmermann und Hauswirtschaftsleiter Michael Elsner erzählen von ihren Erfahrungen – in der Kapelle des Heims, die mithilfe einer Plexiglasscheibe kurzerhand zum Besuchsraum umfunktioniert wurde. „Die Kapelle ist schließlich ein Raum der Begegnung“, sagt Ingrid Müller. Seit einiger Zeit sind Besuche nun wieder möglich – und die Besuchszeiten sind komplett ausgebucht. Für die Bewohner ein kleines Stückchen Normalität, die langsam wieder einkehrt. „Am Dienstag war auch die Friseurin wieder im Haus“, berichtet Müller. „Unsere Damen sind wieder frisch frisiert und richtig glücklich.“

Vor genau zwei Monaten war das ganz anders. „Uns hat es leider sehr früh getroffen“, erinnert sich die Einrichtungsleiterin. Das Virus breitet sich im Bürgerheim zu einem Zeitpunkt aus, als es noch nicht viel Erfahrung mit Tests, Quarantäne und Schutzausrüstung gibt. Ende März muss eine Bewohnerin ins Krankenhaus. Sie wird wieder zurückverlegt, ohne im Krankenhaus getestet worden zu sein. Nach ein paar Tagen muss sie wieder ins Krankenhaus, wo es nach einem Test dann die Gewissheit gibt: Sie hat Corona. Zuvor war sie mobil im Haus gewesen – es ein offenes Haus mit viel Begegnung und sozialen Kontakten untereinander. Deshalb kann sich das Virus unbemerkt ausbreiten.

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Schon Anfang April zeigt ein Massentest, dass 36 Bewohner und fünf Mitarbeiter infiziert sind. Ein Isolationsbereich wird eingerichtet, eine Schleuse teilt das Bürgerheim fortan. „Im Isolationsbereich haben die Mitarbeiter in Vollmontur gearbeitet“, berichtet Pflegedienstleiter André Zimmermann. Wobei das am Anfang einfacher gesagt als getan ist. Denn die zehn FFP2-Atemschutzmasken reichen natürlich nicht. „Ich habe alle Maler und Lackierer in der Umgebung angerufen“, berichtet Zimmermann. Nach zwei Tagen hat er 180 Masken zusammen. Örtliche Tüftler erstellen Helme mit dem 3-D-Drucker, die Pflegekräfte müssen Schutzkittel waschen und wiederverwenden. Kurz bevor all das ausgeht, trifft dann endlich Nachschub vom Landratsamt ein.

Hauswirtschaftsleiter Michael Elsner, Pflegedienstleiter André Zimmermann und Hausleiterin Ingrid Müller berichten hinter Plexiglas über ihre Erfahrungen. Foto: factum/Bach

Kreativ und innovativ müssen die Mitarbeiter mit der Situation umgehen. Sie stemmen, was kurz danach Standard wird. Zum Beispiel die Tests: Schon am 4. April lässt die Heimleitung alle Bewohner und Mitarbeiter testen, muss aber erst beim Gesundheitsamt über die Übernahme der Kosten verhandeln. „Wir mussten gut argumentieren“, sagt André Zimmermann, der mit der Kreisärzteschaft die Tests auch selbst organisiert. Erst danach lässt das Landratsamt flächendeckend und auf eigene Kosten alle Pflegeheime im Kreis testen.

Ein „Zeichen der Mitarbeiterfürsorge“

Und all das mit verringerter Mannschaft. Zeitweise sind 32 der 70 Mitarbeiter zuhause in Quarantäne. Zur Arbeit bittet die katholische Paul-Wilhelm-von-Keppler-Stiftung, die Trägerin des Weiler Bürgerheims, infizierte Mitarbeiter nicht – anders als andere Träger, die infizierte Mitarbeiter an infizierten Patienten arbeiten lassen. „Das ist ein Zeichen der Mitarbeiterfürsorge“, sagt Zimmermann.

Drei Wochen lang sind die Bewohner auf ihren Zimmern in Quarantäne, dann wird der Isolationsbereich eingerichtet und die, die keinen Virus mehr haben, dürfen sich wieder frei bewegen. Die Senioren selbst sind dabei immer ruhig und besonnen mit der Situation umgegangen, auch die an Demenz erkrankten, die es nicht einordnen können. „Es gab nie eine Situation, dass sich ein Bewohner zum Beispiel wegen der Masken erschreckt hätte“, berichtet Zimmermann, der Chef der Pflegekräfte im Bürgerheim. „Das hat mich selbst erstaunt.“ Ältere Menschen nehmen viel über die Stimme und Berührung war, und die Pfleger behalten ihre Rituale bei. „Die große Bindung unseres Personals zu den Bewohnern zahlt sich aus.“

Dennoch: Zwölf Mal in diesen wenigen Wochen mussten Angehörige, Mitarbeiter und Bewohner Abschied nehmen. Für die Begleitung der Sterbenden dürfen die Angehörigen immer ins Haus – in voller Schutzausrüstung. Eine Pflegekraft ist dann ständig dabei, zur psychologischen Unterstützung und um bei der Einhaltung der Hygiene zu helfen. „Unser Ritual, dass wir Spalier stehen, wenn ein Verstorbener das Haus verlässt, haben wir beibehalten“, sagt André Zimmermann. „Es ist wichtig, dass Mitarbeiter und Bewohner trotz allem die Möglichkeit haben, Abschied zu nehmen.“