Der Kinderarzt Thomas Kirchner appelliert: Anfragen beim Arzt nur im Notfall per Telefon und die eigenen Großeltern schützen.

Weil der Stadt - Abstand halten, mehrmals am Tag Hände waschen, soziale Kontakte einschränken: Die meisten Vorsichtsmaßnahmen zum Coronavirus sind bekannt. Trotzdem trifft der Kinderarzt Thomas Kirchner aus Weil der Stadt, der selbst mit dem Virus infiziert ist, immer wieder auf Menschen, die die Ratschläge ignorieren, wie er im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt. Gleichzeitig hat er aber auch das genaue Gegenteil schon erlebt: Dass Menschen überreagieren und damit auf andere Weise ihre Lieben und andere gefährden. Er appelliert daher an alle, mit Vernunft zu agieren und das eigene Handeln stets kritisch zu hinterfragen.

 

Herr Kirchner, ist Ihnen eine Infizierung mit dem Coronavirus in Ihrer Praxis schon begegnet?

Tatsächlich bin ich selbst an dem Coronavirus erkrankt und befinde mich in Quarantäne. Das übrige Praxispersonal ist aber getestet worden und ist gesund. Daher wurde die Praxis vom Gesundheitsamt nicht geschlossen. Und wir tun alles, um die Weiterverbreitung zu verhindern und die medizinische Versorgung aufrecht zu erhalten.

Welche anderen Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf den Praxisalltag?

Ein großes Problem ist die Telefon-Überlastung. Es rufen so viele Leute an, dass die echten Notfälle zum Teil gar nicht mehr durchkommen. Meine dringende Bitte ist deshalb an alle Patienten, auch von anderen Ärzten: Wer nur eine Rückfrage hat oder ein Rezept bestellen will und keine akute Hilfe benötigt, sollte am besten eine E-Mail schreiben, damit die Leitungen frei sind für echte Notfälle.

Worum geht es bei diesen Anrufen?

Ganz oft kriegen wir zum Beispiel die Frage: „Mein Kind hat Schnupfen, ist das Corona?“ Da können wir nur immer wieder darauf verweisen, dass Schnupfen bei dieser Erkrankung ein seltenes Symptom ist. Bei wem Schnupfen bei einer Infektion im Vordergrund steht, der hat wahrscheinlich keine Corona-Infektion.

Wie sieht es aus mit persönlichen Besuchen in der Praxis? Inzwischen scheuen sich ja immer mehr Leute, Arztpraxen aufzusuchen – aus Angst vor einer Ansteckung im Wartezimmer.

Wir machen das bei uns schon seit Längerem, und ich kann mir vorstellen, dass andere Praxen das auch anbieten: Wer zu einem Termin vorbeikommt, muss nicht zwingend im Wartezimmer bleiben. Wir bieten den Patienten an, dass wir sie kurz anrufen, sobald sie dran sind. Manche warten dann im Auto oder gehen spazieren. Bei gutem Wetter bleiben einige sogar bei uns im Hof und warten, bis wir sie reinrufen.

Gibt es trotzdem einen Rückgang bei den Besuchen?

Es gibt tatsächlich Eltern, die die Termine ihrer Kinder aus Angst vor Ansteckung absagen. Problematisch wird das, wenn es zum Beispiel um Impftermine geht, das hatten wir auch schon. Bei Erwachsenen oder Jugendlichen kommt es nicht darauf an, ob sie eine Impfauffrischung ein Jahr früher oder später erhalten. Aber gerade bei den Grundimpfungen von Kindern unter zwei Jahren kann das schwere Folgen haben, wenn sie diese versäumen. Damit setzen wir diese Kinder auf Dauer einem großen Risiko aus und könnten sie in der Folge durch ganz andere Krankheiten verlieren.

Was sonst sollten Eltern gerade im Hinblick auf Kinder beachten, die jetzt nicht mehr zur Schule oder in den Kindergarten können?

Auf jeden Fall sollte man die Kinder nicht zu Hause einsperren. Kinder haben einen unglaublich großen Bewegungsdrang, und das ist auch gut so. Mein Rat ist deshalb, solange es in der eigenen Familie keinen Corona-Fall gibt: Geht raus mit den Kindern, aufs Feld oder in den Wald, wo man niemandem begegnet. Wir haben hier den Vorteil, dass wir in unserer Umgebung dazu die Möglichkeit haben, anders als in der Großstadt. Das sollten wir nutzen. Die Kinder jetzt schon im Voraus daheim „einzusperren“, das funktioniert nicht. Filme und Spiele sind unterhaltsam, aber man sollte sich vieles davon aufsparen für die Zeit, in der man vielleicht wirklich in Quarantäne bleiben muss.

Wie stehen Sie zum Thema Besuche bei den Großeltern? Viele werden gerade in die Pflicht genommen, um in der schulfreien Zeit die Enkel zu betreuen.

Da sage ich ganz klar: Bitte passt auf eure Großeltern auf. Besucht sie nicht und versucht, sie zu überreden, dass sie nicht mehr rausgehen, zumindest nicht dahin, wo viele andere Menschen sind. Geht stattdessen für sie einkaufen. Ich habe es selbst erlebt im Supermarkt – natürlich vor Beginn meiner Erkrankung, da ich mich ja jetzt in strenger Quarantäne befinde –, wie da ältere Menschen dicht beieinander standen und sich unterhalten haben. Viele von ihnen nehmen das Risiko leider gar nicht so wahr. Aber das Virus kann einem immer und überall begegnen, wie wir bei uns in der Praxis hautnah erleben mussten. Daher sollte jeder gut auf sich und seine Mitmenschen achtgeben, vor allem, wenn sie zu einer Risikogruppe gehören.