Christian Walter wird neuer Bürgermeister von Weil der Stadt. Im Interview spricht er über den Wahlkampf, seinen neuen Job und was er bis zum Amtsantritt im November jetzt macht

Weil der Stadt - Es ist der Tag danach: Christian Walter kommt noch einmal nach Weil der Stadt, um den Wahlkampf zu reflektieren. Bevor es für ihn nun endlich in den Urlaub geht, spricht er über seinen Sieg bei der Bürgermeisterwahl in der Keplerstadt. Zum Beispiel, dass er anfangs selbst nicht an den Erfolg geglaubt hatte.

 

Herr Walter, Glückwunsch zur Wahl! Haben Sie noch schön gefeiert?

Wir haben herzlich gefeiert, im netten, kleinen Rahmen. Unterstützer, Familie und Freunde waren dabei, auch Gäste aus dem Landtag und dem Bundestag. Ich werde aber für meine Unterstützer noch ein Helferfest veranstalten.

Hat schon jemand ausprobiert, ob Sie auf die Anrede „Herr Bürgermeister“ reagieren?

Nein, bis jetzt noch nicht. Ich bin es ja auch noch nicht, muss mich aber wohl bald daran gewöhnen.

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Seit wann im Wahlkampf haben Sie daran geglaubt, dass es wirklich klappt?

Seit meinem Spaziergang in Merklingen. Auf einmal standen da knapp hundert Leute zusammen. Da habe ich gemerkt: Hoppla, auch Ältere sind offen für einen jungen Kandidaten – sie sind zwar kritisch, lassen sich aber auch überzeugen. Mir ist dann bewusst geworden: Es ist eine Aufgeschlossenheit da und ich erreiche viele Leute vor Ort.

Mit welchem Gefühl sind Sie am Anfang in den Wahlkampf gestartet?

Ich habe natürlich kandidiert, um zu gewinnen. Ich selbst habe für mich aber eher eine Außenseiter-Chance gesehen, weil es mit Herrn Katz einen sehr starken Kandidaten aus dem Ort gab.

Das heißt, als Sie Ihren Hut in den Ring geworfen haben, wussten Sie: Bürgermeister Thilo Schreiber tritt nicht mehr an, dafür aber sein Beigeordneter Katz?

Genau! Gegen Herrn Schreiber hätte ich nicht kandidiert. Aus vielen Ecken habe ich gehört, dass er sehr beliebt war und viele seine acht Jahre in Weil der Stadt sehr gut fanden.

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Warum hat sich das Blatt dann zu Ihren Gunsten gewendet?

Dass ich bei der jüngeren Zielgruppe punkten würde, hatte ich erwartet. Da hilft heute auch der Social-Media-Wahlkampf. Die große Unbekannte war: Wie erreiche ich – unter Corona-Bedingungen – die Älteren? Richtig froh war ich deshalb, dass auch diese Bevölkerungsgruppe auf den Marktplatz und zu meinen Spaziergängen gekommen ist. Ich glaube, ich habe mit meiner integren Persönlichkeit und mit meiner Authentizität gepunktet.

Gab es also eine Wechselstimmung?

Das ist nicht mein Lieblingswort. Es gibt jetzt zwar einen personellen Wechsel, inhaltlich aber führe ich natürlich viele Projekte fort. Ich würde eher sagen: Vielen sind meine Themen, also Nachhaltigkeit und eine moderne Bürgerbeteiligung, wichtig – das traut man mir zu.

Sie haben dann einen fehlerlosen Wahlkampf hingelegt. Wer hat Sie beraten?

Ich hatte keinen professionellen Berater, keine Agentur. Ich hatte viele Unterstützer in meinem Umfeld. Ein Bekannter hat mir bei der Homepage geholfen, ein anderer Bekannter mit den Flyern. Aber niemand hat das gegen Geld getan.

Und hier, in Weil der Stadt?

Mit den Grünen habe ich eng zusammengearbeitet und mir viel Input geholt. Aber auch aus der Bevölkerung habe ich viele Anregungen bekommen. Bei all den Terminen haben wir über viele Probleme und Themen diskutiert.

War der Wahlkampf fair?

Ja, sehr. Bis auf einzelne Ausrutscher aus dem persönlichen Umfeld von Kandidaten, wo man sich fragen muss, ob so etwas der Würde des Amtes gerecht wird.

Sie meinen die Ehefrau des Kandidaten Alexander Schopf, die Ihnen in einem beleidigenden Ton vorgeworfen hat, trotz Lehrermangel den Lehrerberuf verlassen zu wollen.

Solche substanzlosen Vorwürfe in der Öffentlichkeit zu platzieren und dann zu meinen, durch Löschen des Posts das rückgängig machen zu können – das ist unprofessionell. Ich denke, das Wahlergebnis hat gezeigt, wie so was ankommt.

„Gute Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang“

Sie haben jetzt eine starke Mehrheit bekommen, aber nur die Hälfte der Weil der Städter ist im zweiten Wahlgang zur Wahl gegangen. Wie wollen Sie die andere Hälfte von sich überzeugen?

Ich denke, knapp 50 Prozent sind eine gute Wahlbeteiligung – für einen zweiten Wahlgang mitten in den Ferien mit einem absehbaren Ergebnis. Das ist ein starker Rückenwind für das Amt! Aber ich habe auch schon in den letzten zwei Wochen versucht, gezielt auf meine Kritiker zuzugehen. Das werde ich auch in Zukunft tun. Ich möchte Bürgermeister von allen sein.

Mischt sich in die Freude über den Sieg auch Furcht und Angst vor dem Amt?

Frucht und Angst würde ich es nicht nennen, aber Respekt und Demut. Das Amt ist kein Selbstläufer, klar. Ich habe jetzt noch zehn Wochen Zeit, um mich auf die kommenden Themen vorzubereiten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es auf das Duo an der Spitze ankommen wird.

Mit dem Duo meinen Sie Ihre Zusammenarbeit mit dem Beigeordneten Jürgen Katz. Hatten Sie seit der Wahl am 2. August nochmals Kontakt mit ihm?

Ja, ich habe ihm ein persönliches Gespräch angeboten. Das führen wir bald.

Sie haben immer betont, Sie würden Herrn Katz gern halten. Er selbst lässt sich das bislang offen. Wenn er sich doch dagegen entscheidet: Was dann?

Dann müssen wir damit professionell umgehen und eine neue Beigeordnete oder einen neuen Beigeordneten suchen. Im Idealfall ist das wieder ein Experte für Bauen und Stadtplanung, weil ich die jetzige Ämteraufteilung für gut halte. Klar ist, dass ich es bedauern würde, wenn Herr Katz geht, denn das wäre bei den laufenden Projekten sicherlich ein Bruch.

Arbeitet er noch als Lehrer?

Was machen Sie bis zum 2. November? Arbeiten Sie nochmals als Lehrer?

Ich bin in Abstimmung mit dem Regierungspräsidium. Den Brief mit dem Antrag auf mein Ausscheiden habe ich heute abgeschickt. Davor werde ich noch ein paar Wochen unterrichten. Ich werde auch diese Woche noch bei der Stadt Stuttgart beantragen, dass ich als Gemeinderat Anfang November ausscheide.

Es gibt im September nochmals Gemeinderatssitzungen. Wollen Sie da jetzt schon Einfluss nehmen?

Inhaltlich möchte ich keinen Einfluss nehmen, Herr Schreiber ist noch bis Anfang November im Amt. Ich erwarte aber schon, dass jetzt kurz vor Beginn meiner Amtszeit nicht noch ganz große Entscheidungen gefällt werden.

Was gehen Sie dann als erstes an?

Das sind Projekte, die automatisch auf mich zukommen. Die Entscheidung beim Schul-Campus steht in diesem Jahr an. Dann kommen der Lärmaktionsplan, das Radwege-Konzept und die Gründung der Stadtwerke. Was ich von meiner Seite aus schnell angehen möchte, ist die Informationspolitik und Bürgerbeteiligung. Da bewirkt man mit kleinen Bausteinen viel.

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Also zum Beispiel die App, wie in Tübingen, mit der Bürger über Themen abstimmen können. Welche Frage könnte man da an die Bürger stellen?

Wir könnten fragen, ob in den Teilorten Tempo 30 gewünscht ist…

…ich ahne die Antwort…

…na, ja, das kommt darauf an. Wenn man Auswärtige fragt, ist die Antwort „Nein“. Wenn man Anwohner fragt, ist die Antwort „Ja“. Für den Diskussionsprozess ist es dann spannend zu sehen, ob alle dafür sind oder nur die, die vom Lärm betroffen sind. Es ist dann auch eine Hilfe für die Kommunalpolitik, um Streit zu befrieden. Die Entscheidung, eine Frage an die Bevölkerung abzugeben, trifft aber der Gemeinderat.

Sie sind jetzt Chef von 400 Mitarbeitern. Fühlen Sie sich dem gewachsen?

Viel ist eine Frage des Menschlichen und Zwischenmenschlichen. Über verwaltungsrechtliche Aspekte der Personalführung werde ich mich in den nächsten Wochen sicherlich noch informieren. Es ist aber auch klar, dass ich nicht am ersten Tag alle 400 Mitarbeiter persönlich kennenlerne. Meine Ansprechpartner werden zunächst die Amtsleiter sein.

„Kein Vorwurf an die Mitarbeiter“

Was haben Sie bislang für einen Eindruck von der Stadtverwaltung?

Ein gemischtes Bild. Sicherlich hat sich in den letzten acht Jahren viel zum Positiven gewendet, es wurde ja auch Personal aufgebaut. Es gibt aber bei Bürgerinnen und Bürgern Unverständnis über gewisse Prozesse. Ich traue mir aber von außen noch nicht zu, zu sagen, woran das genau liegt. Ich möchte schon nochmals ein Augenmerk auf die Verwaltung als Dienstleisterin setzen. Das ist kein Vorwurf an die Mitarbeiter.

Die Grünen hatten Sie als ihren Kandidaten präsentiert. Später haben Sie Ihre Parteilosigkeit betont. Wie grün ist der neue Weiler Bürgermeister?

Ich teile mit den Grünen gewissen Themen. Zum Beispiel das Mega-Thema Stadtwerke, die in meinen Augen ein Ansprechpartner für Bürger bei der Energie- und Wärmewende sein sollen. Aber eben alles mit Augenmaß und pragmatisch. Es gibt gewisse Vorbehalte gegenüber den Grünen, Stichwort Verbots-Partei. Ich glaube, ich konnte im Wahlkampf zeigen, dass ich trotz dieser Themen Pragmatiker bin. Ich will keine Autos verbannen, sondern Alternativen fördern.

Wobei das manche Partei-Mitglieder als beleidigend empfinden, wenn man sie in die ideologische Ecke stellt.

Ich denke, die Grenze verläuft auch nicht zwischen ideologisch und pragmatisch. Als Partei-Mitglied signalisiert man aber eine gewisse Unterstützung der Landes- und Bundespolitik, für die ich als Kommunalpolitiker nicht in Mithaftung genommen werden will.

Ein Gegenbeispiel wäre Bürgermeister Schreiber, der vor anderthalb Jahren der CDU beigetreten ist. Selbst die Freien Wähler waren dann beeindruckt, was er mit innerparteilichen Netzwerken alles für die Stadt erreicht hat.

Ich habe ein Bild von Politik und Verwaltung, dass auch bei höheren Ebenen nicht das Parteibuch im Vordergrund steht. Aber durch meine bisherige Arbeit im Gemeinderat habe ich auch Netzwerke in Stuttgart.

24/7 digital erreichbar sein

Traditionell kümmert sich der Bürgermeister um jedes Schlagloch selbst. Sucht da gerade Ihre Generation nach einem neueren Bild des Bürgermeisters, der auch ein Privatleben hat?

Wir müssen die Chancen der Zeit nutzen. Ich muss heute nicht mehr im Rathaus übernachten, ich denke, es reicht, wenn ich digital 24/7 erreichbar bin. Aber natürlich ist das Bürgermeister-Amt ein stressiger Job.

Sie wirken immer sehr ruhig und besonnen. Was bringt Sie auf die Palme?

(schmunzelt) Da gibt es sicherlich was. Meine Emotionen und Aggressionen lebe ich lieber im Handball aus – auch wenn ich es die letzten zwölf Wochen nicht ins Training geschafft habe.

Sie wollen jetzt nach Weil der Stadt ziehen. Am Anfang des Wahlkampfs haben Sie sich noch etwas skeptisch geäußert und gesagt, ein Bürgermeister könnte auch außerhalb wohnen, um sich seinen neutralen Blick zu bewahren.

Ja, ich wollte erst die Stimmung der Bevölkerung abwarten. Fast alle erwarten es aber, dass der Bürgermeister vor Ort wohnt. Ich selbst sehe inzwischen auch die Vorteile, auch wenn ich mich noch nicht auf einen Zeitpunkt festnageln lassen will. Für nächstes Jahr habe ich den Umzug ganz oben auf der Agenda.

Und zum Schluss was für die Sparte Vermischtes: Dürfen die Weil der Städter sich in den nächsten acht Jahren auf eine Bürgermeister-Hochzeit freuen?

Hm, da gehören ja zwei dazu. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist gegeben, ich bin optimistisch.