Korntal und Münchingen könnten unterschiedlicher nicht sein. Seit 1975 sind die einst eigenständigen Orte aber Teil derselben Stadt. Eine engere Verbindung könnte eine Straße schaffen. Doch das Naheliegende gibt es weiterhin nicht.

Münchinger, die in der Korntaler Stadthalle Kultur genießen wollen, erreichen diese nur über Stuttgarter Gemarkung. Korntaler wiederum müssen die Landeshauptstadt passieren, wollen sie jenseits der Autobahn im Münchinger Freizeitbad entspannen. Es ist ein Kuriosum, seit bald 50 Jahren: Zwischen den beiden Stadtteilen Korntal und Münchingen gibt es keine direkte Straßenverbindung. Der Weg führt aus dem Landkreis hinaus, über Stuttgarter Gemarkung in den anderen Stadtteil hinein. Nur Fahrradfahrer und Landwirte haben es einfacher: abgesehen von kleinen Unterführungen können sie einen Weg nutzen, der die Autobahn 81 quert.

 

Es drohte die Eingemeindung nach Stuttgart

Am 1. Januar 1975 wurden die Stadt Korntal und die Gemeinde Münchingen im Zuge der baden-württembergischen Gemeindereform zu Korntal-Münchingen vereinigt, vier Jahre später sei die Fusion vollendet gewesen, sagt Stadtarchivar Alexander Brunotte. Die Fusion der gen Stuttgart orientierten Stadt Korntal und der landwirtschaftlich geprägten Gemeinde Münchingen war gegenüber einer Eingemeindung Korntals in die Stadt Stuttgart präferiert worden.

Zunächst war die fehlende direkte Verbindung ein intensiv diskutiertes Thema – doch gebaut wurde die Straße nie. Die Gründe hierfür sind unklar. „Ich glaube nicht, dass es nur finanzielle Gründe waren“, sagt Brunotte. Möglicherweise hatten die Landwirte Widerstand geleistet. Für die Straße wäre wertvoller Ackerboden verloren gegangen.

Auf den ersten Blick hätte die Verbindungsstraße vielleicht ein entscheidendes Element zur Förderung des Zusammenwachsens der unterschiedlichen Stadtteile sein können. Doch Brunotte bezweifelt das. „Eine Straße allein schafft nur die Möglichkeit eines Hin und Her. Es braucht die Anreize, den Anlass, sie zu nutzen.“ Ob allein die Straße das Zusammenwachsen entscheidend beschleunigt hätte, „dahinter möchte ich ein Fragezeichen setzen“. Im Gemeinderat blieb die Trennung parteiübergreifend über Jahrzehnte präsent, auf die Gleichbehandlung der Stadtteile wird heute noch genau geachtet, wenngleich der scharfe Ton inzwischen schon mal einem humorvollen Necken weichen kann.

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Auch wenn die Straßenpläne schon bald nach der Fusion in den Hintergrund rückten, ganz still wurde es nie darum. Inzwischen sind die Pläne wieder aktuell: Im Stadtentwicklungskonzept, das Ende 2023 fertiggestellt sein soll, werden die Entwicklungsziele für die nächsten Jahre formuliert. Darin ist von der „Erstellung eines gesamtstädtischen räumlichen Entwicklungsleitbildes“ die Rede, inklusive der Betrachtung der Verkehrssituation. Ausdrücklich auch genannt ist eine „Verbindung zwischen den Stadtteilen“.

Eine Frage der Generationen

Es solle versucht werden, das Thema „ohne Vorbehalte zu diskutieren“, sagt Bürgermeister Joachim Wolf (parteilos). Er beobachtet, dass das Thema einerseits „nicht mehr so präsent wie zu Beginn seiner Amtszeit“ vor 15 Jahren ist. Andererseits sei die Diskussion – wenn sie denn geführt werde – inzwischen „offener und konstruktiver“. Das sei wohl auch eine Frage der Generationen. Er selbst plädiert aus Gründen der Effizienzsteigerung, aus ökologischen Gründen und Gründen der Zeitersparnis in der „Tendenz eher zu einer Verbindung“.

Gleichwohl sei klar, dass der Anwohnerschutz hohe Priorität habe, eine solche Verbindung also für den Durchgangsverkehr unattraktiv sein müsse. Wenn man eine Straße plane, dann auf der Trasse des geteerten Verbindungsweges. Und wenn sie scheitere, dann „nicht an ordnungsrechtlichen, landschaftsschutzrechtlichen Vorgaben, sondern am politischen Willen“, so Wolf. Das Thema werde weiterhin nicht nur rational, sondern auch emotional diskutiert. Und nach wie vor hätte die Straße seiner Meinung nach „einen nicht zu unterschätzenden symbolischen Wert“.