In den 70er Jahren sind Leonberg und Eltingen richtig zusammengewachsen. Vieles wurde damals errichtet, was die Stadt und ihr Erscheinungsbild heute prägt.

Leonberg - Was zusammen gehört, wächst endlich zusammen. Wo heute die sogenannte neue Stadtmitte ist, sind sich Leonberg und Eltingen in den 60er und 70er Jahren baulich nähergekommen. Davor hatte die Stadt zwei Hürden für ihr Vorwärtskommen überwunden: Zum einen die Wasserknappheit – 1954 gehörte sie zu den 13 Gründungsmitgliedern der Bodenseewasserversorgung - zum anderen sicherte sie sich 1963 den Status Große Kreisstadt.

 

Dann kam 1969 noch ein Glücksfall dazu. Als Nachfolger des zurückgetretenen Oberbürgermeisters Otto Rexer wurde der Erste Beigeordnete Dieter Ortlieb zum OB gewählt. Als Kopf der „Viererbande“ aus Wolfgang Rückert (Finanzbürgermeister), Michael Hassler (Baubürgermeister) und Heinz Schultheiß (Erster Bürgermeister) setzte er mit einem dynamischen und aufgeschlossen Gemeinderat Maßstäbe für die Entwicklung der Stadt. Dabei hat es sogar die Individualität gefördert, dass der Kreis Leonberg aufgelöst wurde und territorial den Landkreisen Böblingen, Ludwigsburg und dem Enzkreis zugeschlagen wurde.

Ein Traum nimmt Form an

Sporthalle, Stadthalle, Hallenbad, Einkaufszentrum in der Stadtmitte standen auf dem Programm. Anfang der 70er Jahre zeichnete sich die Erfüllung dieser Wünsche ab. Um ein Hallenbad sowie ein Sportzentrum mit Halle zu finanzieren, war man 1972 bereit, einen Teil des aufgelassenen Golfplatzes für 16,5 Millionen Mark an einen Bauträger zu verkaufen. Doch der ging bankrott, die Stadt machte ein gutes Geschäft und kaufte sogar den westlichen Teil der Leonberger Heide zurück – und die Stadträte gelobten (woran sie zwischenzeitlich auch gerüttelt haben), das Areal nie mehr zu bebauen.

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Von grundlegender Bedeutung für die Gestaltung der Stadt wurde das Gelände des ehemaligen Gipswerkes Eppinger und Schüle. Im Untergrund des Engelbergs lagert nämlich das Mineral Anhydrit. Das ist die Vorstufe für die Gipserzeugung. Mehr als 100 Jahre lang hat es vielen Eltingern und Leonbergern Arbeit gegeben. Aber es hat im neuen Engelbergbasistunnel, gut 20 Jahren nach seiner Fertigstellung, den Planern seine Unberechenbarkeit vorgeführt, sodass das Bauwerk nun für rund 150 Millionen Euro aufwendig saniert werden muss.

Gipswerk beendet den Betrieb

Im Jahr 1977 stellt das Werk Eppinger und Schüle seinen Betrieb ein. Bereits davor konnte die Stadt Leonberg Gelände erwerben und bebauen. Ein Anfang gemacht wurde mit der neuen Feuerwache an der Römerstraße, die 1968 in Betrieb ging.

Wie der heutige Neuköllner Platz in der Stadtmitte in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ausgesehen hat, zeigt ein Foto des Eltinger Heimathistorikers Konrad Fröschle. Da war es noch nicht so laut, dass man nicht einfach an der Ecke stehen bleiben und ein Schwätzchen halten konnte.

Im Vordergrund der Aufnahme ist die Einmündung der Leonberger Straße in die Römerstraße zu sehen. In deren Straßenkörper verläuft noch das legendäre Gleisle. Dies war die zäh verteidigte Grenze zwischen Leonberg und dem 1938 auf Drängen der NS-Behörden eingemeindeten Eltingen.

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Auf der Schmalspurbahn wurden die Gipssäcke vom Gipswerk Eppinger zum Bahnhof gebracht. Als 1944 und 1945 im Engelbergtunnel von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen Teile für die Messerschmitt Me 262 gefertigt wurden, das erste in Serie gebaute Strahlflugzeug, wurden diese auch übers Gleisle zum Bahnhof befördert. Rechts oben sind die damals neuen Wohnblocks an der Robert-Koch-Straße zu sehen und im Hintergrund die Einmündung der Brennerstraße. Auf der eingezäunten Grünfläche links, auf der unter anderem auch ein Hühnerstall stand, dehnt sich heute das 1973 eröffnete Leo-Center aus. Entgegen dem Zeitgeist verlagerte Leonberg das Einkaufen nicht auf die grüne Wiese, sondern verankerte es im Stadtkern. Zu der städtebaulichen Philosophie jener Zeit gehörte es auch, dass man für die Kundschaft Wohnraum in der Nachbarschaft errichtet. Und so ist die Bebauung mit den markanten Hochhäusern in dem Areal entstanden.

Früher war da ein Hühnerstall

Auf dem Gipswerkgelände ist 1984 auch die heiß umstrittene Stadthalle gebaut worden, das Cityhotel, das Seniorenheim und 2014 eine neue Kita. Ergänzt wird alles vom weiträumigen Stadtpark, dessen Seen sichtbare Zeugnisse des einstigen Gipsabbaus sind. Der Park ist so einzigartig, dass das baden-württembergische Landesdenkmalamt Teile davon sogar unter Denkmalschutz gestellt hat. Durch die Bebauung der Stadtmitte ist ein anderer markanter Punkt Leonbergs entstanden. Rund 86 000 Kubikmeter Aushub wurden in den Kammerforst gekarrt und dort zum 519 Meter hohen Eltinger Kopf aufgeschüttet – der höchste Punkt der Stadt.

Auch die Kirche setzt Akzente

Was auf dem alten Luftbild noch als riesige Freifläche mit einem Parkplatz mittendrin westlich des Reiterstadions zu sehen ist, wurde der Standort für das 1974 fertiggestellte Sportzentrum mit Sporthalle und Hallenbad. Das wurde zwischenzeitlich aufwendig saniert, eine Sauna kam hinzu. Auf diesem Gelände haben auch die evangelische Gesamtkirchengemeinde Leonberg und der Kirchenbezirk mit dem Haus der Begegnung bauliche Akzente gesetzt.

Geht es ostwärts auf den Fotos, sind die Änderungen an der Seestraße auffällig. Ganz neu steht hier die 1967 fertiggestellte evangelische Blosenbergkirche. Doch in den 60er Jahren prägen hier die in Reih und Glied, teilweise noch auf Bauten des ehemaligen KZs fußenden Gebäude des Samariterstifts die Ansicht. Das Gelände ist völlig umgestaltet und 2012 ist noch der Neubau des stationären Leonberger Hospizes hinzugekommen.

Ein neuer Tunnel muss her

Noch prägnanter wird die Veränderung weiter im Osten. Da sind ursprünglich die zwei breiten Linien der Fahrbahnen der A 81, die plötzlich aus dem Bild verschwinden. Sie tauchen in den 1938 fertiggestellten Tunnelröhren des etwa 350 Meter langen Engelbergtunnel unter. Der hat in seinen Anfangsjahren ein unrühmliche Rolle in der Ausrottungsmaschinerie der Nazis gespielt.

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Später entwickelte der Tunnel sich zum Nadelöhr im Verkehrsnetz einer ganzen Region. So begann 1995 der Bau des Engelbergbasistunnels, der erste privat finanzierte seiner Art. Im September 1997 wurde die Oströhre für den Verkehr freigegeben, im August 1999 die Weströhre. Beide Tunnelröhren sind jeweils 2530 Meter lang. Die alten Röhren wurden verfüllt. Nur in einem Teil der Weströhre ist die KZ-Gedenkstätte. Die alte Autobahntrasse ist begrünt.

Luftbild-Serie „BW von oben“

Wandel der Zeit
 Wie hat sich der Altkreis Leonberg seit 1968 verändert? Die Serie „BW von oben“ stellt nicht nur die Luftbilder von damals und heute dar, sondern auch die Geschichten, die diese Bilder erzählen. Dafür kooperiert unsere Zeitung mit dem Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung sowie dem Landesarchiv.

Alle Beiträge der Serie
und die Landkarten ganz Baden-Württembergs von 1968 und heute werden unter www.stuttgarter-zeitung.de/bw-von-oben gesammelt.