Richard Pitterle ist Kandidat der Linken im Wahlkreis Böblingen. Er will die Steuerlast anders verteilen, kämpft für ein europäisches Bündnissystem und für eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen im Kreis Böblingen.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Böblingen -

 

Herr Pitterle, verliert man angesichts der weltweiten Krisen, wie dem Abzug der Nato aus Afghanistan, nicht die Lust, für den Bundestag zu kandidieren?

Nein, der Abzug aus Afghanistan war vorherzusehen. Wir müssen natürlich jetzt dafür sorgen, dass wir alle Menschen, denen wir zugesagt haben, dass wir sie schützen, aus dem Land rausholen, auch nachdem die militärische Aktion beendet ist. Ich denke, die Strategie der Nato muss dringend überprüft werden.

Welche Schwerpunkte wollen Sie in ihrer politischen Arbeit setzen?

Ich bin ja Finanz- und Steuerpolitiker. Ich möchte im nächsten Bundestag dafür sorgen, dass wir eine Steuerreform bekommen mit der Maßgabe, dass 80 Prozent der Menschen entlastet werden, also bis zu einem Bruttoeinkommen von 6500 Euro bei Ledigen, weil wir denken, wir müssen das Geld bei denen abholen, die während der Coronakrise ihre Gewinne verdoppelt haben.

Welchen Beitrag wollen Sie oder Ihre Partei zur Verkehrswende leisten?

Wir müssen schauen, dass wir das Mobilitätsverhalten ändern. Die Autokonzerne haben sich zwar entschieden, auf Elektromobilität zu setzen. Doch das löst nicht die Probleme. Auch das E-Auto hat eine durchaus schwierige CO2-Bilanz, das heißt wir müssen Riesen-Investitionen in den ÖPNV machen.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Fünf Abgeordnete für den Wahlkreis Böblingen?

Worin sehen Sie ihren Beitrag zur Digitalisierung?

Deutschland ist im ziemlichen Hintertreffen, was die Digitalisierung angeht. Wir müssen dafür sorgen, dass der Breitband-Ausbau vorangeht. Nicht nur die Unternehmen, auch die Menschen sind in Löchern, wo es kein richtiges Internet gibt, und wir müssen dafür sorgen, dass das Netz ausgebaut wird.

Was ist Ihr vordringlichstes Projekt beim Klimaschutz?

Wir müssen schauen, dass wir es nicht nur dem Markt überlassen, sondern wir brauchen eine Ordnungspolitik, um tatsächlich diese Klimapolitik, zu der wir uns im Pariser Abkommen verpflichtet haben, einhalten zu können. Da geht es tatsächlich darum, dass zwei Drittel der CO2-Emissionen von Konzernen verursacht werden und wir müssen mit riesigen Investitionen – die auch die Schuldenbremse sprengen – der Industrie dabei helfen, dass sie grün produzieren kann.

Was werden Sie als erstes tun, wenn Sie in den Bundestag gewählt würden?

Ich würde zuerst schauen, wo sind die Probleme des Landkreises Böblingen, wie etwa bei der Digitalisierung oder der Ausstattung der Kommunen mit mehr Geld. Dann würde ich schauen, wie ich da die ersten Anträge stellen könnte, denn als Kommunalpolitiker ist mir natürlich wichtig, dass Geld für den Kreis fließt und das sich da auch was bewegt. Wir haben die Automobil-Industrie im Kreis und da brauchen wir einen Wandel im Sinne der Klimagerechtigkeit und deswegen würde ich die entsprechenden Anträge stellen.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Bundestagswahl – Wer tritt im Wahlkreis Böblingen an?

In welches Thema müssten Sie sich am meisten einarbeiten?

In der Steuer- und Finanzpolitik könnte ich sofort wieder einsteigen. Wo ich mich einarbeiten müsste, wäre die Klima-Politik, denn das ist eine Herkulesaufgabe, dieses ganze Thema zu bewältigen.

Sie sind Rechtsanwalt. Kann ein Sozialstaat durch Gesetze erschaffen werden?

Allein durch Gesetze nicht, aber wir brauchen hier ein Mitwirken der Zivilgesellschaft und der Gewerkschaften. Aber wir wissen, die Hartz-IV-Gesetze haben den Sozialstaat geschleift, und so müssen wir ihn durch Gesetze wieder herstellen. Das halte ich gerade in Situationen des Umbruchs für wichtig – und wir stehen vor epochalen Umbrüchen. Wenn man den Menschen die Angst nehmen will, dann muss man den Sozialstaat wieder herstellen.

Putin – Freund oder Despot?

Ich bin kein Freund von Putin. Ob er Despot ist? Zwischen den Positionen „lupenreiner Demokrat“, wie das Gerhard Schröder ausgedrückt hat, und „Despot“, gibt es möglicherweise etwas dazwischen. Aber Putin sollte endlich verpflichtet werden aufzuhören, europafeindliche Strömungen wie die AfD und den Front National zu unterstützen.

Die Vermögenssteuer – Wirtschaftsbremse oder Solidarmodell?

Das ist ein Solidarmodell. Das haben wir durchrechnen lassen, und es ist halt einfach erforderlich, dass wir die Menschen, die mehr auf der hohen Kante haben, für die Finanzierung der gesellschaftlichen Aufgaben mehr mit einbeziehen.

Die Nato – Auslaufmodell oder Sicherheitsgarant?

Die Nato ist ein Auslaufmodell, Emmanuel Macron hat mal gesagt, sie sei „hirntot“. So weit gehen wir nicht, aber wir wollen gerne die Nato auflösen in ein System der kollektiven Sicherheit zusammen mit Russland. Die geschichtlichen Erfahrungen zeigen, dass wir in Europa keinen Frieden bauen können, wenn wir nicht versuchen, Russland in ein Bündnissystem mit einzubinden.

Richard Pitterle

1959
 Richard Pitterle wird im tschechischen Most geboren.

1970
 Nach dem Prager Frühling flieht die Familie als Spätaussiedler nach Westdeutschland.

1975
 Tritt in die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes ein.

1980 bis 1986
 Jurastudium in Tübingen

1990
 Rechtsanwalt in Stuttgart, der Schwerpunkt ist Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht.

2009 bis 2017
 Mitglied im Bundestag für die Linke. Arbeit vor allem im Finanzausschuss des Bundestages.

Sonstiges
 Richard Pitterle ist leidenschaftlicher Tänzer, vor allem Walzer und Tango.