Am Sonntag wählen die Weissacher den Bundestag und stimmen über die Entwicklung des potenziellen Neubaugebiets „Am Graben“ ab. Worum geht es genau?

Weissach - Die Weissacher entscheiden am 26. September nicht nur über die politische Zukunft des Landes mit, sondern auch über eine Debatte, die die Gemeinde seit Monaten spaltet. Es geht um das Neubaugebiet „Am Graben“: Dieses soll südlich von Weissach auf einer Ackerfläche entstehend, die an Graben- und Bergkiefernstraße anschließt. Rund 7,5 Hektar misst das Gebiet, 500 Menschen könnten hier in Zukunft Wohnraum finden – wäre da nicht noch der Bürgerentscheid.

 

Nein ist nicht gleich Nein

Im Gemeinderat wurde das Gebiet bereits im November vergangenen Jahres Thema. Bevor mit den Eigentümern der Fläche Verhandlungen anlaufen können, braucht es einen Aufstellungsbeschluss, also das offizielle „Ja“ des Gemeinderats, in die nächste Planungsphase überzugehen. Dieser wurde am Ende der Sitzung am 16. November auch beschlossen. Naturschützer, allen voran der Ortsverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), protestierten – und setzten mit einer Unterschriftensammlung den nun anstehenden Bürgerentscheid durch.

Beim Gang an die Wahlurne heißt es aber, auf die Feinheiten zu achten. Denn wer „Nein“ ankreuzt, stimmt nicht etwa gegen die Entwicklung des Neubaugebiets. Ganz konkret abgestimmt wird über die Frage, ob der vom Gemeinderat im November gefasste Beschluss wieder aufgehoben werden soll. Ein „Nein“ auf dem Wahlzettel bedeutet also ein „Ja“ zur Weiterentwicklung des Gebiets.

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Hitzig ist die Diskussion von Anfang an gewesen: Mit falschen Informationen zu einer möglichen Umgehungsstraße habe der BUND Unterschriften „ergaunert“, um den Bürgerentscheid durchzusetzen, warf etwa Gemeinderat Frank Bauer von den Freien Wählern den Naturschützern vor. Und wer vergangene Woche auf eine unscheinbare Anzeige für Bauplätze antwortete, die im Weissacher Amtsblatt abgedruckt war, bekam prompt ein schriftliches Plädoyer für die „Nein“-Stimme beim Bürgerentscheid zurück. Die Anzeige hatte Frank Bauer selbst geschaltet – um den Gegnern des Neubaugebiets „den Spiegel vorzuhalten und mit ähnlichen Waffen zu kämpfen“. Es sei elementar wichtig, diese Bauplätze zu bekommen.

Umweltschutz oder bezahlbarer Wohnraum?

Nachhaltigkeit, sowohl finanzielle als auch klimaschutztechnische, gegen Wachstum und bezahlbaren Wohnraum: In den Kernfragen um das Neubaugebiet „Am Graben“ haben sich Verwaltung, Gemeinderatsfraktionen und BUND auf verschiedene Seiten geschlagen. Hauptargument der Verwaltung um Bürgermeister Daniel Töpfer (CDU) – die sich ausdrücklich für die Entwicklung des Gebiets ausspricht – ist der ohnehin knapp bemessene Spielraum für Wohnungsbau in der Gemeinde. Im Hauptort Weissach ist „Am Graben“ laut Flächennutzungsplan die einzige freie Fläche, die bis 2035 zum Wohnbau genutzt werden könnte.

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Auf der anderen Seiten steigt die Zahl der Bauplatzsuchenden. Rund 703 Interessenten stehen bei der Verwaltung aktuell auf der Warteliste für einen Bauplatz. Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum, so sieht es die Verwaltung, kann mit der Innenentwicklung alleine nicht gestemmt werden.

Gegner sorgen sich um finanzielle Belastung

Die Unabhängige Liste und die Grünen-Fraktion wollen sich lieber auf die Innenentwicklung und die Umsetzung begonnener Projekte, wie etwa die Entwicklung des Gewerbegebiets „Neuenbühl III“, konzentrieren – und plädieren deshalb für das „Ja“ im Bürgerentscheid. Aufgrund der Altersstruktur der Gemeinde würden langfristig mehr Angebote für freien Wohnraum entstehen, heißt es von den beiden Fraktionen. Man müsse aktiv gegen den Leerstand vorgehen.

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Thema in der Argumentation der beiden Fraktionen sind auch die finanzielle Belastung und die Folgekosten eines Neubauprojekts – die wirtschaftlichen Konsequenzen des Greensill-Skandals und der Pandemie für die Gemeinde seien noch nicht abzusehen, heißt es etwa in einer Mitteilung der Unabhängigen Liste. Daniel Töpfer weist das zurück: „Die Coronapandemie wirkt sich nicht auf ein mögliches Neubaugebiet aus“, sagt er. „Die Verbindung zur Insolvenz der Bremer Greensill Bank AG ist an den Haaren herbeigezogen und steht ebenfalls in keinerlei Zusammenhang zur Entwicklung eines möglichen Neubaugebietes.“

Erst wird die Bundestagswahl ausgezählt

Ein großes Thema in der Diskussion, auch für den BUND, ist außerdem der Umweltschutz. Die Naturschützer argumentieren mit den Gefahren der fortschreitenden Flächenversiegelung, der Zerstörung von Ackerflächen, der steigenden Verkehrsbelastung im Ort und nicht zuletzt mit dem Schutz des dörflichen Charakters von Weissach. Die Flutkatastrophe in Westdeutschland findet hier immer wieder Erwähnung.

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Eine unbegründete Sorge, sagt Bürgermeister Töpfer: „Für das gesamte Gemeindegebiet wird aktuell ein kommunales Starkregenrisikomanagement erarbeitet“, betont er. „Für jedes Neubaugebiet muss mit Fachgutachten nachgewiesen werden, dass dort anfallendes Wasser, Abwasser und Oberflächenwasser die Situation innerhalb der Gemeinde nicht verschlechtert.“

Was bleibt: Die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger, die am 26. September parallel zur Bundestagswahl fallen wird. Diese werde zuerst ausgezählt, heißt es aus dem Rathaus. Erst dann sind die Stimmen zum Bürgerentscheid an der Reihe.