Der Streit um das Ackerland geht weiter: Der BUND will ein Neubaugebiet verhindern und Fotovoltaik-Freiflächenanlagen installieren lassen. Das stößt auf wenig Gegenliebe.

Weissach - Was hat eine Fotovoltaik-Freiflächenanlage mit einem Neubaugebiet gemeinsam? Antwort: Beide entstehen zuweilen auf der grünen Wiese oder auf Ackerflächen. In Weissach ist nun genau um diese Frage ein heftiger Streit entbrannt, der in Zusammenhang mit dem Bürgerentscheid steht, mit dem der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) ein 7,5 Hektar großes Neubaugebiet zu verhindern versucht.

 

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Der Vorwurf der BUND-Kritiker: Als es in den vergangenen Monaten darum ging, Argumente gegen das Neubaugebiet und für das Bürgerbegehren zu finden, hätten es die Naturschützer mit der Ehrlichkeit nicht ganz so genau genommen. Um einen Bürgerentscheid herbeizuführen, musste der BUND mindestens 421 Unterschriften von Wahlberechtigten einsammeln. Am Ende wurden es 893 – mehr als das Doppelte. Die Frage ist nun: Hat der BUND bei seiner Überzeugungsarbeit getrickst?

Schon in der vergangenen Gemeinderatssitzung, bei der die Ratsmitglieder den Weg für den Bürgerentscheid frei machten und den Termin des Plebiszits auf den Tag der Bundestagswahl legten, hatte Frank Bauer von den Freien Wählern von „ergaunerten“ Unterschriften gesprochen. Der BUND, sagte Bauer, habe auf Flugblättern zu Unrecht suggeriert, dass das Neubaugebiet „Am Graben“ eine Umgehungsstraße „wahrscheinlich“ mache.

Für das umweltbewusste Klientel, mit deren Stimmen die Naturschützer das Projekt zu verhindern versuchen, war dies ein stichhaltiges Argument gegen das Neubaugebiet. Für die Kritiker hingegen „Augenwischerei“. Eine solche Umgehungsstraße „hätte derzeit keine Mehrheit“, wie der Bürgermeister Daniel Töpfer (CDU) betonte.

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Frank Bauer legt nun nach: Der Freie Wähler ärgert sich darüber, dass der BUND überdies damit geworben hat, mit dem Bürgerentscheid Ackerland in Weissach zu erhalten – immerhin in der Größe von rund zehn Fußballfeldern. Flächen, so argumentierte der BUND auf einem Flugblatt, die „der Landwirtschaft zur regionalen Versorgung entzogen“ werden würden.

Was das Ratsmitglied besonders erbost: Mitglieder der BUND Ortsgruppe Weissach, darunter der Vorsitzende Jörg Herter, sind gleichzeitig federführend bei einer in Gründung befindlichen sogenannten Bürgerenergiegenossenschaft. Die Gruppierung, berichtet Bürgermeister Töpfer, sei Ende vergangenen Jahres – damals noch als Arbeitsgruppe Solarenergie – mit der Idee auf den Klimaschutzmanager der Gemeinde zugegangen, Fotovoltaik-Freiflächenanlagen in Weissach zu installieren. Größenordnung der potenziellen Flächen: 38,1 Hektar, allesamt Ackerland, davon 21,3 Hektar „prioritär“.

Das sei eine konkrete Planung der Bürgerenergiegenossenschaft, betont der Rathauschef. Mit der EnBW stünde sogar bereits ein Kooperationspartner bereit. „Auf der einen Seite gegen ein Baugebiet mit dem Argument vorzugehen, der Landwirtschaft würde Fläche zur regionalen Versorgung entzogen, und gleichzeitig im großen Maßstab Fotovoltaik-Anlagen auf Ackerflächen zu planen, ist eine Frechheit“, empört sich Frank Bauer.

Verwaltung betont, neutral zu sein

Wie Weissachs Klimaschutzmanager Dominik Karzcag weiter berichtet, habe die Gemeinde auf Bitten der künftigen Genossenschaft bereits Briefe an Grundbesitzer versendet, denen Flächen in den priorisierten Arealen gehören – also entlang der Porsche-Testrecke sowie in den Gewannen „Äußeres Geländ“ und „Hühneracker“. „Die Rückmeldungen gehen an die Bürgerenergiegenossenschaft“, sagt Karzcag. Den Eigentümern sei freigestellt, Kontakt aufzunehmen.

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Die Verwaltung betont, in der Sache neutral zu sein und lediglich vermittelt zu haben. Bis es tatsächlich zu einer Fotovoltaik-Anlage im Freiland kommt, seien, sagt Töpfer, die Hürden im Übrigen hoch: „Da muss erst Planungsrecht geschaffen werden.“ Und der Gemeinderat müsse schlussendlich entscheiden. Da ganz Weissach laut dem Energieatlas Baden-Württemberg in einem sogenannten „benachteiligten“ Gebiet liegt, die Ackerflächen also von minderer Qualität sind, dürften Fotovoltaik-Anlagen ganz grundsätzlich auf den landwirtschaftlichen Flächen der Gemeinde errichtet werden.

Töpfer: Der Vergleich hinkt

Doch werden hier nicht ohnehin Äpfel mit Birnen verglichen? Für Töpfer jedenfalls „hinkt“ der Vergleich Baugebiet versus Fotovoltaik im Freiland: Zwar entzögen beide der Landwirtschaft Fläche, sagt Töpfer. „Doch eine PV-Freiflächenanlage führt ja nicht dazu, dass der Grund und Boden für alle Ewigkeit nicht mehr nutzbar ist.“ Anders als ein mit Wohnhäusern überbautes Areal sei eine solche Anlage irgendwann rückbaubar.

„Und auch der Grad der Bodenversiegelung ist nicht vergleichbar“, wie Jörg Herter auf Anfrage selbst betont. Der Naturschützer zeigte sich überrascht, dass das die Themen Neubaugebiet und PV-Freiflächenanlagen nun vermischt werden, zumal, wie er sagt, die Bürgerenergiegenossenschaft „noch weit von einer Gründung entfernt“ sei.

PV-Anlagen auf der grünen Wiese?

Und tatsächlich haben auch die Hersteller von PV-Freiflächenanlagen den Interessenkonflikt zwischen Landwirtschaft und Solarenergieproduktion längst erkannt: So sollen sogenannte Agri-PV-Anlagen neuester Bauart künftig nicht nur Stromerzeugung und landwirtschaftliche Nutzung auf ein und derselben Fläche erlauben. Einige Hersteller werben sogar damit, dass die Solarmodule, die darunter liegenden Anbaukulturen, je nach Bedarf, vor Hagel, Regen oder Hitze schützen könnten. Bleibt letztlich noch das Problem des beeinträchtigen Landschaftsbilds, das auch diese Innovationen nicht aus der Welt schaffen können.

„Bevor wir mit PV-Anlagen auf die grüne Wiese gehen, würden wir in jedem Fall zunächst versuchen, andere private und gewerbliche Flächen zu generieren“, erklärt der Bürgermeister. Den Anfang machen jetzt erst einmal die kommunalen Gebäude, auf denen in Weissach bis 2024 Solaranlagen installiert werden sollen. „500 bis 800 Kilowatt-Peak könnten wir so realisieren“, konkretisiert Dominik Karzcag – Strom für mehr als 200 Haushalte. 550 000 Euro hat die Kommune dafür im Haushalt eingestellt. Streit, wie bei den Freiflächenanlagen, dürfte es hier nicht geben.