Vor dem Landgericht Stuttgart beginnt am Donnerstag die Verhandlung wegen des brutalen Angriffs in Weil der Stadt.

Stuttgart - Und plötzlich sticht er mit dem Messer zu. Die Kreuzung im Weil der Städter Industriegebiet in der Josef-Beyerle-Straße ist einer der meistbefahrenen Verkehrsknotenpunkte in der Stadt – erst recht an einem Freitagnachmittag, wenn alle in die Discounter strömen. Gegen 14 Uhr an jenem Freitag Ende Mai beobachten Passanten, wie ein Mann mitten auf der Kreuzung auf einen anderen Mann mit dem Messer einsticht.

 

Der Täter war aus einem Lieferfahrzeug gesprungen. „Paketbote sticht auf Radfahrer ein“ war am nächsten Tag die Schlagzeile in den Zeitungen. Seit jenem Freitag im Mai sitzt der 21-Jährige nun in Adelsheim in Untersuchungshaft. Am Donnerstag hat der Prozess gegen ihn vor dem Landgericht Stuttgart begonnen.

Keine Konfrontation zwischen Täter und Opfer

Am Morgen um 9 Uhr führt ein Justizbeamter den jungen Mann in den Saal der Strafkammer. Lockige Haare, grüne Bomberjacke, und weil er den Fotografen sein Gesicht nicht zeigen will, versteckt er dieses hinter einem braunen Briefumschlag. Der Beamte muss ihn zu dem Stuhl auf der Angeklagten-Seite des Saals geleiten.

Die Vorsitzende Richterin Cornelie Eßlinger-Graf eröffnet das Verfahren, der Angeklagte schaut sich vorsichtig um. Einer fehlt im Raum: Der 40-jährige Radler ist nicht gekommen, zu einer Konfrontation zwischen Täter und Opfer kommt es also erst mal nicht. Er wolle sich das Verfahren nicht antun, sagt der Anwalt des Opfers.

Wie kommt jemand dazu, auf offener Straße mitten am Nachmittag auf einen anderen Menschen einzustechen? Viele fragen sich das seit Mai in Weil der Stadt. Eine Antwort gibt es aber auch am Donnerstag noch nicht. Ob sich der 21-Jährige, der in Sindelfingen wohnt und einen kosovarischen Pass hat, überhaupt im Laufe des Verfahrens äußert, lässt seine Verteidigerin noch offen.

Verlesen wurde somit nur die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Und die ist heftig: Versuchten Mord wirft man dem jungen Mann vor, dazu gefährliche Körperverletzung und den Tatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. „Der Angeklagte wird beschuldigt, dass er aus heimtückischen und niedrigen Beweggründen das Opfer töten wollte“, erklärt der Staatsanwalt.

Alles beginnt an jenem Freitag damit, dass der Paketbote an der roten Ampel in der Josef-Beyerle-Straße wartet. Wie der Staatsanwalt ermittelt hat, hat der Radfahrer dort an seine Autoscheibe geklopft, ihn angesprochenen und ihn für seine Fahrweise zurechtgewiesen. Es kommt zu einem Streitgespräch mit unschönen Formulierungen.

Er sticht mit einem Messer mit einer neun Zentimeter langen, feststehenden Klinge ein

Schließlich bricht der Radler das Gespräch ab, fährt weiter. Der Paketbote rast ihm hinterher, fährt ihn an, sodass er stürzt und Schürfwunden erleidet. „Schon hier nahm er seinen Tod billigend in Kauf“, sagt der Staatsanwalt. Die schlimme Szene kommt aber erst dann: Der Paketbote springt aus seinem Wagen, rennt auf das auf dem Boden liegende Opfer zu und sticht auf ihn ein, mit einem Messer mit einer neun Zentimeter langen, feststehenden Klinge. Dabei trifft er die Lunge, sodass dort Luft in den Brustkorb dringt – was lebensgefährlich ist. Zeugen berichten später, dass er mehrfach Sätze schrie wie: „Ich stech dich ab“ oder „Ich schwöre auf meine Mutter: Ich bring dich um! Ich komme direkt aus der Moschee!“

Ein Passant ist es schließlich, der sich mutig zwischen die beiden Männer stellt, sodass der Täter aufhört und wieder in sein Auto einsteigt. Dabei soll er gesagt haben: „Du kannst verrecken – mir egal.“

Um genauere Details zu erfahren, will die Richterin Cornelie Eßlinger-Graf jetzt mehrere Zeugen befragen. Auch zwei Gutachter sind mit dem Fall befasst. Sechs Termine sind angesetzt, das Urteil wird daher erst Ende Dezember erwartet.

Zumindest einen kleinen Lichtblick aber hat sie in     verschiedenen Telefonaten mit den Parteien erkundet. Parallel läuft nämlich das Verfahren um die Entschädigung des Opfers. „Es besteht möglicherweise die Bereitschaft, Schmerzensgeld zu zahlen“, sagt Eßlinger-Graf.