Die Interessengemeinschaft von Böblinger Bürgern, die sich gegen die Preiserhöhungen der Stadtwerke wendet, geht davon aus, dass Hunderte Haushalte die Gebühren nicht in voller Höhe zahlen.

Böblingen - Die Interessengemeinschaft Fernwärme (IGF) in Böblingen lässt nicht locker: „Wir werden zu der Beschwerde, die beim Kartellamt liegt, noch eine weitere einreichen“, erklärt Peter Aue, ein Sprecher der Bürger, die gegen zwei Preiserhöhungen der Stadtwerke protestieren. In welche Stoßrichtung es diesmal geht, darüber hüllt sich Aue in Schweigen: „Wir werden das noch öffentlich kundtun.“ Die IGF nimmt damit in Kauf, dass das laufende Kartellverfahren noch länger dauert. „Das kann Jahre gehen“, meint Aue. Dagegen hoffen die Stadtwerke auf ein rasches Ende. „Wir wünschen uns ein baldiges Ergebnis, weil wir davon ausgehen, dass unsere Fernwärmepreise angemessen sind“, lässt der Stadtwerkechef Gerd Hertle verlauten.

 

8500 Haushalte von Preiserhöhungen betroffen

Im vergangenen Sommer hatten die rund 8500 Böblinger Haushalte, die mit Fernwärme beliefert werden, bereits eine Preisanhebung von durchschnittlich 21 Prozent schlucken müssen. Zum 1. Januar dieses Jahres wurde dann der Grundpreis mehr als verdoppelt, der Verbrauchspreis allerdings gesenkt. Die IGF errechnete, dass die Verbraucher damit seit Jahresbeginn mit weiteren 20 Prozent Mehrkosten zurechtkommen müssten.

„Nach unseren Erkenntnissen haben Hunderte von Kunden diese aktuelle Preiserhöhung nicht akzeptiert und den alten Preis bezahlt“, berichtet Aue. „Die Anzahl der Kunden, die nur den alten Preis begleicht, liegt prozentual im niedrigen einstelligen Bereich“, sagt Martina Mayer, die Pressesprecherin der Stadtwerke. Da eine Verjährung der Ansprüche erst zum Jahresende 2019 greife, bestehe kein akuter Handlungsbedarf. Gerichtsverfahren seien nicht anhängig. „Selbstverständlich behalten wir uns vor, unsere Forderungen auch juristisch durchzusetzen“, teilte Mayer weiter mit, „wir empfehlen Nicht- und Teilzahlern, Rücklagen zu bilden.“

Stadtwerke plagt ein Sanierungsstau

Seit der Diskussionsrunde im proppenvollen Saal des Böblinger Sparkassenforums Ende Januar, zu der die IGF Vertreter der Stadtwerke eingeladen hatte, ist die Zahl der IGF-Mitglieder um das dreifache auf 300 gestiegen. „Wir erhalten täglich Aufnahmeanträge“, sagt Aue. Unter dem Motto „Dampf im Kessel“ hatte die IGF von den Stadtwerken mehr Transparenz bei den Etatzahlen gefordert. Aber Hertle hatte abgewunken: Eine genau nach Sparten aufgeschlüsselte Gewinn- und Verlustrechnung könne nicht veröffentlicht werden, weil die Stadtwerke im Wettbewerb stünden.

Die Stadtwerke hatten die Preiserhöhungen mit Investitionen in das Fernwärmenetz begründet. Im vergangenen Jahr sei das Netz mit fünf Millionen Euro aufgerüstet worden, unterstrich Hertle. In den nächsten zehn bis 20 Jahren müssten rund 50 Millionen Euro in die Sanierung der Leitungen gesteckt werden. Diese enormen Ausgaben stellt die IGF jedoch in Frage. „Sie werden nirgendwo näher dargestellt“, betont Aue. „Der Oberbürgermeister und die Stadträte sind auf Tauchstation gegangen“, kritisiert man bei der IGF. Tatsächlich nahm der Rathauschef Wolfgang Lützner, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke ist, nicht an der Diskussion im Sparkassenforum teil. Bei dem schwebenden Kartellrechtsverfahren wolle er sich nicht zu den Belangen der Stadtwerke äußern, war zu hören.

„In dem Verfahren setzen die Stadtwerke auf eine schnelle und kundenfreundliche Lösung“, teilt Hertle wiederum mit. Die Stadtwerke hätten umfangreiche Materialien für die Kartellbehörde aufbereitet, „in denen diverse vertrauliche Daten und Kennzahlen zu finden sind“.

Kein Anbieterwechsel möglich

Monopol
: Auch die Verbraucherzentrale kritisierte die Preisanhebung mit dem Hinweis, dass die rund 24 000 Menschen in Böblingen, die mit Fernwärme heizen, kaum eine Alternative haben, etwa auf Gas umzustellen, weil es keine Leitungen dafür gebe. Außerdem hätten Kunden nicht die Möglichkeit, mit einem Anbieterwechsel auf die Preissteigerung zu reagieren. Das komme einem Monopol gleich.

Stadtwerke
: Der Energieversorger war bis Ende 2012 ist städtischer Hand. Bei der Neugründung 2013 (mit 59 Prozent ist die Stadt beteiligt, mit 41 Prozent die EnBW) waren keine Rückstellungen vorhanden, um die nötigen Investitionen ins Fernwärmenetz zu tätigen