In der Abwägung zwischen Gemeinwohl und Partikularinteressen geraten Kommunalpolitiker oft zwischen alle Stühle. Betrachtungen zum Jahreswechsel.

Leonberg - Das Beste, so heißt es gemeinhin, kommt zum Schluss. Ob nun die Nachricht, die im Leonberger Gemeinderat kurz vor Weihnachten verkündet wurde, tatsächlich die beste des auslaufenden Jahres war, darüber gehen die Meinungen auseinander. Denn für viele war die Vision des Oberbürgermeisters, die Verkehrsprobleme in der Stadt zumindest teilweise mit einer Seilbahn zu lösen, ziemlicher Unfug. Martin Georg Cohn hingegen hat stets darauf verwiesen, dass auch andere Städte, darunter Stuttgart, Gondelverbindungen prüfen lassen.

 

Die Haupterkenntnis, die den Kommunalpolitikern als Weihnachtsgeschenk präsentiert wurde, ist schlicht: Seilbahnen und Städte vertragen sich nicht. Das hätte man auch ohne eine Studie rauskriegen können, die Leonberg am Ende rund 39 000 Euro gekostet hat, sagen die einen. Die ganze Seilbahndebatte hat der Diskussion um die Zukunft des urbanen Verkehrs wesentliche Impulse gegeben, kontern die anderen.

Tatsächlich sind rund um die anderthalb Jahre währende Seilbahn-Debatte offenbar engere Bande zwischen dem Leonberger Rathaus und Bosch geknüpft worden. Von denen war schon mal ganz am Anfang die Rede, sie wurden damals aber von beiden Seiten dementiert.

Autonomes Fahren in Leonberg?

Festzuhalten bleibt, dass der Technologiekonzern seinen Leonberger Standort, hier wird das autonome Fahren entwickelt, im neuen Jahr erheblich erweitern wird und angekündigt hat, die hiesige Verkehrsdebatte intensiv zu begleiten. Das lässt immerhin interessante Innovationen erwarten, die eine Kommune in der Größenordnung Leonbergs alleine kaum stemmen könnte.

Hat der OB also am Ende doch vieles richtig gemacht? Zumindest, das muss man Martin Georg Cohn attestieren, bringt er – nicht nur bei diesem Thema – Diskurse in Gang. Die Kunst ist freilich, dies in konkretes Handeln münden zu lassen. Und daran, so sagen seine Kritiker, hapert es.

Konkretes Handeln wird es in einem anderen wichtigen regionalen Verkehrsprojekt jetzt geben. Nach Jahren des politischen Streits, der bisweilen an Auseinandersetzungen zwischen Fürstentümern vergangener Jahrhunderte erinnerte, soll nun endlich die Hermann-Hesse-Bahn fahren. Und zwar von Calw nach Weil der Stadt, und in Randzeiten auch bis Renningen. Eine Schnellbahn, die den Schwarzwald mit Stuttgart verbindet, soll ebenfalls kommen.

So kriegen alle bisherigen Kontrahenten – die Landkreise Böblingen und Calw, das Landesverkehrsministerium sowie die Kommunen Renningen und Weil der Stadt – irgendwie ihren Willen. Wären da nicht die 2,5 Millionen Euro, für die nun der Renninger Bahnhof umgebaut werden muss.

Pragmatisches Denken

Der gesunde Menschenverstand hätte nahelegen können, die Hesse-Bahn einfach von Calw nach Weil der Stadt fahren zu lassen, wo die S 6 endet. Doch Pragmatismus ist in Zeiten, in denen viele Akteure ihr eigenes Süppchen kochen, offenbar kaum mehr möglich. Die Suppen-Kocher sind übrigens nicht nur unter den Politikern zu finden. Lobbyisten und Vertreter von Partikularinteressen, gemeinhin Bürgerinitiativen genannt, gibt es auf lokaler Ebene immer mehr.

Um dies festzustellen, bedarf es nicht nur des Blickes auf den Hesse-Bahn-Streit. Die Debatte um einen weitgehend autofreien Marktplatz in Weil der Stadt zeigt die Schwierigkeiten kleinerer Kommunen, sich als zeitgemäße Handelsstandorte aufzustellen. In größeren Städten sind verkehrsberuhigte Zentren mit Aufenthaltsqualität längst Standard: Ein wichtiges Mittel, um auch jene Menschen in die Städte zurückzulocken, die ihre Kaufgeschäfte vornehmlich im Netz erledigen. Der Handel befürchtet hingegen Umsatzeinbußen, sollten die Kunden mit dem Auto nicht direkt vor die Ladentheke fahren können.

Dass dieser Ansatz auf Dauer nicht zukunftsfähig ist, gilt unter Konsumforschern als sicher. Qualitätsbewusste, regionalorientierte Kunden begreifen den Einkauf als Erlebnis, gastronomische Einkehr mit inbegriffen. Der Weil der Städter Gemeinderat hat also gut entschieden und die Umgestaltung des Marktplatzes beschlossen, das Parkthema aber nicht ausgeblendet.

So weit ist man in Leonberg noch nicht. Immerhin ein Teil des Marktplatzes wurde für Autos dicht gemacht. Doch die Schlossstraße ist weiterhin eine beliebte Strecke für jene Fahrer, die es offenbar schick finden, mit großem Tempo durch enge Gassen zu fahren. Die Altstadt aber kann sich nur über Qualität definieren. Blechlawinen gehören nicht dazu. Zumal es direkt unter dem Marktplatz ein mittlerweile einwandfrei funktionierendes, großzügiges und vor allem preiswertes Parkhaus gibt, das in anderen Städten zu solchen Konditionen nicht zu finden ist. Warum es von vielen immer noch gemieden wird, ist rational schwer erklärbar.

Exorbitante Planungs- und Bauzeiten

Doch die Ratio ist eher selten der ausschlaggebende Aspekt. So wird etwa die Diskussion um die Zukunft des Leonberger Postareals nicht immer rational geführt. Auch diese Debatte ist alles andere als neu. Seit mehr als 15 Jahren geht es darum, wie die neue Stadtmitte rund um das Leo-Center und der historische Marktplatz städtebaulich miteinander verbunden werden können. Ein greifbarer Entwurf, der im Sommer diverse Expertengremien passiert hat, ist im Nachgang wieder zerredet worden. An, bei allem Respekt, ein paar Bäumen könnte ein elementares Projekt scheitern oder günstigenfalls einmal mehr auf die lange Bank geschoben werden.

Wieder einmal gibt es viele Partikularinteressen, darüber hinaus Profilierungsversuche einzelner Stadträte. Geübt ist auch die Praxis, dass Grundstücksbesitzer ihr Eigentum als Druckmittel für das Vorhaben einsetzen.

Aus individueller Sicht mag das alles verständlich sein, für die Gemeinschaft aber ist es zumeist schlecht. Nicht ohne Grund gibt es nicht nur rund um Leonberg exorbitante Planungs- und Bauzeiten. Und je länger sich die Phasen der Bedenken und Einsprüche hinziehen, desto drückender werden die Probleme. Wobei wir schnell beim Thema Leonberger Stadtumfahrung wären. Ob es hier im nun anbrechenden Jahrzehnt eine wie auch immer geartete Lösung geben wird, scheint angesichts der Erfahrungen der Vergangenheit sehr unwahrscheinlich. Es sei denn, die Verantwortlichen in Rat und Verwaltung zeigen in Zukunft mehr Mut, um Entscheidungen zu treffen, die nicht allen gefallen. Denn so etwas gibt es nicht - nicht nur bei diesem Thema.