Wenn Andreas Kindler ruft, wird es ungewöhnlich: Beim Stammtisch des Deutschen Erfinderverbandes.

Renningen - Ein richtiger Stress ist das. Erst Anfang der Woche war er bei einem Erfindertreffen, und jetzt ist er wieder auf Achse. Diesmal ist es der Stammtisch in Renningen, wo er sich jetzt vorstellt, wie man sich eben vorstellt: „Hallo, Florian, aus Miltenberg am Rhein, drei Patente.“

 

Das ist hier der Stammtisch eines Vereins, den nur die wenigsten kennen dürften: des „Deutschen Erfinderverbandes“. Und ja, es gibt ihn wirklich, nicht nur im Comic bei Daniel Düsentrieb. Das Mitglied Jochen Benz nickt freundlich, auch der Verbandspräsident Werner Ruppert grüßt in die Runde. Und mittendrin der Gastgeber, Lokalmatador, Landwirt – und neuerdings auch Erfinder: Andreas Kindler.

Das ist der Renninger offiziell seit dem 1. April, und das ist kein Aprilscherz. Auf dieses Datum nämlich ist die Urkunde des Europäischen Patentamts ausgestellt. Ein Jahr Anstrengung hat allein das bürokratische Verfahren in Anspruch genommen, dazu Kämpfe gegen mächtige internationale Lebensmittelkonzerne. „Deutsches Chia Gold“ heißt Kindlers Erfindung, und die Geschichte dazu hört sich an, wie sich eine typische Kindler-Geschichte eben anhört.

„Vor zehn Jahren habe ich mit dem Linsenanbau begonnen“, erzählt er der gemütlichen Runde auf seinem Hof. Unter den Samen war ein Fehlläufer, anstatt Linsen hielt Kindler ein Säckchen Leindotter in den Händen. Was soll denn das sein? Der Landwirt wälzte Bücher, fragte alte österreichische Bauern und moderne, universitäre Agrarforscher. „Die Pflanze hat mich nicht mehr losgelassen“, erinnert er sich.

Bei den alten Kelten wird er schließlich fündig, deren Hauptnahrung unter anderem Leindotter war. Zugleich entwickelt sich zu jener Zeit der Hype um das Superfood der Chia-Samen – der letzte Schrei aller Abnehmwilligen. „Ich dachte mir: Es kann doch nicht sein, dass wir Chia aus Lateinamerika essen – bei uns wächst doch alles, was uns stark macht“, wettert Kindler.

„Deutsches Chia Gold“ heißt die Marke

Nachdem er beobachtet hatte, dass sich die ernährungsphysiologischen Eigenschaften der Chia-Samens und jenen seiner Leindotter-Pflanzen ähneln, war die Idee geboren: Ein Chia-Produkt soll in den Handel, allerdings aus seiner deutschen Produktion. „Deutsches Chia Gold“ heißt jetzt die Marke, die Kindler beim Patentamt eintragen ließ, geschützt im Wortlaut und als Grafik in allen 27 europäischen Ländern.

„Wir sind richtig stolz, dass du das geschafft hast“, freut sich Werner Ruppert, der Präsident des Deutschen Erfinderverbandes, der eigens zur Urkundenübergabe angereist ist – was nicht so schwer war, weil Ruppert im nahen Schönaich wohnt. Auch er selbst ist so eine Koryphäe. 40 Jahre lang war der Ingenieur bei IBM in der Forschung tätig. Viele, viele Dutzend Patente entstanden unter seiner Federführung. Wann immer zum Beispiel eine Bank eine Software zur automatischen Unterschriftenerkennung einsetzt, geht die Grundlage dafür auf Rupperts Ideen zurück.

„Zweck unseres Verbands ist die Förderung und Vernetzung der Erfinder“, sagt der Präsident, der dem Verband mit 330 Mitgliedern seit zwei Jahren vorsteht. Einzelkämpfer kommen nicht so weit, das gilt auch in diesem Metier. Tipps und Tricks sind in vielerlei Hinsicht nötig. „Erst vorletzte Woche habe ich bei einem solchen Erfindertreffen jemanden getroffen, der mir meine Entwicklung zeichnet“, erzählt Florian Rath, jener Miltenberger mit drei Patenten. Eine Erfindung ist zum Beispiel eine Deichsel für Lastwagen. „Ich hatte bei einer Firma gearbeitet und jedes Mal, wenn wir einen Anhänger an einen Lastwagen hängen mussten, war das ein Problem.“

Problem ist so ein Zauberwort für jene Spezies Mensch. Denn wer Erfinder ist, belässt ein Problem nicht beim Problem, sondern sucht nach Lösungen. „Wir sind eigentlich faule Menschen“, sagt Rath und nennt das Beispiel vom Graben. Derjenige, der zu faul war, einen Graben auszuschaufeln, hat eben den Bagger erfunden.

Bei der Patentanmeldung kann man vieles falsch machen

Eine Patentvoranmeldung, samt Geheimhaltungsvereinbarung für die Deichsel hat Florian Rath abgeschlossen, jetzt ist er auf der Suche nach Investoren. Eine Halle braucht er und einen Lastwagen, um seine Deichsel ausprobieren zu können – zu teuer für den 30-Jährigen. Hier zeigen sich wieder die Vorteile der Erfinderverbandes, denn da geht es um Vernetzung.

Viel kann man falsch machen. Das weiß keine besser als die resolute Juristin Cornelia Neidl-Stippler, die ebenfalls zum Erfinder-Stammtisch geeilt ist. Sie ist Patentanwältin. „Man kann da so viel falsch machen“, sagt sie und berichtet von einem Klienten, der seine Innovation bei einem Kongress in Kanada präsentiert hat – ohne Patentanmeldung. Heute könnte der Mann Millionär sein. Täglich arbeitet Neidl-Stippler mit Erfindern, kennt die Szene. Es bringt sie auf die Palme, wenn die Tüftler von manchen belächelt werden oder als skurrile Gestalter abgestempelt werden. „Das Problem ist auch, dass die Industrie in Deutschland keine Erfindungen einkauft“, sagt die Münchner Juristin. Zu groß sei die Furcht vor Konkurrenz, die die unternehmenseigenen Forschungsabteilungen anschauen.

Bei Andreas Kindler hat alles geklappt. Ihn hat Cornelia Neidl-Stippler nämlich in Sachen Chia vertreten. Als Kindler die Marke anmelden wollte, meldete sich prompt der marktführende Snack-Hersteller in Deutschland und legte sofort Widerspruch gegen den Renninger Landwirt ein. Die erfahrende Patentanwältin erwirkte eine außergerichtliche Einigung, dennoch merkt man am lauten Aufatmen der Stammtischler, dass das auch hätte schief gehen können.

Kindler ist froh, serviert zur Feier des Tages seine Heckengäu-Linsen und als Nachtisch eine Honig-Chia-Creme. Werner Ruppert, Cornelia Neidl-Stippler, Florian Rath und all die anderen lassen es sich schmecken, Ebenso Jochen Benz. Auch er ist eine originelle Koryphäe. Der Radolfzeller hat den Stirling-Motor so verändert, dass er auch mit niedrigen Temperaturen von nur 150 Grad auskommt. „Fast alle Prozesse in der Industrie produzieren Abwärme“, so Benz. Hängt man einen Generator an seinen Motor, könnte man aus dem Abfall Strom machen – eine Lösung des Energieproblems. Am Ende sind sich alle einig: Die Ideen gehen nie aus.