Aus Anmut wird Angst: Werke von Ngyuen Xuan Huy

Leonberg - Die Bilder verführen: Ihre scheinbar gegenständliche Komposition lockt den Blick mit ausgewogenen Proportionen, menschlicher Porzellanhaut und allgemein ansprechender Farbgebung. Doch befindet sich der Betrachter erst emotional im Bildgeschehen, folgt dem anfänglichen Entzücken unwillkürliches Schaudern. Denn die scheinbar perfekt der Realität entnommenen Motive erweisen sich als surreal anmutende Schreckensbilder. Zu sehen sind die Arbeiten von Ngyuen Xuan Huy noch bis zum 29. Dezember im Leonberger Galerieverein.

 

Für den Maler, 1976 in Hanoi geboren, sind sie Teil einer von ihm selbst erlebten Wirklichkeit. Denn das vor einem halben Jahrhundert von den US-Streitkräften im Vietnamkrieg dort eingesetzte Entlaubungsmittel „Agent Orange“ enthält Dioxin. Bis heute ist das furchtbare Gift noch im Boden und im Grundwasser nachweisbar, bis heute kommen in Vietnam deswegen Kinder mit Missbildungen auf die Welt. All das hat der Maler, der die ersten 17 Jahre seines Lebens in Vietnam verbrachte, aus nächster Nähe erlebt.

Auch die Missbildungen im menschlichen Geist, die das totalitäre System des Kommunismus bei vielen hinterlassen hat: All das findet sich in seinen – nach allen Regeln der bildenden Kunst – perfekt ausgeführten Arbeiten wieder.

Bewusst zweideutiger Titel

Die aktuellsten Werke sind drei Stücke aus der fünfteiligen Serie „Waiting until Heaven is done“. Der Titel ist bewusst zweideutig gewählt. Man kann ihn so verstehen, dass der Himmel irgendwann vollendet sein wird – oder geschafft, völlig am Ende. Die großformatigen Werke lassen eher das Zweite vermuten. Denn Adam, Kunstkennern von der Sixtinischen Kapelle Michelangelos bekannt und darüber hinaus auch recht populär, lungert eher apathisch mit einer Weinflasche in der rechten Hand. Über die Fingerspitze der linken müsste er dem Vorbild nach den göttlichen Funken von der Hand Gottvaters empfangen. Doch der ist nicht da. Stattdessen findet sich an der entsprechenden Stelle ein Konglomerat aus Rinderhälften und nackten Frauen. Der einzige Mann im Bild, der diese Funktion übernehmen könnte, ist in die rechte untere Bildecke gerutscht und erinnert mit seinen Piercings eher an einen halbseidenen Türsteher. Das Riesengehirn hinter ihm – ein Hinweis auf den göttlichen Geist?

Das „Fleisch“ spielt bei dem in Berlin lebenden Künstler eine zentrale Rolle. Vielleicht verweist es tatsächlich auf die Reduktion des Menschen auf seine physische Existenz, als Verfügungsmasse für autoritäre Systeme, womöglich als Kanonenfutter, wie der Erfurter Galerist Jörk Rothamel bei der Einführung anmerkte. Er schätzt an Ngyuen Xuan Huy vor allem, dass dieser „nichts verklausuliert, sondern uns mitten ins Gesicht spricht. Er sagt Wahrheiten, die wir nicht hören wollen.“

Kritik am Kommunismus

Die Kritik am Kommunismus ist vor allem in den älteren Werken zu beobachten. Da ist das Pioniermädchen, das von einer Schar nackter, kopfloser Hühnerkadaver überflogen wird, der „Chickenwing Company“. Damit klagt der Maler die Lüge der Partei an, die solchen Mädchen erzählt, sie könnten im System ein Adler sein, während sie in Wahrheit niemals über den Hühnchenstatus hinauskommen werden.

Das Gruseln hinter dem schönen Schein stellt sich auch bei anderen Exponaten ein: Der Figurstudie 12 etwa, die das Auge mit einer bildschönen Frau lockt, die graziös einen Fächer hält. Die untere Körperhälfte hingegen offenbart, in schönster Manier gemalt, grausige Deformationen.

Die „Ballet School“ verspricht anmutige, halb entblößte Tänzerinnen in weißen Tutus. Ein zweiter Blick lässt jedoch erkennen, dass hier mitnichten perfekte Körper, sondern Missbildungen zu einer vordergründig ästhetischen Komposition verbunden wurden. Dass Vietnam für den Maler sehr präsent ist, zeiget „Suction“: Eine Traumlandschaft mit verschneiten Hügelketten bildet den Rahmen für drei weibliche Akte. Die jungen Frauen jedoch sind durch gasmaskenähnliche Masken völlig entstellt.

Starke Werke, welche die Betrachter mit einer wichtigen Erkenntnis zurücklassen: Was uns auf den ersten Blick wunderschön und perfekt erscheint, kann hinter der verführerischen Fassade lauernde, schreckliche Abgründe verschleiern.

Was, wann, wo:

Ausstellung: Die Werke sind im Galerieverein bis zum 29. Dezember immer dienstags, mittwochs, donnerstags, samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr zu sehen. Führungen mit Christina Ossowski am 24. November und 8. Dezember, jeweils um 16 Uhr.