Die Sozialpädagogin Julia Grözinger hat schon viele Menschen vor der Obdachlosigkeit bewahrt. Die 37-Jährige arbeitet bei der landkreisweiten Fachstelle Wohnungssicherung.

Herr J. lebt nun in einer Wohngruppe. Dort bekommt der Mann mit psychischen Problemen die Hilfe, die er braucht, um seinen Alltag zu meistern. Zu verdanken hat er das vor allem Julia Grözinger. Die 37 Jahre alte Sozialpädagogin von der Fachstelle Wohnungssicherung im Kreis Ludwigsburg hat den Hemminger über Monate begleitet und unterstützt, nachdem der Vermieter bei Gericht eine Räumungsklage eingereicht hatte. So ein Schicksal nehme einen mit, sagt Grözinger, die Herrn J. als einen „herzensguten Menschen“ beschreibt.

 

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Jeden Donnerstag bietet Julia Grözinger im Hemminger Rathaus Mieterinnen und Mietern, denen Wohnungslosigkeit droht, ihre Hilfe an. Wenn der Vermieter gekündigt hat oder kurz davor ist, wegen Mietschulden, wegen Eigenbedarfs. Gründe für eine Kündigung gibt es etliche. „Die meisten kommen, wenn die Kündigung vorliegt“, berichtet Julia Grözinger. Haushalte mit Räumungsklage – über sie informieren die Sozialleistungsträger – kontaktiert die 37-Jährige selbst. Viele, die sie anschreibt, würden sich zurückmelden. „Die Leute sind froh, wenn wir Hilfe anbieten.“

Oft haben die Betroffenen mehr als ein Problem

Die umfassend ist. Julia Grözinger unterstützt beim Kontakt mit Behörden und dabei, finanzielle Hilfen zu beantragen, sucht nach einer Lösung mit dem Vermieter, bereitet auf die Wohnungssuche vor, versucht bei einer „wasserdichten Eigenbedarfskündigung“ Zeit zu gewinnen, informiert über den Ablauf von der Kündigung bis zur Räumung. „Vermittler zu anderen Anlaufstellen sind wir auch“, sagt sie: Wenn Betroffene mehr Probleme als „nur“ die drohende Obdachlosigkeit haben – Sucht oder weitere Schulden.

„Es geht auch darum, ein offenes Ohr zu haben“, sagt Grözinger, die für insgesamt vier Kommunen zuständig ist. Ob hier oder dort: „Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe“, betont die 37-Jährige. Sie und ihre vier Kolleginnen und Kollegen könnten die Menschen nur anstupsen und unterstützen, „bewegen müssen sie sich dann selbst“. Oft mit Erfolg: Voriges Jahr schloss Julia Grözinger in Hemmingen zehn Beratungsprozesse ab – alle positiv. Vier Haushalte konnten in ihrer Wohnung bleiben, sechs sind in eine andere gezogen – wie Herr J.

Vermieter mit Vorurteilen

Zurzeit betreut Julia Grözinger sieben Fälle, drei Haushalte kamen seit 2022 hinzu. Die Sozialpädagogin sagt, sie müsse abgehärtet sein, wie das in sozialen Berufen generell nötig sei. Gleichwohl: Sie hat zwei kleine Kinder, daher berühre es sie besonders, wenn Familien oder Alleinerziehende von Obdachlosigkeit bedroht seien. Vermieter hätten häufig Vorurteile, bedauert Grözinger: Alleinerziehende hätten ihre Kinder nicht im Griff, laute ein Klischee. Auch Bezieher von Hartz IV hätten es wegen ihres geringen Einkommens schwerer.

Doch wenn Julia Grözingers Einsatz fruchtet, profitieren nicht bloß die Klienten – zumal nur sehr schwer eine neue, eigene Wohnung findet, wer erst mal obdachlos ist. Die Kommunen müssen Wohnungslose unterbringen, und das kostet. Laut dem Hemminger Bürgermeister Thomas Schäfer (CDU) ergibt sich für die Unterbringung in einer gemeindeeigenen Unterkunft eine Gebühr pro Person und Monat inklusive der Nebenkosten von 250 Euro. Natürlich berät die Fachstelle bei weitem nicht jeden Haushalt, den Obdachlosigkeit bedroht. Corona verhinderte es, bekannter zu werden. Hemmingen zählt derzeit rund 80 Wohnungslose. Die privat untergebrachten Menschen aus der Ukraine nicht mitgezählt.

Korntal-Münchingen von Anfang an dabei

Wie sich die Situation angesichts des Kriegs in der Ukraine entwickelt, kann Grözinger noch nicht abschätzen. „Es kann sein, dass für uns weniger Wohnungen zur Verfügung stehen“, sagt sie. Die Klienten hätten Angst, wegen der Flüchtlinge keine Wohnung zu bekommen, da sie glauben würden, die Vermieter würden zunächst den Geflüchteten helfen – „das ist zum Teil auch so“, bestätigt Julia Grözinger. Sozialwohnungen fehlten indes schon lange.

Länger als Hemmingen – seit April 2019 – setzt Korntal-Münchingen schon auf die Beratung. „Sie bietet eine wertvolle Hilfeleistung zum Erhalt der Wohnungen“, sagt Diana Jäger-Hein, die Leiterin des Sachgebiets Öffentliche Sicherheit und Ordnung. Diese Hilfe könnte eine Kommune sonst in dem Rahmen nicht leisten. 2021 endeten von 13 Beratungsprozessen nur drei Fälle in einer obdachlosenrechtlichen Unterbringung.

Der Kreis Ludwigsburg ist Vorbild für den Nachbarkreis

Hilfe
Die Fachstelle Wohnungssicherung, deren Träger die Wohnungslosenhilfe im Landkreis Ludwigsburg ist, wächst seit 2016. Damals startete das Projekt mit Ludwigsburg, Kornwestheim, Besigheim und Korntal-Münchingen. Zu den mittlerweile 24 Kommunen kommen nun sieben dazu. Die Arbeit wurde bis Ende 2021 weitgehend aus Mitteln der EU sowie der beteiligten Kommunen finanziert, seit Januar vollständig durch die Kommunen. 2021 nahm die Fachstelle insgesamt 285 neue Haushalte auf. 246 Fälle endeten positiv, 552 Personen stehen dahinter.

Einstieg
 Gerlingen bietet ab Oktober eine Vorort-Beratung durch die Fachstelle – vier Stunden pro Woche. In Gerlingen leben aktuell 34 obdachlose Menschen in einer Unterkunft der Stadt.

Absage
 Ditzingen hat eine Mitgliedschaft geprüft – und sich dagegen entschieden. „Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt mit eigenem Personal in diesem Bereich gut aufgestellt“, begründet dies der Rathaussprecher Jens Schmukal. Er berichtet von momentan rund 60 Obdachlosen. „Diese Zahl ist tendenziell recht stabil.“ Nicht mitgezählt seien die ukrainischen Flüchtlinge, von denen ein kleiner Teil ebenfalls als obdachlos gemeldet sei. Diese Zahl betrage zurzeit 13 Menschen.

Vorbild
 Der Kreis Böblingen beobachtet die Fachstelle aufmerksam, denn er will nachziehen. „Wir wollen der Kreispolitik im Sommer ein Konzept zur Etablierung einer solchen Fachstelle im Landkreis vorlegen “, sagt Rebecca Kottmann, die Sprecherin des Landratsamts. Man beschäftige sich mit dem Thema intensiv und sammle Informationen bei den bereits bestehenden Initiativen.