Was für eine Spannung im Zweierbob! Francesco Friedrich wird mit seinem Anschieber Thorsten Margis Olympiasieger – doch nicht allein das deutsche Duo bekommt Gold.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Pyeongchang - Da staunte Justin Kripps nicht schlecht. Der kanadische Bobpilot hatte die Ziffer „1“ auf der Anzeige gesehen, als er über die Ziellinie gefahren war. Das bedeutete die Goldmedaille. Doch gleichzeitig sah er auch, wie sein Konkurrent Francesco Friedrich in der Auslaufzone freudestrahlend herumhüpfte und gar nicht mehr aufhören wollte. „Das habe ich nicht zusammengebracht in meinem Kopf“, erzählte der Kanadier später, „erst als die Deutschen mir kräftig auf die Schultern klopften, wurde mir klar: Wir sind zeitgleich Olympiasieger.“

 

Die Zweierbob-Entscheidung am Montag in Pyeongchang war ein wahrer Thriller im Eiskanal, spannender als der James-Bond-Streifen „In tödlicher Mission“, wo 007 auf Skiern durch die Eisrinne von Cortina rast. Denn im Film ist klar, wer gewinnen würde. In Südkorea war es nicht vorhersehbar, weil vor dem letzten der vier Läufe fünf Piloten innerhalb von 13 Hundertstel lagen. Sie alle hatten noch eine Chance auf die Goldmedaille.

Johannes Lochner vom Bobclub Stuttgart-Solitude wird Fünfter

Nach dem Showdown feierten die beiden Crews Francesco Friedrich/Thorsten Margis und Justin Kripps/Alexander Kopacz. Die anderen deutschen Fahrer, die ebenfalls auf Gold geschielt hatten, gingen leer aus. Hinter dem Letten Oskars Melbardis auf dem Bronzerang belegte Nico Walther Platz vier, Johannes Lochner wurde Fünfter. „Wenn man in vier Läufen nur in einem sauber durch Kurve neun kommt, kann man keine Medaille gewinnen“, stöhnte Lochner, der für den Bobclub Stuttgart-Solitude startet.

In dem Augenblick, als die „0,00“ nach Kripps’ Zieldurchfahrt aufleuchtete, als klar war, dass Friedrich seine erste Olympiamedaille hatte, sind Thomas Schwab, dem Chef des Bob- und Schlittenverbands Deutschland (BSD), sowie Bundestrainer René Spies bestimmt einige Hinkelsteine vom Herzen gefallen. Damit war die Schmach von Sotschi getilgt: Über das historische Debakel von 2014, als die Bob-Nation Deutschland seit 50 Jahren erstmals bei Winterspielen leer ausgegangen war, konnte der Mantel des Vergessens gelegt werden. Friedrich wurde damals im Zweier Achter und war bester Deutscher. „Da dachte ich, das darf nie mehr passieren“, sagte der Pilot aus Altenberg, „deshalb wollten wir hier unbedingt Gold.“

Die Schmach von Sotchi konnte in Pyeongchang abgehakt werden

Natürlich hatten deutsche Besatzungen in den Wintern danach bis zu den Spielen von Korea Erfolge gefeiert. Friedrich wurde 2017 Weltmeister im Zweier und Vierer, Lochner ebenfalls Champion 2017 im Vierer – doch eine WM oder EM hat lange nicht den Stellenwert von Olympia. Die Schmach von Sotschi konnte nur in Pyeongchang abgehakt werden.

Genau das hat Thomas Schwab an diesem 19. Februar 2018 getan. „Dieser Erfolg“, sagte der BSD-Chef und blickte ausbalanciert in die Runde, „war wichtig fürs gesamte Team, er ist der verdiente Lohn für die Arbeit der vergangenen vier Jahre.“ Nach dem Debakel an der russischen Schwarzmeerküste wurden Strukturen überdacht, die Organisation überprüft und die Trainingsinhalte gecheckt. Thomas Schwab wagte die Revolution, der ehemalige Rodler ließ den Bobpiloten die Wahl zwischen den zwei konkurrierenden Herstellern FES aus Berlin und Wallner aus Tirol.

Erst der Technologiewettstreit, dann der Friedensvertrag

Der interne Technologiewettstreit sollte der Katalysator des Erfolgs sein, was allerdings nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß. 330 000 Euro wurden insgesamt investiert. Mit der Goldmedaille für Francesco Friedrich darf das Projekt als Erfolg gewertet werden. „Der Plan ist aufgegangen“, verkündete Schwab, „ein großes Lob an beide Hersteller.“ In der innerdeutschen Bob-Auseinandersetzung wurde damit gewissermaßen der Friedensvertrag von Pyeongchang geschlossen.

Bundestrainer René Spies war genauso erleichtert, auch er hatte die Veränderungen mitgetragen. Zunächst war er Co-Trainer unter Christoph Langen, der die FES harsch kritisiert hatte. Als Langen aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat, übernahm Spies 2016 den Posten. „Das waren vier sehr intensive Jahre in allen Bereichen“, sagte der 44-Jährige, „sie waren nicht einfach, aber sie haben sich gelohnt.“ Spies hatte sich die Nacht auf Montag um die Ohren geschlagen, hatte sich immer wieder Videostudien der Läufe angesehen – die seiner Athleten und jene der Konkurrenz. Er hatte mit Friedrich beschlossen, an dessen Schlitten hinten andere Kufen zu montieren, damit der Bob stabiler durch Friedrichs Problemzone fährt, durch die Kurven zwei und drei.

Im Vierer hoffen die Deutschen auf den nächsten Coup

Nun könnte man schließen, da der 27-Jährige ein FES-Gefährt lenkte, hätten die Berliner den Technologie-Wettstreit gewonnen. Zumindest Schwab würde diesem kausalen Zusammenhang widersprechen. Rechne man die Fehler von Wallner-Mann Lochner in Kurve neun heraus und lasse die Startzeiten außer Acht, seien die zwei Fabrikate „nicht weit auseinander“. Außerdem steht am Samstag und Sonntag der Vierer-Wettbewerb auf dem Programm: Walther sitzt im FES-Schlitten, Friedrich und Lochner fahren im Wallner-Bob. Wenn einer gewinnt, dürfte es zweitrangig sein, in welchem Bob er triumphiert. Denn dann redet endgültig keiner mehr von Sotschi 2014.