Der berühmte Krimiautor liest aus seinem neuen Politthriller „Der große Plan“.

Weil der Stadt - Von Georg Dengler soll ich Sie schön grüßen, er kann heute leider nicht kommen“ – so eröffnet Wolfgang Schorlau charmant seine Lesung in der schon lange ausverkauften „Kulisse“. Die Gäste nicken wissend und amüsiert, denn sie gehören zum inzwischen recht großen Leserstamm des renommierten Stuttgarter Krimi-Autors, und manche haben alle neun „Dengler“-Krimis im Bücherschrank. Organisiert hat den Abend Brigitte Mareczek von „Buch und Musik“.

 

Wolfgang Schorlaus Alleinstellungsmerkmal in der Krimi-Szene ist nach Aussage der Besucher seine Kombination aus sorgfältiger Recherche aktueller Themen und spannender Unterhaltung. Als Meister der heißen Eisen hat er unter anderem bereits über die Privatisierung der Wasserwirtschaft, den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, das Bombenattentat auf dem Oktoberfest und den NSU-Komplex Krimis vorgelegt, die auf großes Publikumsinteresse gestoßen sind. In der „Kulisse“ liest er aus dem brandneuen neunten Band seiner „Dengler“-Serie, der in ein politisch-ökonomisches Wespennest sticht: die „Griechenland-Rettung“.

Eine echte Männerfreundschaft

Mit seinem Protagonisten Georg Dengler pflegt er eine Art Männerfreundschaft, die wohl schon über zehn Jahre dauert. Am Anfang von Denglers neuem Fall steht die Entführung von Anna Hartmann, einer Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes, die für die Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission tätig ist. Dengler ermittelt, macht sich akribisch Notizen in sein schwarzes Notizbuch - und die Spur führt nach Griechenland und von dort mitten ins internationale Netz der Finanzindustrie.

Dengler, ein penibler Schwabe, steckt seine Privatschnüffler-Nase bevorzugt in allerlei Dinge, die gerne unter der Decke gehalten werden. Dabei kommen historische Ereignisse ans Licht, die schon länger zurückliegen: die deutsche Besatzungszeit, unter der Griechenland 1941 bis 1943 zu leiden hatte und die zehn Prozent der Bevölkerung das Leben gekostet hat. In der Figur des Gero von Mahnke (nomen est omen!) skizziert er die harte Besatzungspolitik, welche die Rationierung von Brot und Reis anordnet, bis die Lebensmittelversorgung Griechenlands zusammenbricht und das Land hungert. Der Roman verknüpft mehrere Handlungsstränge, die schließlich geschickt zusammengeführt werden.

Wo sind die Milliarden hin?

Die von den Medien angebotene Erklärung der „Griechenland-Krise“ – „die Griechen leben über ihre Verhältnisse“ – befriedigt Dengler nicht. Er will es jetzt ganz genau wissen: Wo sind die Milliarden der „Griechenland-Rettung“ eigentlich gelandet – wenn es in Athen Suppenküchen gibt wie in den schlimmsten Kriegstagen?

Da muss dann die Fachkompetenz von Sohn Jakob her, der in Berlin Volks- und Betriebswirtschaft studiert. Der doziert mit Schaubildern über Bargeld und Buchgeld, untersucht, wie viel Geld es auf der Welt gibt (man könnte damit zwölfmal alles kaufen, was es in der Welt gibt!) und erklärt so geheimnisvolle Finanzprodukte wie „Derivate“. Hier wird die Lesung zum spannenden Unterricht, der Strukturen unseres Wirtschaftssystems in Grafiken demonstriert und die „Griechenland-Krise“ auf eine Wette auf den Fall des Euro zurückführt.

Die Diskussion nach der Lesung

Im Gespräch mit dem Griechen Petros, dessen Hund nach dem Philosophen Sokrates benannt ist, wird nicht nur die Misere des einfachen Volkes besprochen – es werden auch bissige Seitenhiebe auf „typisch deutsche Charaktereigenschaften wie Disziplin und Hierarchie“ verteilt, und das Luxushotel Grand-Bretagne wird so charakterisiert: „Verkaufen Sie Ihr Auto, und bleiben Sie eine halbe Nacht hier!“

Eine angeregte Diskussion folgt der Lesung, in der Schorlau für eine Transferunion analog dem bundesdeutschen Länderfinanzausgleich plädiert, was im Publikum nicht auf ungeteilte Zustimmung stößt. Er kritisiert die Medienkampagne, welche die Krise auf schlechte Charaktereigenschaften der Griechen zurückgeführt habe statt den strukturellen Ursachen nachzugehen, die letztlich in der negativen Handelsbilanz der südeuropäischen Staaten und dem eigenwilligen Geschäftsmodell der Finanzindustrie begründet seien. Besucher verweisen auf die hohen Militärausgaben Griechenlands und auf Missstände, wie ein fehlendes Grundbuch und großzügige Ruhestandsregelungen.

In sommerlicher Atmosphäre stehen nach der inspirierenden Veranstaltung lockere Gruppen von Besuchern noch lange vor der „Kulisse“: Es wird angeregt und kontrovers diskutiert – und was kann ein engagierter Autor sich mehr wünschen?