Seit dem 19. Jahrhundert wird das Traditionsfest in der Gemeinde gefeiert – heute im Heimatmuseum.

Weissach - Leere Bierflaschen, Teelichter. Ein Scheinwerfer wirft zuckende rosa Flecken an die Decke. An den Wänden hängen Bahnen aus Gold und Grün. In den Gläsern schwappt rote Flüssigkeit gegen den Rand. Hände schlagen eifrig den Takt. „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“, grölen drei Frauen lauthals mit.

 

Es ist Sonntag und Kirbe im Flachter Heimatmuseum. „Noch ist nicht viel los, aber je später die Uhrzeit, desto zahlreicher die Gäste, so war es schon immer“, meint Stephan Kootz vom TSV. Ursprünglich wegen der Weinlese ins Leben gerufen, ist die Kirbe seit dem 19. Jahrhundert ein Fest des Abschlussjahrgangs. Dort haben sie Geld verdient und Bekanntschaften geschlossen. Dabei war immer die Weissacher Festhalle Ort des Geschehens. Bis heute. Aufgrund ihres Alters musste sie abgerissen werden. 1935 erbaut, hat sie stets als Platz der feuchtfröhlichen Runde gedient. „Ich bin sehr traurig , dass es die alte Halle nicht mehr gibt“, meint TSV-Vorstand Andreas Pröllochs, „sie war nicht nur ein Teil von Weissach, sondern auch optimal für die Kirbe.“ Die Strudelbachhalle als neue Location, findet er nicht ideal. „Die Kirbe ist rustikal, dort ist es elegant. Ich glaube nicht, dass das passt“, fährt er fort, „trotzdem ist es toll, dass sich der Bürgermeister für eine neue Halle eingesetzt hat.“

Wilde Zeiten im Weissacher Museum

Ein Mann neben ihm lacht, ordert einen Whiskey an der Bar. Diese und das Gemälde dahinter sind die einzigen Überbleibsel der Festhalle. Beide sind Teil der Ausstellung „Wilde Zeiten“ im Weissacher Museum. „Es geht darum, was die Jugend hier bewegt, und die Kirbe gehört da einfach dazu“, erklärt die Museumsleiterin Barbara Hornberger. Die 54-Jährige kommt eigentlich aus Stuttgart und ist das erste Mal bei diesem Fest dabei. Gemeinsam mit ihren Kollegen und dem TSV haben sie diese besondere Kirbe organisiert. Alle Generationen sind eingeladen, jeder kann seine Lieblingshits mitbringen.

Normalerweise ist das Event nur für die 20-Jährigen. „Früher kamen am Montag die älteren Jahrgänge dazu, das ist heute leider nicht mehr so“, erzählt Hermann Heck, ein Urgestein der Kirbe. Der 78-Jährige erinnert sich noch genau an den Ablauf: „Ein halbes Jahr vorher begann die Organisation. Erst haben wir uns eine Stammkneipe gesucht und dort einen Kirbespruch aufgehängt.“ Bezahlt hätten sie dann, wenn die Kirbe vorbei war.

Wie wird man zur Kirbe-Sau?

Diese fing an mit dem Spaziergang zur Mühle. Anschließend zog man mit einem alten Kinderwagen durch die Stadt um Wurst, Geld und Eier zu sammeln. „Mit 200 Stück gab es am nächsten Morgen Rührei für alle“, schwärmt Heck. Und jede Nacht wurde in der Festhalle gefeiert. „Wenn man alle Abende zur Feier kam und sie auf eigenen Beinen wieder verlassen konnte, wurde man im Mitteilungsblatt zur Kirbe-Sau gekürt“, erzählt Stephan Kootz, viermal mit diesem Titel geehrt.

Zu Zeiten seines Opas habe noch jeder seinen eigenen Most mitgebracht und dort verkauft, erinnert er sich. Später habe es die Bar im Keller gegeben. „Oft war es so voll, dass wir bis ganz die Treppe hoch standen und von dort Getränke bestellen mussten“, sagt Kootz lachend,„Wir haben das Geld nach vorne durchgereicht und genau so kam auch das Getränk zu uns. Ohne etwas zu verschütten.“ Doch es sei nicht nur ein Platz zum Trinken und Tanzen gewesen, sondern auch eine Art Heiratsmarkt. So hätten sich dort nicht nur Liebschaften gebildet, sondern auch Eheleute gefunden. „Im oberen Raum hat man sich angesprochen und sich in der dunkleren Kellerbar näher kennengelernt“, weiß Stephan Kootz, „damals war es noch verpönt, sich in der Öffentlichkeit zu küssen. Aber was in der Bar passierte, blieb auch in der Bar.“

Und manch einen trifft die Liebe

Peter Arnold hat so seine erste Frau kennengelernt. „Ich habe sie gefunden, gesehen und wollte sie haben“, sagt der 57-Jährige verschmitzt, „drei Wochen später haben wir geheiratet.“ Sie haben sich zwar nach 28 Jahren getrennt, er fühle sich aber trotzdem sehr verbunden mit der Kirbe, sie habe sein Leben geprägt, sagt der Weissacher.

Ein Paar tanzt an ihm vorbei, eng umschlungen im Takt der Musik. „Es gibt nicht viele Orte, die diese Tradition leben“, meint Andreas Pröllochs, in der Hand ein Tablett mit leeren Gläsern, „wir müssen die Kirbe am Leben halten.“ Und so feiern auch Ende Oktober die Zwanzigjährigen unter dem Motto: „Die Kirbe bleibt im Dorf.“