Einblicke in ein Seminar der Landesakademie für Jugendbildung.

Weil der Stadt - Neulich während einer Autofahrt. Vier Leute sitzen im Wagen, unterhalten sich über das politische Thema Nummer Eins derzeit in Deutschland. Um Flüchtlinge geht es, und plötzlich heißt es: „Ausländer vergewaltigen viel mehr als Deutsche.“ Drei Leute im Auto sind sich einig – und Kerstin Angele ist sprachlos. „Da ist man erst mal etwas überfordert, wenn man im Alltag mit solchen Sätzen konfrontiert wird“, erzählt sie.

 

Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Homophobie, Sexismus – alles Themen, die mitten im Alltag auftauchen. „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ nennen Soziologen diese Phänomene. „Unsere ganze Gesellschaft ist durch solche Vorurteile strukturiert“, erklärt Felix Steinbrenner. Er ist Referent bei der Landeszentrale für politische Bildung. Und Alex Schell vom Stadtjugendring Stuttgart ergänzt: „Da müssen wir ein Bewusstsein schaffen.“

Deshalb sind die Experten in die „Landesakademie für Jugendbildung“ auf den Weil der Städter Malersbuckel gekommen, um über Rassismus im Alltag zu diskutieren. Auch Kerstin Angele ist da. „Wie kann ich mich selber besser steuern, wenn ich mit solchen Aussprüchen konfrontiert werde?“, will sie wissen.

Eine gute Gesprächsstrategie hilft

Aussprüche und Thesen, das bezeichnen die Experten als „Parolen“. „Parolen sind emotionale und pauschalisierende Aussagen, die nichts über das Thema aussagen, sondern mehr über den Sprecher verraten“, erklärt Felix Steinbrenner.

Nicht alle zehn Teilnehmer sind sofort überzeugt. „Es gibt doch auch Tatsachen“, überlegt eine Frau. „Ich wundere mich oft, wie viele Flüchtlinge ein Smartphone haben. Wer zahlt da die Gebühr?“ Und schon wird diskutiert. „Das ist jetzt eine klassische Parole“, sagt Alex Schell. „Flüchtlinge wären arm und könnten sich kein Handy meisten.“ Da gilt es sensibel zu sein, auch wenn Vorurteile und Parolen an sich nichts Schlimmes seien, wie Steinbrenner erklärt: „Wir brauchen Vorurteile, aber wir müssen sie uns immer wieder bewusst machen.“

Und mit ihnen umgehen lernen, wenn sie auftauchen. Im Büro, am Stammtisch – oder im Auto. Da haben die Experten Tipps. „Wichtig ist es, sich eine Gesprächsstrategie zu überlegen“, so Steinbrenner. Gegenfragen stellen zum Beispiel. „Damit setzt man das Gegenüber unter Zugzwang“, weiß Alex Schell. Und auf keinen Fall sollte man von einer Parole zur nächsten springen, sondern erst mal eine erörtern.

Immer auf der Sachebene bleiben

Zum Beispiel die mit den Flüchtlingen und den Handys. „Ich hab Kontakt zu einer Flüchtlingsfamilie“, sagt ein Teilnehmer. „Da ist das Smartphone eines der heiligsten Dinge, weil es der einzige Kontakt in die Heimat ist.“ Ein anderer überlegt: „Flüchtlinge sind nicht unbedingt arm. Die müssen ja erst mal den Schlepper bezahlen.“

„Sehr schön“, unterbricht Alex Schell den Schlagabtausch: „Das war ein gutes Gespräch auf Augenhöhe. Und die Parole hat sich als nicht richtig erwiesen.“ Felix Steinbrenner ergänzt: „Die Sachebene sollte man niemals verlassen und die Wertschätzung nicht vergessen werden.“

In der Gesellschaft gelinge das aber oft nicht. Eine Untersuchung der Universität Bielefeld zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ habe ergeben, dass fast die Hälfte der Befragten „vorurteilsgeleitete Auffassungen gegenüber asylsuchenden Menschen“ haben. Norbert Frank, Bildungsreferent der Weiler Landesakademie, will das nicht hinnehmen: „Wegen der aktuellen Entwicklung haben wir diesen Kurs spontan angeboten.“ Felix Steinbrenner und Alex Schell kommen regelmäßig her. „Es gibt viele Angebote für Jugendliche, aber noch nichts für Erwachsene“, sagt Steinbrenner. Dabei müssten auch die für fremdenfeindliche Strömungen in der Gesellschaft sensibel gemacht werden.

Die Teilnehmerin Sabine Horstmann-Schuhl ist froh darüber. „Manche Einstellungen im Alltag machen mich sprachlos“, erzählt sie. Und zieht am Ende des Seminares Bilanz: „Jetzt weiß ich, dass es wichtig, Position zu beziehen.“ Auch für Kerstin Angele hat sich der Tag gelohnt: „Man wird hier nicht zum perfekten Paroli-Bieter. Aber es ist ein wichtiger Schritt dahin.“