Narretei im August? Und mittendrin eine Böblingerin? Fragen über Fragen beim Zigeunerfest am Samstagabend im Spittel – und die Erklärung, warum die Narrenzunft AHA nicht gegen die Fasnetsregeln verstößt und trotzdem fröhlich ist.

Weil der Stadt - Nanu, was ist denn da los? Drei donnernde „AHA, AHA, AHA!“. Und das mitten im Sommer? Michael Borger, der Vorstand der Narrenzunft, liefert Aufklärung: „Der Bürgermeister ist noch im Urlaub, und auch die Beigeordnete ist in den Urlaub gestartet, da nutzen wir das kurze Zeitfenster.“ Da wacht sie also auf, für einen Abend, die Weiler Fasnet, und macht sich im Spittel breit.

 

Aber verstößt das nicht gegen ein eisernes Fasnetsgesetz, nämlich: kein närrisches Treiben zwischen Aschermittwoch und Martini, dem 11. 11.? Bernd Gleespieß steht mitten im Spittel neben dem großen Feuer, das er überwacht. Im Mund ein dicker Stumpen, und zusammen mit dem Dampf bläst er viele wahre Weisheiten in den zur Neige gehenden Tag. „Wir tragen ja heute kein Häs und keine Masken“, erklärt er. „Nur das ist im Sommer nämlich verboten.“ Um den Hals von Bernd Gleespieß baumelt ein bronzener Kopf, eine Art närrischer Personalausweis. Der weist ihn als Zigeuner aus, und als solcher ist er fein raus aus dem Häsverbot. „Deshalb feiert die ganze Narrenzunft im Sommer mit uns unser Zigeunerfest“, sagt er zufrieden.

Doch es wird nicht nur gefeiert, es gibt auch Nachrichtenwürdiges zu vermelden. Gleich zehn wagemutige Damen und Herren wollen in den erlauchten Kreis der Zigeuner aufgenommen werden. „Das sind so viele Neuaufnahmen wie noch nie“, verkündet Zigeunerbaronin Sabine Quessel. Das Zigeunerfest im Sommer nutzt das fahrende Volk traditionellerweise, um Bewerbern einen Narreneid abzunötigen und damit als Mitglied aufzunehmen. „Ich will sein ein Zigeuner mit Leib und Seele, / für unsere Sippe und die Fasnet bin ich immer zur Stelle“, rufen die zehn in den Nachthimmel, bevor der altgediente Fahrensmann Bernd Gleespieß mit einem glühenden Eisenstab die beiden Buchstaben FG in die Beine der Kandidaten tätowiert.

Tätowiert? „Haha, nee, nee, das machen wir dann doch nicht“, sagt Bernd Gleespieß und lacht, „da halte ich ein kleines Brettle vor die Beine. Das Brettle dürfen die neuen Zigeuner dann mit nach Hause nehmen.“ Was FG genau heißt, weiß er allerdings auch nicht so genau. Fragen wir also bei höherer Stelle nach. „Das bedeutet ‚Fahrende Gauner‘. Das ist ein Teil unserer 114-jährigen Tradition“, erklärt Sabine Quessel, die die Zigeuner im vergangenen Jahr zu ihrer neuen Baronin nobilitiert haben. Noch nicht ganz so lange ist Sylivia Kiss dabei. Die silberne Ziffer „2005“ auf ihrer bronzenen Zigeunerplakette beweist ihre neunjährige Mitgliedschaft.

Zigeunersuppe nach Geheimrezept

Aber jetzt im Moment ist eine andere Frage viel wichtiger. Ist die Suppe scharf genug? „Unsere Zigeunersuppe ist die einzig wahre Grundlage, um den ganzen Abend durchzuhalten und zu feiern“, erklärt sie. Also, was ist drin in diesem medizinischen Gebräu? Die zigeunerschwarzen Augen von Sylvia Kiss funkeln nur. „Das ist ein Geheimrezept, das wir von Generation zu Generation weitertragen.“ Nur so viel lässt sich die Chefköchin entlocken: Ganze einhundert Liter habe sie produziert, und alles war weg, bevor es dunkel wurde.

Das allerdings wundert hier beim Zigeunerfest niemanden. Ist es doch nicht nur das einzige Fest in Weil der Stadt während der Sommerferien, auch wettermäßig erhebt Petrus den Samstagabend zum Höhepunkt der Woche. Der Platz im Innenhof des Spitals jedenfalls ist gerammelt voll. „Da merkt man gleich den großen Zusammenhalt der Menschen hier in Weil“, schwärmt Petra Voigt. Sie ist eine der zehn Neuaufnahmen, und sie darf sich heute Abend deshalb erstmals als richtige Zigeunerin fühlen. Dabei ist sie in Sachen Fasnet eigentlich schon ein alter Hase.

Im Jahr 1982 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der Böblinger Narrenzunft Grün-Weiß. „Aber hier in Weil der Stadt ist es tausendmal schöner“, hat sie als Böblingerin festgestellt und deshalb bei den Zigeunern angeklopft. Die nehmen verzweifelte Konvertiten natürlich gerne, wenn, ja wenn diese über die entsprechende Berufskleidung verfügen. „Den Rock hab ich bei einem Internetauktionshaus gefunden und den vielen Schmuck erst heute beim Weiler Flohmarkt ergattert“, schmunzelt Petra Voigt.

Die Zigeuner bekommen ordentlich Zuwachs

Und eines gab es dann beim Zigeunerfest am Samstagabend gratis dazu: viele neue Freunde. Zum Beispiel Ursula Gann. Sie ist heute ebenfalls von den Zigeunern neu aufgenommen worden. „Mein Mann macht hier schon lange mit. Und ich wollte ihn endlich mal wieder sehen“, beschreibt sie die tragischen Hintergründe ihres Beitritts, während sie sich am großen Feuer im Spittelinnenhof wärmt.

Bernd Gleespieß, die fleischgewordene Zigeunertradition, muss Holz nachlegen, damit es nicht ausgeht. „Ich bin immer da, wenn es raucht und stinkt, / lieb den Schlachtruf ,AHA‘, wenn er am lautesten klingt“, haben die zehn Novizen noch wenige Minuten zuvor geschworen. Was ist das Geheimnis dieses Fests? „Des isch halt so, wie’s scho immer war, und so isch’s halt schee“, verrät der Bernd. Das Rezept der Fasnet, es gilt eben auch im Sommer . . .