In Weil der Stadt sind Unternehmen aus ganz Baden-Württemberg zusammen gekommen. Die Erkenntnis: Fachkräfte sind immer schwerer zu finden – dabei wird Familienfreundlichkeit immer wichtiger. Das zeigt sich beim Leonberger Heiner Scholz.

Weil der Stadt - Als Heiner Scholz acht Jahre alt war, hat er Tintenfische gefangen und sie an Restaurants verkauft. Wenn man ihn damals gefragt hätte: „Was arbeitest du?“ Hätte er geantwortet: „Ich spiele nur.“ Nun, 23 Jahre später, will er sich diese Frage wieder ein wenig so beantworten. Der Leonberger Heiner Scholz ist mit seiner Firma längst von Warmbronn aufs Böblinger Flugfeld gezogen, beschäftigt 60 Mitarbeiter – und verkauft jetzt das Konzept, dass sich die Angestellten am Arbeitsplatz wohlfühlen und ihr Leben, ja ihre Freizeit mit dort verbringen. Das erzählt er bei einem Forum der Weiler Wirtschaftsförderung im Klösterle am Donnerstag.

 

Das hört sich ein wenig an wie in einem Märchen, aber Heiner Scholz wirkt nicht so wie ein Märchenonkel. „Ich wollte immer in einem Unternehmen arbeiten, das seine Angestellten lieben, mit meinem besten Freund“, sagt er. Und genau so sei es. Auf den Chef-Parkplatz und die dunklen Anzüge verzichtet er inzwischen. Was hat das alles zu tun mit Fachkräftemangel und Familienfreundlichkeit? Es geht um einen Paradigmenwechsel der Wirtschaft. „Die Unternehmer sind inzwischen die Bewerber, die sich um Fachkräfte bemühen müssen“, erklärt auch Rüdiger Beistein, der Personalchef des Hochdruckreiniger-Herstellers Kärcher aus Winnenden. Nicht nur Informatiker und Ingenieure sind schwer zu bekommen, auch andere Fachkräfte. Daher hat die Weiler Wirtschaftsförderung zusammen mit der des Landkreises und der Landesregierung das Forum gestartet, um über Familienfreundlichkeit zu reden.

Denn das ist das A und O, um junge Fachkräfte an sich zu binden: Beruf und Familie müssen vereinbar sein. „Social Freezing, also das Einfrieden von Eizellen, wie es die Firma Apple vorschlägt, ist dabei der falsche Weg“, sagt der Landrat Roland Bernhard zu Beginn. Besser schon sind die Ideen, die der Pforzheimer Professor Markus-Oliver Schwaab vorstellt: „Die Firma Vaude gibt Prämien für Mitarbeiter, die Kinder bekommen.“ Oder das Unternehmen Groz-Beckert in Albstadt-Ebingen baut gleich eine Grundschule. Aber es geht auch eine Nummer kleiner. „Warum kein Mitbringzimmer für Kinder einrichten?“, fragt Schwaab. Also ein Büro, in dem Kinder spielen können, wenn die Betreuung oder die Schule ausfällt.

Oder man bietet einen Wäsche- und Putzservice für Mitarbeiter an, um sie zu entlasten. Auch Rüdiger Bechstein von Kärcher nennt Beispiele: „Wir geben für die Geburt eines Kindes 500 Euro, einen Body für das Baby und ein Lätzchen mit dem Schriftzug: Putzmunter mit Kärcher.“ Es gehe eben auch um Wertschätzung.

Bechstein sagt einen wichtigen Satz: „Unsere Leute wollen gute Eltern sein, aber doch trotzdem weiterhin gute Mitarbeiter.“ Dass es funktioniert, zeigt der schwäbische Mittelständler und Weltmarktführer, wie er so typisch ist für den Ballungsraum. Und auch bei Führungskräften wird Familienfreundlichkeit propagiert: „Wir teilen auch Teamleiter-Funktionen.“

Und der Pforzheimer Professor Markus-Oliver Schwaab entwirft noch weitergehende Visionen: „Warum soll sich nicht ein Ehepaar einen Arbeitsplatz teilen? Abspracheprobleme gibt es da keine.“ Zum Arzt gehen solle man jedenfalls nicht mit Visionen, greift er ein berühmtes Helmut-Schmidt-Zitat auf.

Und so entsteht eine muntere Ideenbörse im Weiler Klösterle vor gut 50 Teilnehmern, die Beigeordnete Susanne Widmaier ist sichtlich zufrieden, auch wenn sich der Kreis-Wirtschaftsförderer Ralf Stahl noch ein paar mehr Teilnehmer des kleinen Workshops gewünscht hätte.

Es gibt viele Denkanstöße – und es wird klar, dass sich auch beim Mittelstand das Denken langsam wandelt, hin zu Familienfreundlichkeit. Oder, um es mit dem immer noch in Leonberg wohnenden Dexina-Gründer Heiner Scholz zu sagen: „Das Leben in die Arbeit bringen.“ Dementsprechend sieht auch der Neubau auf dem Flugfeld aus – futuristisch, mit Glaswänden, die meisten Wände sind von oben bis unten beschreibbar – damit die Idee nicht auf dem Bierdeckel bleibt. Mancher Angestellter hat da nicht mehr mitgemacht bei so viel entschiedener Philosophie, aber die übrigen sind fest ans Unternehmen gebunden. Und so ist Heiner Scholz wieder ein wenig bei seinem achtjährigen Alter Ego: Natürlich wird nicht nur gespielt – aber das Leuchten in den Augen ist wieder da.