Bei der Informationsveranstaltung zur Hermann-Hesse-Bahn mit über 600 Zuhörern kündigt Helmut Riegger an, die Gutachten zu veröffentlichen und den Stresstest auszuweiten. Er stößt auf Skepsis und Kritik, aber auch auf Zustimmung.

Weil der Stadt - Etwa 600 Stühle hatte der Weiler Bürgermeister Thilo Schreiber am Freitag in seine Stadthalle stellen lassen. Denn zusammen mit seinem Renninger Amtsbruder Wolfgang Faißt rief er zur „Informationsveranstaltung Hermann-Hesse-Bahn“. Und alle Stühle sind voll besetzt, alle sind gekommen, Weiler, Calwer, Renninger, Radio- und Zeitungsreporter, fünf Bürgermeister und der Böblinger Landrat Roland Bernhard.

 

Und dann ist da noch jemand. Jemand, der heute besonders viele Fragen beantworten darf und soll, „dieser Herr Riegger“ nämlich, wie es ein Besucher bruddelt, als er in die Halle kommt, „dieser Herr Riegger, der hier mit seinem Bähnle durch unser Städtle fahren will.“

Helmut Riegger ist der Calwer Landrat und ein bisschen auch der Mr. Hermann-Hesse-Bahn. Im Januar hat er persönlich ein paar Zweige von der verwilderten, historischen Schwarzwaldbahnstrecke von Weil der Stadt nach Calw abgeschnitten und auch sonst auf sämtlichen fachlichen Ebenen in Politik und Verwaltung den Weg für die Reaktivierung der Bahnstrecke freigeschaufelt. „Und jetzt kommt es uns allen so vor, als sei alles beschlossen, ohne dass wir auch nur ein einziges Mal gefragt worden sind“, sagt Volker Philippin. Er ist Weiler und einer der Gründer der Bürgerinitiative „Pro Endbahnhof Weil der Stadt“.

Initiative sammelt 2000 Unterschriften in zwei Wochen

Und am Freitagabend sitzt auch Volker Philippin in der Stadthalle, zusammen mit einem dicken Stapel Unterschriftenlisten. „In den zwei Wochen haben wir über 2000 Unterschriften gesammelt“, berichtet er. Jetzt ist er aber gespannt auf die Antworten aus dem Calwer Landratsamt. Und Helmut Riegger stellt sich der Diskussion, sagt sogar: „Ich bin gerne gekommen, weil doch die beiden Kreise Böblingen und Calw so gut zusammen arbeiten.“ Die Vorteile des Projekts sieht er nämlich auf beiden Seiten: „Auch die Straßen im Landkreis Böblingen werden deutlich entlastet, besonders bei den Staus rund um Renningen kann die Hermann-Hesse-Bahn Abhilfe schaffen.“ Er freue sich, beteuert er, dass so viele S-Bahn-Freunde gekommen seien, denn „wir wollen Ihre S-Bahn nicht behindern.“

Niemand in der Weiler Stadthalle ist gegen die Hesse-Bahn, die Streitfrage des Abends lautet nur: Soll sie nur bis Weil der Stadt, oder bis nach Renningen fahren? Die Meinung des Weiler Bürgermeisters ist da eindeutig. „Weil der Stadt hat seine Funktion als Endbahnhof, nicht als Durchgangsbahnhof“, wiederholt Thilo Schreiber bei seiner kleinen Ansprache nochmals seine Forderung. Denn: „Sonst wird der Takt nach Renningen viel zu eng, und schon leichte Verspätungen der Hesse-Bahn infizieren das ganze Stuttgarter S-Bahnnetz.“

Dennoch wollen die Calwer bis nach Renningen fahren. Um das zu erklären, ist Michael Stierle mitgekommen, Abteilungsleiter für Nahverkehr im Calwer Landratsamt. Sein Lieblingswort ist die „Standi“, die standardisierte Bewertung, mithilfe derer überall geprüft wird, ob ein Bahnprojekt wirtschaftlich ist. Er führt aus, dass laut dieser „Standi“ nur eine Hesse-Bahn bis Renningen förderwürdig ist und zur Hälfte vom Land finanziert wird. „Und leider müssen wir die Standi anwenden, es gibt nix anderes“, sagt Stierle mehrmals.

Gegner wollen Taten sehen

Das genügt aber weder den Bürgern, noch deren anwesenden Bürgermeistern in der Stadthalle. Thilo Schreiber kündigt an, zu klagen, wenn er nicht Einsicht in sämtliche Daten erhält. Auch der Renninger Bürgermeister Wolfgang Faißt glaubt den Gutachten nicht, und schließlich ist es bei der Fragerunde der Grafenauer Bürgermeister Martin Thüringer, der den Calwer Landrat direkt angreift: „Warum veröffentlichen Sie das Standi-Gutachten nicht? Wer zwingt Sie, das geheim zu halten?“ Helmut Riegger verweist auf den grünen Verkehrsminister Winfried Hermann. „Wir haben mit ihm abgesprochen, dass wir das Gutachten erst nach der Prüfung durch das Ministerium veröffentlichen. Etwa acht Wochen können Sie sicherlich noch warten“, versucht er zu vertrösten. Das sei auch der Grund gewesen, warum er den Infoabend lieber erst im Januar veranstaltet hätte.

Das gelte auch für das zweite Gutachten, das durch die Ämter und Rathäuser kursiert, der sogenannten „Stresstest“. Mit dem wollte der Landkreis Calw beweisen, dass es auf dem eingleisigen Abschnitt zwischen Weil und Malmsheim zu keinen Komplikationen kommt, auch wenn zu den vier S-Bahnen in der Stunde noch zwei Hesse-Bahnen hinzukommen. „Warum haben Sie nur den Morgen geprüft, wo doch jeder weiß, dass sich Verspätungen im Laufe des Tages aufbauen?“, fragt sich da Thilo Schreiber, der Weiler Bürgermeister, der sich im Laufe der Diskussion auch den Vorwurf gefallen lassen muss, er sei „nur verhinderungs-, nicht lösungsorientiert.“

Der Landrat Helmut Riegger geht einen Schritt auf die Bürger zu, sogar wortwörtlich bis fast an die Kante der Stadthallenbühne, und sagt: „Wenn Sie jetzt den Abend geprüft haben wollen, machen wir das auch noch gerne.“ Auch mit der Meinung von Klaus Wößner, der das Online-Portal „S-Bahn-Chaos“ betreibt, und der von den Bürgerinitiativen und von Bürgermeister Thilo Schreiber als eine Art Gegengutachter ins Spiel gebracht wurde, werde man sich „gerne“ beschäftigen, kündigt Riegger an. Vertrösten muss er indes beim Thema Lärmschutz. „Machen Sie den Lärmschutz eigentlich nur, wenn sie gesetzlich dazu gezwungen werden?“, fragt ihn ein Bürger daher. „Ein Lärmschutz ist in der Tat noch nicht vorgesehen“, sagt der Landrat. Allerdings stünden auch hier noch weitere Gutachten aus.

Am Ende stürmt Volker Phillipin wieder zu seinem Stand von der Bürgerinitiative „Pro Endbahnhof Weil der Stadt“ am Ausgang der Stadthalle. Das Unterschriftensammeln erscheint ihm immer noch notwendig, inhaltlich hat er nicht viel Neues erfahren. Sein Fazit: „Jetzt müssen Rieggers Ankündigungen erst Taten folgen.“