Ein kurioser Programmvorschlag für die Kulturnacht ist im Gemeinderat zum Politikum – und dann von dem Gremium abgelehnt worden. Am Samstag, 23. September 2017, werden wieder mehr als Tausend Besucher in der Gemeinde erwartet.

Hemmingen - Claudia Junge Ilges ist aus allen Wolken gefallen, als sie erfahren hat, dass ihr Vorschlag für die Hemminger Kulturnacht am Samstag Gegenstand einer nicht öffentlichen Sitzung des Gemeinderats geworden ist. Schließlich hätten die Frauen von Distelart, dem Veranstaltungsteam, im Januar bei ihrem ersten Treffen keine Einwände gehabt, und Bürgermeister Thomas Schäfer hat sein Einverständnis gegeben.

 

Die Geschäftsführerin des Bestattungsunternehmens Junge Bestattungen wollte den Besuchern an diesem Samstag in der Aussegnungshalle auf dem Hemminger Friedhof ein Programm aus Texten über Abschied und Todesgedenken, Musik und Tanz bieten. Da das Programm laut Junge Ilges bereits auf Friedhöfen in Städten wie Esslingen oder Nürtingen gut angekommen sei, „bestand keine Gefahr, dass wir jemandem völlig auf den Schlips treten“, war die Unternehmerin überzeugt. Doch sie hat die Rechnung ohne die Hemminger SPD gemacht.

Bestätigung aus dem Umfeld

Elke Kogler, die sich bei Distelart engagiert und zugleich Gemeinderätin ist, war damals entsetzt darüber, dass die Aussegnungshalle zum Veranstaltungsort werden soll. „Das ist ein pietätvoller, sensibler Ort zum Erinnern“, sagt sie. Man könne nicht dort fröhlich feiern, wo nebenan ein Verstorbener liege. Das hätten ihr viele Menschen aus ihrem Umfeld bestätigt. Daher und weil die Aussegnungshalle der Gemeinde Hemmingen gehört, stellte die Sozialdemokratin Junge Ilges’ Programmpunkt im März im Gemeinderat zur Diskussion. In der anschließenden Abstimmung wurde er abgelehnt. Rathauschef Schäfer will die Vorkommnisse nicht kommentieren, da die Sitzung nicht öffentlich war. Der Bürgermeister sagt nur soviel: „Man kann unterschiedlicher Auffassung sein, wie der Friedhof genutzt wird und ob dort Kultur stattfinden kann.“

Junge Ilges wertet die Angelegenheit indes als „eine persönliche Fehde der SPD gegen mich“ – zumal es doch immer heiße, der Tod gehöre zum Leben. „Nur eine Floskel?“, fragt sie sich. Gleichwohl räumt sie ein, dass der Tod ein „empfindliches Thema“ sei, das Ängste hervorrufe.

Vorwurf der Werbung

Im Herbst des Jahres 2010 hatte Junge Ilges nach parteiinternen Querelen die SPD-Fraktion verlassen und sich der CDU-Gemeinderatsfraktion angeschlossen. Zuvor hatte sie aus denselben Gründen schon den Ortsvereinsvorsitz niedergelegt. Junge Ilges, die es 2014 nicht mehr in den Hemminger Gemeinderat schaffte, vermutet, dass die Ereignisse der Vergangenheit sie nun einholen. Über den Vorwurf der SPD, ihre Veranstaltung als Werbeplattform für ihr Unternehmen nutzen zu wollen, kann Junge Ilges bloß den Kopf schütteln. „Mein Unternehmen ist nicht das einzige, das bei der Kulturnacht mitmacht. Überhaupt werden viele Kunstveranstaltungen von Unternehmen finanziell getragen, die damit natürlich auch für sich werben.“

„Ja – aber auf dem Firmengelände“, hält der SPD-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Stehmer dagegen. Die Gemeinde müsse neutral bleiben. Sie dürfe nicht den Anschein erwecken, dass sie eine Verkaufsveranstaltung unterstütze. Das Veto der SPD sei keine Retourkutsche gewesen, sondern die Partei haben aus Gründen der Pietät gegen den Vorschlag gestimmt, sagt Stehmer. „Die Totenruhe darf nicht gestört werden.“ Zudem hätte man die SPD überstimmen können, wenn man es gewollt hätte.

„Sozialdemokraten sind Kleingeister“

Das sieht der CDU-Fraktionsvorsitzende Walter Bauer anders. Auch er befürchtet, dass die SPD alte Rechnungen begleichen wollte. Für die „von der SPD initiierten“ Abstimmung im Rat findet er klare Worte. „Die Sozialdemokraten sind Kleingeister, die die kulturelle Freiheit verhindern wollen“, kritisiert Bauer. Seiner Meinung nach sei es nicht Aufgabe des Gemeinderats, zu kontrollieren und zu zensieren, was bei Kulturveranstaltungen gezeigt wird. Schon gar nicht bei der Hemminger Kulturnacht. „Kultur in der Provinz, das ist doch etwas Besonderes“, sagt Bauer.

Die Distelart-Frauen wollen sich dazu nicht äußern. Von der Initiative heißt es nur, man habe sich an Junge Ilges’ Vorschlag nicht gestört. Es habe sich im Verlauf leider entsprechend entwickelt. Junge Ilges präsentiert am Samstag unter dem Motto „Lyrik aus dem Auto“ eine „abgespeckte Version“ ihres Programms an drei Orten, die ein Leichenwagen anfährt.

Zur Kulturnacht werden wieder mehr als Tausend Besucher erwartet. „Wir haben eine tolles und umfangreiches Programm zusammengestellt“, freut sich Dorothe Vorndran von Distelart. Die Resonanz der Hemminger sei enorm. „Schon beim ersten Treffen im Januar ist das Programm fast immer unter Dach und Fach.“

Wo ist was los bei der Kulturnacht?

Programm Die Kulturnacht an 16 Orten beginnt am Samstag, 23. September, um 17 Uhr auf dem Alten Schulplatz mit der Fasnetgilde Hemminger Strohgäunarren. Neben Bewährtem wie den Auftritten des Frauen- und Männerchors der Singgemeinschaft (19 und 19. 30 Uhr) im Etterhof oder Führungen durch die katholische Kirche St. Georg (19.45 und 21 Uhr) gibt es viel Neues. Jürgen Rödle führt stündlich von 19 bis 22 Uhr im Etterhof Dampfmaschinen vor, in der evangelischen Laurentiuskirche hängen von 18 Uhr an Porträts Hemminger Flüchtlinge. In der Kampf-Kunst-Schule Kien lernt man von 19 Uhr an Selbstverteidigung. Der Trauerredner Thomas Oser liest Texte über Abschied und Todesgedenken, auf die die australische Querflötistin Amanda Chemisch musikalisch antwortet (18.15 Uhr Etterhof, 19.45 Uhr Zeiser Dental, 21.15 Uhr Bibliothek). Das Gebäude Zaiser zeigt Tanzperformances (21.30, 22.30, 23.30 Uhr).

Karten Im Vorverkauf im Rathaus, bei Auto Scheller und Schreibwaren Beuttler kosten die Karten fünf, an der Abendkasse sieben Euro. Besucher unter 18 Jahren zahlen nichts. Es fahren Shuttlebusse. Das komplette Programm gibt es unter www.distelart.de.