Das Landgericht in Stuttgart verurteilt einen 58-Jährigen Weissacher wegen einer Pfefferspray-Attacke und Beleidigung. Der Mann ist im Altkreis bekannt wie ein bunter Hund und hält die Rathäuser in Atem.

Stuttgart - Viele haben auf das Urteil gegen einen ortsbekannten Weissacher gewartet. Vielen ist er bekannt, weil er Rathäuser, Behörden und die Polizei fast täglich mit Anzeigen beschäftigt. Meistens ist das nicht justiziabel. Doch vor dem Stuttgarter Landgericht ging es jetzt, wie schon 2014 vor dem Amtsgericht Leonberg, darum, dass der Angeklagte 2011 und 2012 zahlreiche Personen als Neonazis und Alkoholiker bezeichnet haben soll.

 

Zudem soll er einen empörten Vater in Flacht mit Pefferspray angegriffen haben. Das Landgericht hat ihn im Berufungsprozess zu einer Geldstrafe verurteilt, und das Urteil der unteren Instanz bestätigt – allerdings teils mit anderer Begründung.

Der Prozess hat aber auch gezeigt, dass die öffentliche Verwaltung und das Justizsystem durch die Flut an Klagen und Beschwerden des 58-Jährigen an Grenzen kommen – nahezu alle Prozessparteien gingen auf diesen Aspekt indirekt ein.

Mit gelber Warnweste und Kaugummi

Nicht zuletzt der Beschuldigte lieferte dafür Beispiele: Noch in seinem letzten Wort vor Gericht, das der Angeklagte stets hat, führte der 58-jährige gelernte Mediziner eine Flut von Urteilen bis hin zum Europäischen Gerichtshof an, warf der Staatsanwaltschaft schwere Rechtsfehler und dem Gericht „Verfolgung Unschuldiger“ vor. Er wollte gar im letzten Moment Beamte des Verfassungsschutzes als Zeugen benennen, und konnte nur mühsam von seinem Anwalt abgehalten werden. Der Weissacher trug erneut demonstrativ seine gelbe Warnweste und kaute Kaugummi.

Der Gutachter Karl-Ludwig Täschner attestierte dem 58-Jährigen eine „zugespitzte Persönlichkeitsstruktur“ mit einem narzisstischen Geltungsbedürfnis. „Er stellt sich in den Vordergrund und genießt die Selbstdarstellung“, erklärte der 72-jährige langjährige Direktor der Psychiatrie des Bürgerhospitals. Der Angeklagte betrachte sich selbst als „Ordnungsinstanz in Leonberg“, versuche Konflikte zu schüren – etwa als er am Rutesheimer Bahnhof 2011 ausländische und deutsche Jugendliche aufgehetzt habe. „Er macht sich wichtig, streut immerzu Sand ins Getriebe und hat eine ausgeprägte Neigung, andere zu beschuldigen“, analysierte Täschner.

„Keine psychische Störung“

Aber der Gutachter stellte auch klar: Der 58-Jährige habe keine psychische Persönlichkeitsstörung, denke klar und analytisch, sei sich der Situation bewusst und steigere sich nicht in Wahnvorstellungen hinein: „Er ist an der Realität orientiert, sein Verhalten hat nichts Krankhaftes.“

Nun stand das Gericht vor der schwierigen Aufgabe, ein gerechtes Urteil zu fällen. Der Staatsanwalt erhöhte in seinem Plädoyer sogar noch einmal seine Strafforderung: „Ihnen war genau bewusst, was Sie tun.“ Die Pfefferspray-Attacke in Flacht sei keine Notwehr gewesen. Der Pflichtverteidiger Bernd Heinz Kiefer hingegen kam genau zu diesem Schluss und forderte Freispruch, auch weil die angeklagten Beleidigungen nicht nachweisbar seien.

Der Richter Alexander Schuckert bestätigte zwar die Höhe der Strafe aus dem ersten Prozess – 110 Tagessätze, wie es im Juristendeutsch heißt. Da der Angeklagte allerdings keine Angaben zu seinem Einkommen gemacht hat, wurde dieses geschätzt und die Tagessätze niedriger angesetzt – im Endeffekt zahlt der 58-Jährige jetzt nur 1650 Euro statt 3300 Euro Strafe.

Sexueller Missbrauch im Rathaus?

In einem Punkt wurde der Weissacher sogar freigesprochen, dabei ging es um seine Behauptungen, im Leonberger Rathaus gebe es sexuellen Missbrauch. Es gebe dafür zwar keinen Nachweis, doch habe der Angeklagte nur Aufklärung gefordert. „Daraus eine Straftat zu konstruieren, ist geradezu abwegig“, stellte der Richter klar.

Die Pfefferspray-Attacke in Flacht wertete Schuckert hingegen als gefährliche Körperverletzung. Der Angeklagte sei von dem empörten Vater nicht angegriffen worden. Der Mann habe ihn lediglich zur Rede stellen wollen, weil er seinen Sohn als „Kinderschänder“ bezeichnet habe. Die Beleidigungen seien bewiesen. Schuckert deutete zudem an: „Offensichtlich ist das nicht der einzige Vorfall dieser Art.“

Klare Worte fand der Richter auch für den permanenten Kreuzzug des Weissachers gegen alles und jeden: „Es ist einfach Ihre Art, andere Leute als Neonazis und Alkoholiker zu bezeichnen.“ Dabei könne er sich aber weder auf die Meinungs- noch auf die Redefreiheit berufen. „Wenn man an der Bushaltestelle Jugendliche als Nazis bezeichnet, hat das nichts mit Politik zu tun“, sagte Schuckert. Das hatte der Angeklagte propagiert, und sogar die UN-Menschenrechtskonvention dafür bemüht.

So bleibt die Strafe in ihrer Wertung, aber wegen des niedriger geschätzten Einkommens des Angeklagten nicht in ihrer Höhe bestehen. Der 58-Jährige stellte noch vor Gericht klar: „Sie haben hier viele Revisionsgründe geliefert.“ Und deutete an, dass er im Zweifel bis vors Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe ziehen will.