Eine Stummfilmvorführung mit einer Live-Orgelimprovisation überrascht und beeindruckt das Publikum in der Brenzkirche.

Weil der Stadt - In alten, abgelebten Zeiten, als die Bilder gerade erst laufen lernten, Raumschiffe noch „Himmelsschiff“ hießen und Utopien positiv gestimmt waren, entstand in der Endphase des Ersten Weltkriegs 1918 in Dänemark ein Film von Holger Madsen (1878-1943) mit dem Titel „Das Himmelsschiff“, einer der ersten Spielfilme, die die Raumfahrt thematisieren. 100 Jahre später ist dieser Stummfilm in der Brenzkirche mit einer Live-Orgelimprovisation von Bezirkskantor Attila Kalman gezeigt worden.

 

400 Jahre nach der „Utopia“ des Thomas Morus, der damals im Zeitalter der Entdeckungen eine Insel mit dem idealen Staatswesen gefunden zu haben vorgab, zeigt auch „Das Himmelsschiff“ ein Wunschbild: eine friedliche Welt auf dem Mars, die – wie bei Morus – in kritischer Absicht der schlechten Realität voll Aggression und Krieg als Vorbild gegenübergestellt wird. Schon mit „Die Waffen nieder!“ (1915) hatte derselbe Regisseur einen der ersten Anti-Kriegsfilme gedreht.

Zum neunten Mal hat das Team der evangelischen Kirchengemeinde Weil der Stadt eine solche Filmvorführung organisiert. Der vorangestellte Gottesdienst führt das Publikum mit Texten und Liedern in das Thema ein: die Sehnsucht nach einer besseren, friedlichen Welt. So werden Texte aus dem „Papalagi“ von Erich Scheurmann vorgetragen, der ungefähr zur selben Zeit wie der Film entstanden ist, und den Europäern ihren fatalen Irrweg aus der Sicht eines Südseeinsulaners, des „edlen Wilden“, aufzeigt.

Eine friedliche Welt auf dem Mars

Schon bei diesen Lesungen korrespondiert die Orgelimprovisation mit den Themen, wie Machtgier, Egoismus und Vergötzung des Geldes, wenn etwa die Orgel ein klassisches Kirchenlied intoniert, das aggressiv durch atonale Töne zerstört wird.

Besonders eindrucksvoll wird die Orgelimprovisation aber bei der Vorführung des Films „Das Himmelsschiff“. Avanti Planetaros, Kapitän zur See und begeisterter Sportpilot, sucht nach seiner längeren Forschungsreise neue Herausforderungen. „Im All gibt es tausend ungelöste Geheimnisse“ – und so wird der kühne Plan entworfen, mit einem Raumschiff zum Mars zu fliegen. Der Plan stößt zwar auf Skepsis und Hohn - die Orgel „lacht“ dazu hämisch - aber in der Fertigungshalle entsteht ein skurriles Gefährt: „Excelsior“, irgendwo zwischen Luftschiff und Flugzeug mit kleinen Rädchen unten dran. 12 000 Stundenkilometer soll das Ding drauf haben, und das Publikum staunt über die damals schon möglichen Luftaufnahmen von Städten und Landschaften.

Die Orgel „lacht“ dazu hämisch

Trotz Alkoholexzessen und Meuterei in der dunklen Weltraumnacht gelingt nach sechs Monaten die Landung auf dem roten Planeten, wo sie schon erwartet werden. Weiß gekleidete Wesen mit einer universellen Sprache treten ihnen entgegen, die sich von Früchten ernähren und Krieg wie Gewalt verabscheuen. Geläutert durch das Vorbild der edlen Marsianer legt die Besatzung des „Himmelsschiffs“ das Gelübde ab, nie mehr zu töten oder Waffen zu benutzen. Dabei wird das irdische Leben mit Aggressionen und oberflächlichen Vergnügungen dem wahren, sinnerfüllten Leben gegenübergestellt.

Selbstverständlich findet Avanti eine Seelenpartnerin, die er mit Genehmigung ihres Vaters auf die Erde mitnehmen darf – „ein Planet, der uns Jahrtausende nachhinkt.“ Witzig imitiert die Orgel, wie in der Telegrafenstation die Drähte mit der Nachricht über die Rückkehr des Raumschiffs heißlaufen. Aber noch muss das „Himmelsschiff“ durch einen tobenden Sturm, der von Attila Kalman mit Blitz und Donnerhall auf der Orgel inszeniert wird. Mit der Hoffnung auf eine neue Generation – „die Blüte einer höheren Zivilisation“ – schließt der Film.

Avanti findet eine Seelenpartnerin

„So eine Orgelimprovisation zu einem Stummfilm ist eine echte Herausforderung“, gibt Attila Kalman im persönlichen Gespräch zu. Wie geht er dabei vor? „Nach dem Ansehen des Films mache ich mir grobe Notizen zum Handlungsverlauf, komponiere auch schon mal ein paar Leitmotive, aber alles andere ist im Moment improvisiert, was eine hohe Konzentration erfordert – aber es macht auch viel Spaß!“

Auch wenn die theatralischen Gesten für heutige Gemüter vermutlich etwas übertrieben und die Hippie-bewegten Walle-Gewänder und Keuschheitstänze gar zu fremd erscheinen, das Gegenmodell einer friedlichen und gerechten Gesellschaft ist immer noch aktuell.

Thomas Morus, der Verfasser der „Utopia“, ist bekanntlich auf dem Schafott gelandet, und sein Kopf wurde einen Monat lang auf der London Bridge zur Schau gestellt. „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen“, meinte einst Ernst Bloch.