Judith Helmer und Jörg Poersch tüfteln in ihrem Start-up in der Altstadt an modernen Software-Lösungen. Mit ihrer Erfindung wollen sie Mitarbeitern die Fähigkeit geben, eigene Arbeitsprozesse besser zu strukturieren.

Weil der Stadt - Nein, niemals. Wer, so wie Judith Helmer Betriebswirtschaft studiert, der läuft ständig der Spezies der Unternehmensberater über den Weg. Aber selbst Unternehmensberaterin werden? Nein!, war sie damals, während des Studiums überzeugt, das wolle sie nicht. „Sie erzählen viel von Konzepten und meinen zu wissen, wie es geht“, habe sie damals gedacht, erzählt sie. „Selbst haben sie das aber noch nie erlebt.“

 

Jetzt steht die 34-Jährige in einem alten, verwinkelten Fachwerkhaus mitten in der Weiler Altstadt. Gegenüber klingeln die mittelalterlichen Glocken der Stadtkirche, drinnen tüfteln ihr Mann Jörg Poersch und sie darüber, wie sie eben jenen Beruf der Unternehmensberater unnötig machen. Ein paar Karteikarten liegen in Poerschs Büro, ansonsten sieht es hier aus, wie in so vielen IT-Schmieden dieser Welt. Ein paar moderne Steh-Schreibtische, Mitarbeiter im Kapuzenpulli, viele Bildschirme.

Eine IT-Software ist das eigentliche Projekt und Geschäftsgeheimnis von Judith Helmer und Jörg Poersch. Und das hat durchaus Sprengkraft. Computersoftware bestimmt das Leben im 21. Jahrhundert überall: Das Handwerk des Bankberaters übernimmt der Kollege Online-Banking, Einkaufen läuft oft übers Internet, die meisten Steuerungsprozesse in der Wirtschaft sind digital.

Unternehmensberatung – eigentlich ein traditionelles Geschäft

Etwa fünf Jahre ist es jetzt her, da sind Jörg Poersch die Augen aufgegangen. Ein Bekannter hat für einen einfachen Anwendungsprozess eine Software erstellt und innerhalb kürzester Zeit Investoren im zweistelligen Millionenbereich gefunden. „Da dachte ich: Wenn sich mit so einem primitiven Anwendungsprozess so viele begeisterte Mitstreiter finden lassen, dann mit unserem Anwendungsfall erst recht“, erinnert sich der 37-Jährige.

Der Anwendungsfall, das ist im Falle von Helmer und Poersch Unternehmensberatung. Eigentlich ein recht traditionelles Geschäft, bei dem es darum geht, Abläufe in Unternehmen zu verbessern. Ein Berater schaut sich die Firma an und stellt dann etwa fest, dass in zwei Abteilungen das gleiche Formular ausgefüllt wird, die Mitarbeiter also denselben Arbeitsprozess ausführen – was man doch gut verbessern könnte. „Ich frage diese konventionellen Unternehmensberater dann immer: Kannst du mir mal erklären, wie deine Methode ins 21. Jahrhundert passt?“, sagt Jörg Poersch.

Im 21. Jahrhundert komme der Schreiner auch nicht mehr unbedingt ins Haus, sondern die Frau und der Mann bauen das Regal selbst zusammen. Selbst machen, und zwar am Computer – so geht das heute, auch im Handwerk der Unternehmensberater, davon sind Jörg Poersch und Judith Helmer überzeugt. Fünf Jahre lang haben sie an der Software, die das umsetzen soll, im Geheimen gearbeitet. Jetzt gehen sie an die Öffentlichkeit, zusammen mit hochkarätigen Mitstreitern, wie erst jetzt bekannt wird. Beiratsvorsitzender ihres Unternehmens „Crossgo“ ist seit März Klaus Doppler, eine Koryphäe der Unternehmensberatung, der auch ein „Standardwerk“ (Handelsblatt) zum Thema geschrieben hat.

Mitarbeiter stoßen dann selbst auf Wartezeiten oder Doppelarbeit

Aber was macht die Software eigentlich? Im Grunde das, was der menschliche Unternehmensberater auch macht. Jeder Mitarbeiter bekommt einen Zugang und eine Anleitung, wie er seinen Arbeitsprozess zunächst beschreiben kann. „Dabei stoßen die Mitarbeiter dann selbst auf Themen wie Wartezeiten oder Doppelarbeit“, sagt Judith Helmer. Sie entdecken also selbst, dass sie eben jenes Formular zweimal ausfüllen.

„Wenn sie selbst darauf kommen, dann hat das eine viel größere Wirkung“, stellt Helmer immer wieder fest. „Die Mitarbeiter designen also den Arbeitsprozess, und unsere Software gibt die Methode vor, wie sie das erkennen und machen.“ Judith Helmer, Jörg Poersch und ihre Mitarbeiter schauen parallel darauf und begleiten den Prozess. „Aber die Software wird uns irgendwann überflüssig machen“, sagt Helmer. Denn die Software lernt mit, bekommt nach und nach mehr Erfahrung, genauso wie ein menschlicher Unternehmensberater. Aber: „Wenn der Berater viel Erfahrung hat, dann hat er vielleicht 20 bis 30 Unternehmen im Kopf“, erklärt Jörg Poersch. „Unser System kann in den kommenden Jahren auf Erfahrungswerte von mehreren tausend Unternehmen zurückgreifen.“

Möbel Mutschler hat es angefangen

Abläufe verbessern, das hat Poersch schon immer gemacht, auch wenn sein ursprünglicher Beruf nicht ganz auf diese Branche hindeutet. Fachkraft für Lagerwirtschaft hat der Merklinger gelernt, beim damaligen Leonberger Möbel Mutschler. Noch während der Ausbildung wurde er zum stellvertretenden Lagerleiter befördert, im Alter von 21 Jahren hatte er Personalverantwortung.

Personalverantwortung mit 21

Das Lager von Möbel Mutschler hat er komplett umstrukturiert, bis er eines Tages über ein Buch über Unternehmensberatung gestolpert ist. „Da ging es eben darum, Abläufe zu verbessern“, erinnert sich Poersch, „und ich hab verstanden, dass ich das alles schon mache – ohne es so zu nennen.“

Die Renningerin Judith Helmer studiert da schon Betriebswirtschaft und Marketing an der Dualen Hochschule Stuttgart, arbeitet später in einer Unternehmensberatung und bei einem Automobilzulieferer in der Organisationsentwicklung und steigt 2013, als es ihr während der Babypause langweilig ist, bei ihrem Mann ein, der da schon begonnen hatte, die Software zu entwickeln.

Mittelständler mit 20 bis 500 Mitarbeitern

„Was muss ich tun, dass ein Mensch optimal arbeiten kann?“, erklärt Helmer den Zweck von Organisationsentwicklung, von Beratung – und jetzt von ihrer Software. Etwa zehn Unternehmen sind bereits Kunden, vor allem Mittelständler mit 20 bis 500 Mitarbeitern. Davon gibt es viele Firmen, ein großer Markt also für die Online-Berater. Und Konkurrenz hat die kleine Software-Schmiede im verwinkelten Weiler Altstadthaus mit den sechs Festangestellten und 14 Freiberuflern nach eigenen Angaben – noch – keine. „Wir sind global die Einzigen, die das in dieser Konsequenz so machen, dass der Berater überflüssig wird“, sagt Jörg Poersch. Konventionelle Unternehmensberater gibt es dagegen viele. Mal schauen, was die Zukunft bringt.