Nachfahren von Minna Moscherosch-Schmidt, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Amerika auswanderte, vermachen dem Stadtmuseum eine Figurine, die schon auf der Weltausstellung in Chicago zu sehen war.

Sindelfingen - Minna Moscherosch-Schmidt war ihrer Zeit weit voraus. Geboren 1866 in Sindelfingen, verkörperte sie den Prototyp einer modernen Weltbürgerin. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen im Schwabenland, mit 20 Jahren nach Amerika ausgewandert, wo sie eine steile Karriere machte. Dabei vergaß sie niemals ihre Wurzeln und ihre Heimat. Ähnlich wie heute bei vielen Deutsch-Türken schlugen auch in ihrer Brust stets zwei Herzen: ein deutsches und ein amerikanisches. Als Wohltäterin ist sie in die Geschichte der Stadt eingegangen, sie stiftete das erste Krankenhaus in Sindelfingen. Nun sind ihre Nachfahren erstmals zu Besuch in der Heimatstadt der Ur-, der Ur-Ur sowie der Ur-Ur-Urgroßmutter.

 

Bereits vor zwölf Jahren war Susan Barr das erste Mal nach Sindelfingen auf der Suche nach Verwandten gereist – erfolglos . Der Recherche von Karl Held ist es zu verdanken, dass es nun doch zu einem großen Familientreffen kam. Auch er ist ein Verwandter der Familie Moscherosch und stammt aus Sindelfingen, lebt aber mittlerweile im englischen Liverpool. Er hat die Geschichte der Moscheroschs erforscht und die Ergebnisse ins Internet gestellt. Dort wurden Susan Barr und ihre Familie darauf aufmerksam. Jetzt reiste Barr mit ihrer Tochter Nikki Kellogg und deren Sohn Eddy Brady erneut in die Heimat ihrer Urahnin.

400 Figuren für die Weltausstellung in Chicago

In Gepäck hatte sie ein Geschenk an die Stadt: eine Figurine. Mehr als 1000 solcher etwa 30 Zentimeter großen Figuren hatte ihre Urgroßmutter einst gemacht. Sie, die mit einem Laden für Kostüme viel Geld verdiente, hatte ein Faible für den Nachbau historischer Szenen. Die Figuren fertigte ihr Sohn an, seine Mutter schneiderte die historischen Kostüme. Mit den Figuren gestaltet sie Ausstellungen zu bestimmten Themen. Die größte Schau stellte sie für die Weltausstellung in Chicago 1933 zusammen. Das Thema: „Bedeutende Frauen der Geschichte.“

Schon seit Jahren versucht Illja Wiedmann, die Leiterin des Sindelfinger Stadtmuseums, an solche Figuren zu kommen. Vergebens. Ähnlich erging es Susan Barry. Ihre Tochter entdeckte vor zwei Jahren bei ebay einige Figuren und kaufte sie als Ostergeschenk für ihre Mutter. Eine davon, die Johann Wolfgang von Goethes Mutter darstellt, schenkte sie nun der Stadt Sindelfingen fürs Museum. Dort wird die Figur aber nur bei besonderen Gelegenheiten gezeigt werden. Denn sie besteht aus Porzellan und Wachs, das vor hohen Temperaturen geschützt werden muss.

Der Oberbürgermeister Bernd Vöhringer ließ es sich nicht nehmen, die Figurine in Empfang zu nehmen. „Ihre Urgroßmutter war eine sehr großzügige Frau, die Sindelfingen nie vergessen hat“, sagte er. Die Lebensgeschichte von Minna Moscherosch-Schmidt, die Illja Widmann erforscht und aufgeschrieben hat, ist beeindruckend. Sie stammte aus einer armen Sindelfinger Familie mit 15 Kindern. Nach acht Jahren Volksschule verließ sie mit 14 ihre Heimatstadt. Sie machte zunächst in Stuttgart an der Katharinenpflege eine Ausbildung und ging dann nach Frankfurt. Dort besuchte sie eine Schule für Deklamation und Ballett. In einer Zeitung entdeckte sie eine Anzeige, in der eine amerikanische Familie ein Kindermädchen suchte. Die junge Frau ergriff ihre Chance und wanderte aus. Die meisten ihrer Geschwister folgten ihr.

Eine arme Sindelfingerin verwirklicht den „American dream“

In den Staaten legte die Frau eine beispiellose Karriere hin, sie lebte den „American dream“. Mitte der 1920er Jahre war ihr Geschäft der größte Kostümverleih in Chicago – und Moscherosch ein anerkanntes Mitglied der gehobenen Gesellschaft. Mit Mitte 50 begann sie ein Jurastudium, schloss es mit einem Master ab. Nebenbei baute sie an der Universität von Chicago das Institut für Kostümkunde auf und lehrte dort als Dozentin.

Ihre Urenkelin Susan Barr hat Minna Moscherosch-Schmidt noch kennen gelernt. Obwohl diese als junge Frau schnell Englisch gelernt hatte – für sie der Schlüssel zum Erfolg – habe sie im Alter nur noch Deutsch gesprochen. Susan Barr konnte sich nicht mit ihr verständigen. Trotzdem hat sie die Uroma, die fast 100 Jahre alt wurde, als „sehr beeindruckende Frau“ in Erinnerung.

In Sindelfingen traf sie nun ihre Großcousine Doris Mößner, eine Enkelin von Minnas Bruder. Er war als einziger von den Geschwistern in Sindelfingen geblieben. Die Nachkommen sind stolz auf ihre berühmte Vorfahrin, der im Stadtmuseum viel Platz gewidmet ist. Ganz so, wie es sich Minna Moscherosch-Schmidt wohl erträumt hatte: Schickte sie doch immer wieder Zeitungsartikel über ihr Wirken und Urkunden in ihre Heimatstadt. Alle sollten sehen, was aus dem armen Sindelfinger Mädchen in der neuen Welt geworden war.

Figur bis 13. Oktober zu sehen

Museum
Im Stadtmuseum ist eine Vitrine im Dachgeschoss der berühmtesten Sindelfingerin gewidmet. Zu sehen ist dort unter anderem ein Buch aus dem Jahr 1929, das die für die Entwicklung Chicagos wichtigsten Persönlichkeiten porträtierte. Moscherosch-Schmidt ist dort eine ganze Seite gewidmet. Sie schickte das Buch in ihre Heimatstadt. Die Frau stand Zeit ihres Lebens in regem Austausch mit den Sindelfinger Bürgermeistern. Illja Widmann, die Leiterin des Stadtmuseums, hat das Leben der ungewöhnlichen Frau erforscht und dokumentiert. 2019 plant sie eine eigene Ausstellung über sie.

Figurine
Die Figur der Katharina Elisabeth Goethe, der Mutter des berühmten Dichters, war eine von 400 Figuren, die Moscherosch für die Weltausstellung 1933 in Chicago fertigte. Insgesamt hat sie mehr als 1000 Figuren erschaffen. Nur wenige sind noch erhalten.

Schau
Die Figur ist bis 13. Oktober im Stadtmuseum, Lange Straße, zu sehen.