Am Sonntag ist im Rathaus eine Fotoausstellung mit Arbeiten von Hermann Gries eröffnet worden. Er hat ein Faible für Mülldeponien, verfallene oder halb abgerissene Gebäude, Industrieanlagen. Aus zerrissenem Altpapier und Schrott holt er Schönheit.

Rutesheim - Hermann Gries hat ein Faible für Mülldeponien, verfallene oder halb abgerissene Gebäude, Industrieanlagen. Aus den Hinterlassenschaften der Menschen, der überflüssig gewordenen Technik, abblätternden Lackschichten, aus aufgetürmtem, gerolltem, geschichtetem, zerrissenem Altpapier und Containern voller Trödel und Schrott holt er Schönheit. Zerfallendem Abfall entlockt er eine geradezu ätherische Ästhetik. Das macht er mit einer nachgerade winzigen Kamera, einer Canon Power Shot N oder auch der etwas größeren G 11. Bis zum 13. Juni zeigt er im Rathaus einige seiner großformatigen Fotoarbeiten unter dem Titel „Anregungen“.

 

Vor 40 Jahren hat der Psychologe, der seit einigen Jahren im Ruhestand ist und die Botanik wie die Musik liebt, ein neues Hobby gesucht. Er fand es in der Fotografie. Mit seiner ersten Kamera, einer kleinen Rollei 35 S, fotografierte er Landschaften und Gegenstände, machte Urlaubsfotos, interessierte sich für die Makrofotografie, sammelte alte Fotoapparate und entwickelte seine Bilder in seinem eigenen kleinen Fotolabor in der Wohnung. „Irgendwann war es dann immer dasselbe und ich habe eine lange Pause beim Fotografieren eingelegt“, erzählt der 72-Jährige. 2006 entdeckte er dann die Digitalfotografie für sich. „Ich habe gemerkt, dass man mit feiner Nachbearbeitung der Fotos ganz tolle Effekte erzielen konnte“, erklärt er, „und ich habe begonnen, mich besonders mit Nahaufnahmen zu befassen.“

Motive zwischen Abrissgebäuden gefunden

Seine Motive fand Hermann Gries zunächst dank des Abrisses der alten Messehallen auf dem Killesberg. Er ging ganz nah ran an Container voller Schrott, an verwitternde Baumaschinen, radelte durch die Region, immer auf der Suche nach interessanten Motiven. „Manchmal bin ich auch über den Zaun von alten Industrieanlagen gestiegen“, erzählt Gries. „Das waren dann immer auch kleine Abenteuer - und großes Vergnügen.“ So kam ein Teil jener Bilder zustande, die Gries nun im Rutesheimer Rathaus zeigt und zu denen er manchmal auch kleine Texte oder reimlose Gedichte schreibt. Da sind die eher monochromen, zurückhaltend farbigen Aufnahmen von dicken Pappecken, abblätternden Oberflächen und rostenden Lackresten. Von Farbe, die über gefaltete, gerillte, gerissene Papiere läuft oder in dicken Schichten abbricht. Zu rostenden oder hellen Flächen gesellen sich hier und dort zarte Farbreste, Licht- und Schattenspiele, Regentropfen. Farben überlagern sich, werden von feinen craquelierten Rissen durchzogen, die wirken wie von Künstlerhand hingepinselt.

Eine Fotografie, die eine Makroaufnahme von einem Mottenflügel sein könnte, zeigt in Wahrheit in Großaufnahme grau-bräunlich zerfasertes Papier. Viele der Bilder hat Gries in seiner „Lieblingsindustrieanlage“, der Papierrecyclinganlage in Winnenden, gemacht, wo er alle paar Monate gern hinfährt. „Ich bin dann meistens drei, vier Stunden vor Ort, mache 400 Bilder – und 30 davon werden etwas.“

Am liebsten seien ihm „die ganz strengen, reduzierten Aufnahmen“, sagt Gries, aber er liebt auch knallige Farben. „Es ist verblüffend, wie viel Farbe oft in einem ganz kleinen Detail steckt.“ Auch dazu zeigt er im Rathaus Beispiele, etwa jenes schwarz-rot-goldene Bild, das eine Tänzerin mit Hochfrisur darstellen könnte. Oder die weiß-grüne Szenerie, die fast wirkt wie ein frisch gebatikter Stoff. Und schließlich zeigt Gries noch Doppelbelichtungen, die allesamt wirken wie moderne Kunst.

Die Natur, der Verfall und die Patina geben den Motiven ihren Reiz – Gries muss sich nur noch den besten Ausschnitt suchen. „Im besten Fall“, sagt er und zuckt die Achseln auf die Frage nach dem Motiv, „weiß ich gar nicht mehr, was ich fotografiert habe.“

Ordnung nach menschlich bedeutsamen Themen

Die Stillleben von Dingen, die bessere Zeiten gesehen haben, drücken nach Ansicht von Gries Gefühle und Stimmungen aus. Zur Porträtfotografie, erzählt der achtfache Großvater, habe es ihn noch nie gezogen. Aber er ordnet seine Bilder im Laptop dennoch nach menschlich bedeutsamen Themen wie Eifersucht, Kampf, Tanz oder Ähnlichem. Da ist er dann doch wieder, der Psychologe. Den zerfallenden, unscheinbaren Monumenten und Gegenständen unserer Zeit entlockt er eine ganz eigene existenzielle, menschliche Dimension, dem eigentlich Unscheinbaren, Hässlichen, Kaputten einen tieferen Sinn.