Das Naturtheater sorgt mit der Premiere seines Abendstücks „Der Revisor“ für einen vergnüglichen Samstagabend mit überaus talentierten Mimen. Das kleine Karo im Kleinstadtkosmos kommt hier groß heraus.

Renningen - Hier wird bestochen und geschmiert, Geld über den Tisch geschoben, gelogen und betrogen. Man schiebt sich Posten zu, ist generell faul und unfähig: In Renningen wiehert der Amtsschimmel. Keiner der städtischen Honoratioren hat eine weiße Weste. Zumindest in Nikolaj Gogols Stück „Der Revisor“, dem Abendstück des Naturtheaters, das in der Neufassung von Wolfgang Tauber den Sommer über hier auf die Bühne kommt.

 

Bürgermeister Wolfgang Faißt jedenfalls legte bei seiner Begrüßung – nachdem die „Voices of Joy“ vier flotte Songs angestimmt hatten – augenzwinkernd großen Wert darauf festzuhalten, dass sämtliche Ähnlichkeiten zwischen Stück und Renninger Realität rein zufällig seien.

Über den Teufel lachen

„Mein ganzes Streben geht dahin, dass jedermann, der mein Werk gelesen hat, nach Herzenslust über den Teufel lachen kann“, hat Gogol einmal gesagt. Er hat der Welt viel zum Schmunzeln hinterlassen. Regisseur Clemens Schäfer verpflanzt seine Geschichte in eine schwäbische Ortschaft Ende des 19. Jahrhunderts – wenngleich er ab und an „Neuzeitliches“ aufscheinen lässt, etwa das in der Schule unterrichtete Klonen von Stechmücken. Ein skurriler Bilderbogen spannt sich auf zwischen Bürgermeisteramt, Post, Hospital und dem Gasthof zum Ochsen. Der Plot ist schlicht: Ein reisender Tunichtgut wird im Provinznest für einen staatlichen Verwaltungsprüfer aus Stuttgart gehalten. Er trifft im Kuhnest auf sich spreizende Provinzgranden, die den windigen Bonvivant geradezu in die Rolle des Hochstaplers hineindrängen. Aus Angst vor seinem Bericht an die Hauptstadt und um ihn gnädig zu stimmen, überbieten sie sich geradezu darin, dem eingebildeten Gecken Geld zuzustecken.

Denn im Ort von Bürgermeister Anton Gscheidle steht nichts zum Besten. Thaddeus Spickerer, Inhaber der Postagentur, spickelt gern mal in Briefe, die nicht an ihn adressiert sind. Amtsrichter und Hobbyjäger Kläffle lässt in der Amtsstube Federvieh hausen. In den Krankenzimmern von Spitalverwalterin Dr. Josefa Gräusig lässt man die Kranken verdrecken und Schulinspektorin Ruth Schick ist zwar tipptopp gekleidet, stottert sich aber ganz unschulbuchmäßig und reichlich labil durchs Leben. Dazu kommen die Gattin des Schultes, Anna, und seine Tochter Maria, die sich im Kampf um Gunst und Zuneigung des „Revisors“ ständig in den Haaren haben.

Sehenswertes Stück

„Der Revisor“ ist eine klassische Verwechslungskomödie. Ihre Komik beruht darauf, dass die Täuschung von den Figuren nicht erkannt wird, wohl aber vom Publikum. Wirklich sehenswert aber machen das Stück in Renningen – neben Bühnenbild und Beleuchtung, Maske und Musik, neben Kostümen, der Natur, dem Sommer – die hervorragenden Schauspieler. Hier hat Regisseur Clemens Schäfer ein richtig gutes Händchen bewiesen. Alle Hauptdarsteller sind überaus talentierte Mimen, spielen wundervoll und allzeit präsent und witzig ihre Charaktere und füllen die mit schrägen Einfällen (wo sonst werden Gartenzwerge erschossen?) und Sprüchen gespickte Inszenierung mit prallem Leben.

Samuel Schradi als „Revisor“ Alexander von Schwätzer agiert auf herrliche Weise immer unverschämter, als er begreift, was um ihn herum vor sich geht. Praktisch gleichzeitig gesteht er sowohl Anna als auch ihrer Tochter Maria seine Liebe. Sali Sharif ist sein gewitzter Diener Oskar, der seinen bauernschlauen Herrn immer wieder vor dem Schlimmsten bewahrt.

Herrlich arrogant

Wunderbar eingebildet und schuldbewusst spielt Dirk Deininger den Bürgermeister, der sich permanent den Angstschweiß vom Kopf wischen muss. Ilka Bosse-Stender gibt seine sich in höhere Gesellschaftskreise träumende Gattin Anna köstlich exaltiert – welch großartiger Kontrast ist ihr echtes Braunschweiger Hochdeutsch zu den schwäbischen Sentenzen der Honoratioren. Als echte Komödientalente erweisen sich Waltraud Lemmle, die als schnurzige Spitalverwalterin auch mal laut fluchen darf, und Marina Stenger als reichlich schlicht gestrickter Dorftrampel Dorle Häberle in verdreckter Schürze. Nicht minder minderbemittelt gibt Norbert Seiler den Postler in schmucker, respekteinflößender Uniform. Und tut einem die hysterische, verängstigte und sprach- und sprechgestörte Schulinspektorin (Marion Petsch) nicht geradezu leid? Oder die hübsche Bürgermeistertochter Maria, die Julia Bläsi, nett dekoriert mit Korkenzieherlocken und reizendem Hütchen, so gekonnt schicksalsergeben mimt? Das kleine Karo im Kleinstadtkosmos – in Renningen nimmt es großartige Formen an.