Bei sommerlichen Temperaturen strömen mehr als 10 000 Besucher zum größten Drachenfest im Südwesten. Dabei sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Renningen -

 

Schönes Wetter ist nicht unbedingt perfektes Drachenwetter. Das weiß jeder, der schon einmal bei wolkenlosem Himmel und Sonnenschein mit seinen Kindern versucht hat, einen Drachen steigen zu lassen. Und so war das diesjährige Malmsheimer Drachenfest bestimmt nicht das windigste in der Geschichte der Veranstaltung, mit Sicherheit aber das wärmste. Erst am Sonntag kam Wind auf – und da hing der Himmel voller Drachen.

Kurze Hosen und T-Shirt waren am Wochenende auf dem Malmsheimer Flugplatz Standardkleidung der rund 340 Aktiven, die aus ganz Deutschland und den Nachbarländern anreisen. Bei 26 Grad ging ohne Sonnencreme auf dem schattenlosen Flugfeld gar nichts.

Kein Wunder also, dass Süddeutschlands größtes Drachenfest am Samstag erst einmal mit einem lauen Sommerlüftchen beginnt. Ein paar leichte Drachen steigen gegen Mittag über der Besucherwiese auf. Die Flugversuche der Großdrachen im abgesteckten „Profibereich“ wollen zu diesem Zeitpunkt noch nicht recht gelingen. Dafür müsste der Wind mindestens ein, besser zwei Beaufort zulegen.

Schon gegen 14 Uhr bilden sich lange Schlangen

Die Festbesucher, die auf den Flugplatz des Sportfliegerclubs Leonberg strömen, scheint das aber nicht zu stören. Im Gegenteil: schon gegen 14 Uhr bilden sich an den Einlässen lange Schlangen. Darunter viele Familien mit Kindern und Picknickutensilien im Gepäck. Der zehnjährige Emil feiert sogar seinen Geburtstag auf dem Drachenfest. „Wir sind mit Kind und Kegel extra aus Tübingen angefahren, um hier den neuen Lenkdrachen auszuprobieren“, erzählt der Papa, der schwitzend einen Drachen nach dem anderen in die Höhe zieht.

Dieses Jahr findet das Drachenspektakel auf dem Flugplatz Malmsheim bereits zum 25. Mal statt. Gefeiert wurde das unter anderem mit einem Jubiläumsfeuerwerk und dem Nachtflugprogramm am Samstagabend. Vor allem bei Familien ist das Fest, das vom Sportfliegerclub Leonberg und einigen aktiven Drachenpiloten organisiert wird, ein Pflichttermin im herbstlichen Veranstaltungskalender. Das Festgelände ist streng zweigeteilt. Ein abgegrenzter Bereich ist den Aktiven und ihren großen Drachen vorbehalten. Der Rest des Flugfeldes steht den Besuchern zur Verfügung.

Das Aktivenfeld darf von Unbefugten nicht betreten werden

Dass das sogenannte Aktivenfeld von Unbefugten nicht betreten werden darf, hat seinen guten Grund, sagt Mitorganisator Frank Schmidt: „Die hauchdünnen Drachenleinen der Kinderdrachen könnten die unter Spannung stehenden Leinen der Großdrachen leicht durchtrennen.“ An den im Boden verankerten Leinen der Riesenkraken wirken Zugkräfte von mehr als 100 Kilogramm. „Die größten Drachen sind acht Meter breit und 60 Meter lang“, erklärt Schmidt. Manchmal werden solche Großdrachen auch in Kette aufgezogen. Damit das gelingt, muss zuerst ein sogenannter Lifterdrachen mit großer Oberfläche steil aufsteigen. An seiner Leine werden die anderen Drachen mit Karabinern eingehängt und klettern – wie an einem Lift – dem ersten hinterher. „So ein Manöver braucht eine konstante Windstärke von drei bis vier Beaufort.“ Die es am Samstag leider fast nie hatte.

Die Bandbreite der Drachen, die in Malmsheim von den Aktiven vorgeführt wird, ist enorm: Filigrane Sterne, Eiskristalle, Herzdrachen, sogenannte Eddyketten – mit über 100 Kleindrachen in einer Kette –, Cassagne-Räder oder Windspiele, die auf dem Boden stehen. Zum diesjährigen 25-Jahr-Jubiläum sind außerdem noch Neuheiten wie die Phönix-Drachen des Ludwigsburgers Bernd Post oder die Trigon-Box von Drachenbauer Carsten Domann zu bestaunen. „Die können zu Konstruktionen aus bis zu 15 Einzeldrachen zusammengesteckt werden“, erzählt der Trigon-Box-Erfinder aus Bad Kreuznach. Der 42-jährige Domann baut Drachen seit seinem zwölften Lebensjahr. Die zwei Großgruppen unter den Drachen bilden Einleiner und Lenkdrachen an zwei oder vier Leinen. Letztere können sich im Ensemble zum sogenannten Drachenballett vereinigen. Dabei steuern mehrere Piloten identische Drachen synchron zur Musik.

Ambitionierte Drachenpiloten stellen ihre Flugobjekte selbst her

Egal aber, ob Einleiner oder Lenkdrachen – ambitionierte Drachenpiloten wie Domann oder Post stellen ihre Drachen selbst her. Das bevorzugte Material der Drachenbauer ist Spinnaker-Nylon. Die Schnittmuster, nach denen Drachenfiguren zusammengenäht werden, erfindet man selbst oder sie kursieren meistens frei in der Szene. Manchmal sind es einfach Schnittmuster von Stofftieren.

Die Drachen von Emil und seinen Freunden sind keine Unikate. Trotzdem stehen sie fast den ganzen Samstagnachmittag am azurblauen Himmel und ringen um ihren Platz im eng gewordenen Luftraum über dem Flugfeld. Als der Wind zwischendurch auffrischt, können auch die gewaltigen Kraken und Geckos aufsteigen.

Am Ende des zweitägigen Jubiläumsfestivals zieht Reinhold Schäfer, der Vorstand des Sportfliegerclubs, eine positive Bilanz für die 25. Ausgabe des herbstlichen Drachenevents, das sich eher wie ein Sommerfest anfühlte: „Weit über 10 000 Drachenfreunde haben das Festivalgelände bis zum Sonntagabend besucht“, sagt Schäfer.