Wenn die Kanzlerin kommt, ist alles anders als sonst. Absperrungen, Sicherheitskontrollen, internationale Presse – eine Reportage über einen einzigartigen Tag, an dem das Bosch-Forschungszentrum in Malmsheim eröffnet wurde.

Renningen - Der große Tag für Renningen beginnt neblig. Ein Grauschleier liegt über der Szenerie. Es ist 10.40 Uhr, noch stark zwei Stunden, bis die Kanzlerin kommt. Im CAP-Markt in der Malmsheimer Ortsmitte wird eingekauft wie an jedem anderen Tag. „Dass Merkel kommt, war in der Zeitung und im Radio“, erzählt Jadranka Rastedter (23) auf dem Weg zum Laden. Ungewohnt sei ein Besuch der Kanzlerin. „Es wäre schön, wenn sie noch mehr von Malmsheim besuchen würde“, sagt sie schmunzelnd. Dass ihre Stadt so im Mittelpunkt steht, freut sie.

 

11.05 Uhr: Weltpresse Die Parkplätze sind rappelvoll beim Entwicklungszentrum. Überall stehen Sicherheitsleute in gelben und orangefarbenen Westen. Die Presse hat einen separaten Eingang an diesem Tag. Kein Wunder. „Es haben sich 80 Journalisten angemeldet“, sagt eine Bosch-Sprecherin. Extra für sie wurde ein Wlan eingerichtet, das phasenweise überlastet ist. Von Südafrika über Japan, Australien bis aus den USA kommen Medienvertreter. „I am from Italy“, sagt ein 38-jähriger Journalist – dort gibt es in Bari einen Bosch-Standort, entsprechend groß ist das Interesse. Manche sprechen vom größten Medienaufkommen, das Bosch in den vergangenen Jahren erlebt hat.

11.30 Uhr : Denners Rede In der Medienlounge geht es zu wie in einem Ameisenhaufen: der Bosch-Chef Volkmar Denner lädt zur Pressekonferenz. „Das ist auch für Bosch ein besonderer Tag“, eröffnet er seine Rede. Renningen sei „das Stanford von Bosch“, sagt er in Anspielung auf die amerikanische Elite-Universität. Vier Etagen im Hochhaus seien noch frei – und Denner deutet schon an, dass noch Flächen in Malmsheim zur Erweiterung bereit stünden. Es ist eine internationale Atmosphäre, Simultan-Dolmetscher sitzen in einer Kabine und übersetzen alles auf Englisch.

12.10 Uhr: VW-Skandal Obwohl der Chef der Unternehmenskommunikation, René Ziegler, sich redlich bemüht, die Fragen weg von manipulierten Abgaswerten zu lenken, haken Vertreter unserer Zeitung, der Süddeutschen, der FAZ und des SWR natürlich nach: „Ist Bosch darauf vorbereitet?“ Der Pressechef weicht aus. Ein Journalist aus Slowenien wartet wohl vor allem auf die Kanzlerin – und malt auf seinen Notizblock eckige und runde Figuren. 12.50 Uhr: Demonstration Es wird spannend. Die Journalisten werden im Schweinsgalopp vor das 60 Meter hohe Bosch-Hochhaus geführt. „Alle bitte hinter die Absperrung!“, sagt eine Mitarbeiterin freundlich, aber bestimmt. Die Fotografen harren bei fünf Grad aus und warten. Gut 100 Meter entfernt haben sich einige Demonstranten versammelt. Mit einem Transparent und Trillerpfeifen protestieren sie gegen die Flüchtlingspolitik. Die Polizei ist mit zwei Wagen vor Ort, es bleibt alles ruhig. 13.05 Uhr: Merkel kommt Erst fährt Ministerpräsident Winfried Kretschmann vor und faltet sich langsam aus seiner S-Klasse. „Guten Morgen“, sagt ein Journalist, und der Grüne antwortet „Guten Morgen“, obwohl es weit nach Mittag ist. Dann sieht und hört man den Hubschrauber der Kanzlerin. Wenig später kommt sie in einer schwarzen Limousine vorgefahren. In der Ferne die Trillerpfeifen, die Kanzlerin steigt unbeeindruckt im königsblauen Blazer aus. Kurzes Händeschütteln mit Denner und Kretschmann. Merkel macht ihre Raute mit den Händen, grinst in die Kameras. 13.15 Uhr: Physikerwitze Unter Beifall zieht die Prominenz ins Auditorium ein. Der Wissensschafts-Journalist Ranga Yogeshwar moderiert – und lobt die Schwaben: „Schon das Wort Muggaseggele zeigt, dass die Menschen eine Liebe zum Detail haben.“ Volkmar Denner, der wie Merkel Physiker ist, scherzt: „Auch Sie sind der Physik abhanden gekommen.“ Die 60-Jährige kontert am Ende ihrer Rede: „Was durch die Nicht-Anwesenheit von zwei Physikern verloren gegangen ist, werden wir nie erfahren.“ Aber die 1700 Mitarbeiter in Renningen machten es wieder wett. 13.55 Uhr: Rennstrecke Erneut stehen die Kameraleute Spalier. Der Kanzlerin wird ein Auto mit Assistenzsystemen gezeigt, das fast ohne Zutun des Fahrers eine Runde dreht. Dann marschiert der Tross auf den Campus, die Journalisten verfolgen Merkel und Kretschmann im Stechschritt. 14.10 Uhr: Handyfotos Unter einem Zelt im Innenhof ist ein Agrar-Roboter aufgebaut, der selbstständig über die Felder fahren kann. Die Augen der Boschianer glänzen, als Merkel nicht nur interessiert schaut, sondern sogar nachfragt. Jetzt bekommen auch die 1700 Angestellten etwas von der Prominenz mit: Sie stehen hinter den Glasfronten der Mensa, in den transparenten Gängen, an den Fenstern, alle zücken ihr Handy. Jeder will den hohen Besuch ablichten. Auch Merkel darf den Roboter kurz steuern. „Ich? Ist der schon gut eingestellt?“, fragt die CDU-Chefin neugierig. Sobald sie sich bewegt, klicken die Kameras. Die Fotografen gehen zu Boden, um unter dem Roboter hindurch zu knipsen. 14.20 Uhr: Abschied Hände werden geschüttelt und Merkel steigt in ein Auto mit Berliner Kennzeichen – und ist wieder fort. Kretschmann entschwindet wenig später. Im Foyer des Bosch-Turms wird noch etwas gefeiert. Die Renninger staunen über den ungewohnten internationalen Glanz. Und der bleibt auch ohne die Kanzlerin.