Mit kurzweiligen Erzählungen aus ihrer aktiven Zeit eröffnen fünf Sportler die Ausstellung im Gerlinger Stadtmuseum zu 200 Jahre Radkultur. Alle verbindet eine enge Beziehung zum einstigen Fahrradbauer August Clauss.

Gerlingen -

 

Ohne Gangschaltung zur Solitude hinauf radeln ist heute unvorstellbar. In den sechziger Jahren sind Jugendliche so Radrennen gefahren und wurden später für ihren Biss mit Weltmeistertiteln und Olympiamedaillen belohnt. „Wenn wir eine Meisterschaft hatten, bin ich am Samstag von Herrenberg nach Gerlingen und von dort aus mit den Sportkameraden weiter nach Heilbronn geradelt. Dort sind wir am Sonntag unser Rennen gefahren und mit der Medaille unter dem Pulli wieder heim“, erzählt Karl Link, Weltmeister und Goldmedaillengewinner in der Mannschaftsverfolgung bei den Olympischen Spielen in Tokio 1964. „Das erste Mal als Deutscher Meister haben wir die erste Nacht im Meistertrikot geschlafen, so stolz waren wir.“ Der spätere Leiter des Olympiastützpunktes Stuttgart meint mit einem Wink auf die oftmals widrigen Umstände, unter denen die Sportler seiner Generation ihre Leidenschaft ausübten: „Man wird wirklich nur gut, wenn die Eltern dagegen sind.“

Der ehemalige Querfeldeinamateur Karl Stähle berichtet auch davon, dass ihm der Vater nach seinem ersten Sieg das Fahrrad für ein Vierteljahr weggesperrt hatte. Der Filius sollte in der religiös geprägten Familie lieber musizieren. „Wir sind frühmorgens für ein Rennen mit einer selbst gebauten Strickleiter im ersten Stock aus dem Bubenzimmer abgehauen“, erzählt der heute noch aktive Radler verschmitzt. Der pensionierte Bundestrainer Karl Link fügt lachend an: „Wenn wir Eltern gehabt hätten, wie man es heute beobachten kann, die ihren Jungs noch das Fahrrad putzen, dass sie sich überhaupt draufsetzen, dann wäre garantiert nichts aus uns geworden.“ Das sei wohl die schlüssige Erklärung dafür, dass aus ihm kein großer Sportler geworden sei, meint der ehemalige Herrenberger Manager des Profiteams Gerolsteiner, Hans-Michael Holzcer schmunzelnd. Seine Eltern hätten ihn unterstützt, aber sportlich habe es gerade mal zu einem württembergischen Meistertitel gereicht, sagt der 64-Jährige.

Das Radfahren hatte in den Nachkriegsjahrzehnten viele Anhänger, denn es war ein wichtiges Alltagsfortbewegungsmittel. Doch diesem standen auch viele Vorbehalte gegenüber. So berichtet Karl Link schmunzelnd, dass der einstige Bundespräsident Heinrich Lübke ihm bei der Überreichung des Silbernen Lorbeerblattes als Anerkennung für seinen Olympiasieg dringend davor gewarnt habe, dass man davon herzkrank werde. Diese Vermutung widerlegten die allesamt noch aktiven ehemaligen Radsportler aus der Region in Gerlingen mit ihren Erzählungen. Jürgen Colombo aus Renningen holte 1972 bei Olympia in München Gold mit dem Bahnradvierer. „Ich bin heute Genussradler, das Hektische brauche ich nicht mehr“, sagt Colombo. Man könne ja nicht das ganze Leben auf der Flucht sein. Dennoch fahre er noch 60 Kilometer am Tag. „Ich fahre heute kürzer und sitze länger“, meint der 71-Jährige lachend. Gerlingens engen Bezug zum Radsport vertrat Roland Ulbrich in der Runde. Er stand 18 Jahre lang an der Spitze des Gerlinger Radsportvereins und hat sich als Organisator großer Rennen einen Namen gemacht. Die Kurse rund um die Solitude waren auch von Profis gefürchtet, und so berichtet er lachend davon, dass der italienische Rennfahrer Mario Cipollini sich einst bei einem Hofbräu-Cup bitter beschwert habe, er sei gekommen, um auf die WM zu trainieren und keine WM zu fahren.

Die Radsportler und Manager, allen voran Hans-Michael Holzcer bedauern heute das gestörte Verhältnis der Öffentlichkeit zum Radsport. „Die Strahlkraft des Radsports und die Werbekraft ist mit keinem anderen Sport vergleichbar“, ist Holzcer überzeugt, denn wie der Gerlinger Bürgermeister Georg Brenner in seiner Einführung sagte, habe rechnerisch jeder Einwohner in Deutschland ein Fahrrad. Das Ausland beneide Deutschland um sein Potenzial. In der Wahrnehmung sei der Radsport jedoch immer eng mit Doping verbunden.

Lachend berichten die Radsportsenioren von den Manipulationen im Gerlinger Hause Radsport Clauss in der Ditzinger Straße durch den sogenannten Eierwein, den die Jungs vor den Rennen getrunken hätten. „Wir haben geglaubt, dass Rotwein mit einem ,reingeklepperten’ Eigelb Kraft in den Beinen gibt.“ Der ehemalige Bundestrainer Karl Link fügt an: „Talente gibt es wie Sand am Meer, aber solche mit Durchsetzungsvermögen und dem Willen zum Siegen sind weit seltener.“